Mord in Neubiberg: Das Schicksal der Kinder
Die Mama ist tot, der Papa im Gefängnis. Hier erklärt ein Experte, welche Folgen das für die Buben (3 und 6) hat
MÜNCHEN - Der Vater zweier Kinder sitzt weiterhin in der JVA Stadelheim in Untersuchungshaft. Der 36-Jährige hat den Mord an seiner Ehefrau gestanden.
Der Mesner einer katholischen Pfarrei in Neubiberg soll seine Frau erstochen haben, weil sie ihn mit ihren beiden Buben verlassen wollte. Der Ehemann wird weiterhin von Beamten der Mordkommission vernommen. Auch am Tatort, einem Haus in der Nähe der Pfarrei, sind Kripobeamte noch immer mit der Spurensicherung beschäftigt. Der mutmaßliche Täter wird in den kommenden Wochen von einem Gerichtsgutachter untersucht. Er soll feststellen, ob der 36-Jährige Familienvater voll schuldfähig ist.
Seine beiden Kinder bleiben unterdessen in der Obhut des Jugendamts. Noch ist nicht entschieden, ob die drei und sechs Jahre alten Buben zu Verwandten kommen oder einer Pflegefamilie übergeben werden. Die Entscheidung wird das Jugendamt in den kommenden Tagen fällen. hu
AZ: Die Mama ist tot, der Papa ist der Täter. Herr Jacobs, wie reagieren Kinder normalerweise nach einer solchen Katastrophe?
STEFAN JACOBS: Das hängt stark davon ab, wie sehr sie Zeuge dieser Gewalttat geworden sind. Was genau sie gesehen, gehört oder mitbekommen haben. Sie werden möglicherweise erst mal in Schockstarre sein, sich völlig zurückziehen, nicht sprechen, nicht weinen. Dann können Angstattacken folgen, übermäßige Schreckhaftigkeit, auch Angst- und Albträume.
Wie lang kann das dauern?
Ob die Ängste bleiben und sich zu einer dauerhaften posttraumatischen Belastungsstörung entwickeln, zeigt sich in der Regel erst nach drei bis sechs Monaten.
Der jüngste Bub ist 3, der ältere 6 Jahre alt. Was hilft ihnen jetzt?
Sehr viel Schutz, Zuwendung, vertraute Nähe. Im besten Fall nehmen nahe Verwandte die Kinder bald zu sich und geben ihnen soviel liebevolle Nähe und Ablenkung wie möglich. Wichtig ist für die Kinder, ihre Ängste und Trauer ausdrücken zu können, so können sie ihr Trauma auch verarbeiten. Aber dabei müssen erfahrene Notfall-Psychologen helfen.
Wie?
Ein Sechsjähriger kann ja schon über seine Ängste sprechen. Bei einem dreijährigen Kind ist das schon schwieriger. Da muss man andere Wege finden. Es könnte seine Gefühle äußern, indem es zeichnet, malt, mit Figuren oder Puppen spielt.
Und dann? Zurück in den gewohnten Kindergarten oder die Schule? Dort weiß jeder, was passiert ist. Welchen Alltag können solche Kinder leben?
Sie sollten sicherlich nicht in ihrem Elternhaus wohnen bleiben, das würde die schrecklichen Erlebnisse nur immer wieder aufwühlen. Aber weiter an ihrem Wohnort, dem gewohnten Kindergarten, in der Schule oder im Freundeskreis zu bleiben, kann stabilisierend wirken – wenn die Umwelt gut und sensibel mit dem Thema umgeht.
Das wird gerade für die befreundeten Kinder oder die aus der Nachbarschaft schwer. Wie kann man denen so ein Gewaltereignis erklären?
Ihre Eltern können ihnen sagen: In der Nachbarschaft ist etwas ganz Schlimmes passiert. Aber wir sind noch da. Das nimmt viel von der Angst und Verstörung. Günstig wäre, wenn ein Psychologe mit den Kindern spricht, mit denen die beiden Buben häufig Kontakt haben. Wenn er erklärt, dass es ihren Freunden weh tut, wenn sie auf den Tod ihrer Mutter angesprochen werden.
Also lieber ablenken statt nachbohren. Was können die Neubiberger noch tun?
Sich so normal wie möglich verhalten, den Kindern viel Aufmerksamkeit, Zuwendung und Ablenkung geben. Sie zum Essen oder Spielen einladen, sie in den Arm nehmen, wenn sie das wollen. Auch mittrauern. Den Buben vermitteln: Da ist jemand für Euch da. Der Alltag muss weiterlaufen.
Dann könnte für die beiden Buben irgendwann wieder ein „normales“ Leben möglich sein?
Ja, absolut. Bei 60 Prozent der Menschen, die nach Gewalttaten ein Trauma erlitten haben, bildet es sich zurück. Auch diese Buben können, wenn sie jetzt gut aufgefangen werden, wieder lachen lernen.
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