Mord? Totschlag? Körperverletzung mit Todesfolge?

Der Fall Dominik Brunner wirft immer noch viele Fragen auf: Zwei erfahrene Strafrechtler versuchen daher in der Abendzeitung, den bisherigen Prozessverlauf juristisch einzuordnen.
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Mordfall Brunner: Die beiden Angeklagten und ihre Verteidiger
dpa Mordfall Brunner: Die beiden Angeklagten und ihre Verteidiger

MÜNCHEN - Der Fall Dominik Brunner wirft immer noch viele Fragen auf: Zwei erfahrene Strafrechtler versuchen daher in der Abendzeitung, den bisherigen Prozessverlauf juristisch einzuordnen.

Ist Dominik Brunner ermordet worden? Oder – im Zuge der brutalen Attacken – unglücklichen Umständen zum Opfer gefallen? War es Mord, wie die Anklage sagt? Oder gelingt es den Verteidigern, das Gericht davon zu überzeugen, dass lediglich Totschlag oder gar nur Körperverletzung mit Todesfolge mit ihren milderen Strafrahmen vorliegen? Neun Prozesstage sind inzwischen vorbei, die Beweisaufnahme (siehe Kasten) ist damit fast abgeschlossen. Der Tag der Plädoyers am 24. August rückt näher.

Mit Anwalt Ermin Brießmann (74) und Günter Gäbhard (79) – beide waren früher Vorsitzende Richter beim Bayerischen Oberlandesgericht – versuchen zwei erfahrene Strafrechtler, den bisherigen Prozessverlauf juristisch einzuordnen.

Vor allem zwei Fragen werden das Gericht beschäftigen: Erstens: Ist die Kausalität, die Verbindung zwischen der Tat und Brunners Tod, gegeben? Und zweitens: Handelten die Angeklagten mit dem Ziel, Brunner zu töten?

Trotz der Analyse des Rechtsmediziners Prof. Wolfgang Keil, dass Brunner die Tritte überlebt hätte, wenn er kein vergrößertes Herz gehabt hätte: Die Kausalität - die Verbindung zwischen Tat und Tod - ist gegeben, sagt Ermin Brießmann. „Wenn zu den Schlägen und Tritten als möglicher Todesursache eine krankhafte Disposition des Opfers hinzukommt, spricht man von einer doppelten Kausalität .“

Für Brießmann ist das Ergebnis klar: Auch wenn Brunner nicht unmittelbar an den erlittenen Verletzungen starb – dass Angst und Stress auf Grund der Schläge und Tritte zum Herztod führen können „muss der Täter wissen“. Damit muss ihm auch der „Erfolg der Tat“, der Tod Brunners, zugerechnet werden. Brießmann: „Eine besondere Disposition des Opfers ( hier der Herzfehler Brunners, die Red. ) hilft ihm da nicht.“

„Die Ursächlichkeit ist in jedem Fall gegeben“, stimmt Gäbhard seinem Kollegen und der Staatsanwaltschaft zu. Denn: Ohne die Tritte und Schläge und den Stress der Schlägerei würde Brunner noch leben. Mit oder ohne Herzfehler.

Zentral wird nach Einschätzung der beiden Top-Juristen dann sein, wie das Gericht nach der Beendigung der Beweisaufnahme am 4. August den Tötungsvorsatz beurteilt. Nahmen Sebastian L. und Markus S. den Tod Brunners zumindest in Kauf, als sie ihn am 12. September 2009 zusammenschlugen?

„Wer mit Schuhen auf einen am Boden Liegenden eintritt, dem wird man bedingten Vorsatz unterstellen können“, sagt Günter Gäbhard. Tatsächlich wurden die Schuhabdrücke beider im Gesicht Brunners festgestellt.

Auch Ermin Brießmann glaubt nicht, dass die Angeklagten mit Körperverletzung mit Todesfolge davon kommen. Denn dieser Straftatbestand setzt voraus, dass der Täter nicht töten wollte und auch nicht mit dem tödlichen Ausgang rechnen musste. Fußtritte gegen den Kopf sind aber grundsätzlich lebensgefährdend, das hatte Rechtsmediziner Keil im Prozess erläutert.

Vielleicht die wichtigste Entscheidung des Gerichts: Mit welchem Vorsatz ein Täter handelte, muss nach gründlicher Abwägung aller Umstände beurteilt und begründet werden, sagt Gäbhard.

Dass Brunner zuerst zuschlug, wird für die Verteidigung bei der Einschätzung des Tätermotivs eine wichtige Rolle spielen. Die Anklage sieht Brunners Schlag zwar im Zusammenhang der bedrohlichen Situation als Notwehr. Die Angeklagten aber gaben vor Gericht an, dass sie lediglich an Brunner und den Schülern vorbeigehen wollten, als der 50-Jährige zuschlug. Die Wut über den Schlag habe Markus S. spontan ausrasten lassen.

Wären aber allein Zorn und Wut über die blutige Nase das Motiv des Täters, könnte man auf Totschlag plädieren. Doch die Anklage sieht stattdessen das Mordmerkmal des niederen Beweggrunds verwirklicht. Die beiden Angeklagten hätten aus Rache über die Einmischung Brunners gehandelt.

Für die beiden ehemaligen Richter Gäbhard und Brießmann kommen auch noch andere Mordmerkmale in Frage. „Grausames Vorgehen könnte gegeben sein“, sagt Gäbhard. Auch das spräche für Mord. Grausamkeit im strafrechtlichen Sinne sei gegeben, wenn dem Opfer über die Tötung hinaus besonderes Leid angetan wurde.

Auch der Bereich Verdeckung oder Ermöglichung einer Straftat kann im Brunner-Prozess noch eine große Rolle spielen, erläutert Brießmann. Und zwar für den Fall, dass das Gericht zu dem Schluss kommt, dass der Angriff auf Dominik Brunner ursprünglich dazu gedient haben könnte, die vier Schüler auszurauben.

John Schneider

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