Interview

Mode der Olympischen Spiele '72: "Heiter, froh, sportlich, modern"

1972 ging es knallbunt auf Safari – und im hellblauen Dirndl auf Prinzenjagd. Die Historikerin Isabella Belting blickt zurück auf die Mode der Olympischen Spiele.
von  Christa Sigg
Fabelhafter Kontrast: Dirndl-Damen und die Platzanweiserin haben durch Jackie-O.-Brillen in die Zukunft geblickt.
Fabelhafter Kontrast: Dirndl-Damen und die Platzanweiserin haben durch Jackie-O.-Brillen in die Zukunft geblickt. © Werbeprospekt Metzler International

München - Die Platzanweiserin im leuchtenden Orange war beim besten Willen nicht zu übersehen. Und dann erst der coole Schnitt ihres Hosenanzugs! In puncto Modernität war das schwer zu überbieten – 1972, als die meisten noch zu "gedeckten" Tönen griffen, um sich unauffällig ins Bild der Öffentlichkeit zu fügen. Doch der Gestalter Otl Aicher hat mit seiner neuen Farbpalette die Olympischen Spiele quietschbunt fröhlich getüncht.

Auf die modische Überholspur geriet die Garderobe des Personals allerdings erst durch einen Franzosen, der in seinen Entwürfen längst durchs Weltall flog. Mit der Münchner Modehistorikerin Isabella Belting sprechen wir über Dirndl und Minis, die ersten Unisex-Overalls und die Anfänge des Jugendwahns.

AZ-Interview mit Isabella Belting.
AZ-Interview mit Isabella Belting. © Julia Krüger/Stadtmuseum

Fortschrittliche Kleidung bei Olympia 72 in München

AZ: Frau Belting, wie gefallen Ihnen die Dirndl der Olympia-Hostessen von 1972?
ISABELLA BELTING: Wenn man sie mit traditionellen Trachten vergleicht, sind sie doch sehr modern. Gerade auch, weil sie nur in Hellblau und Weiß gehalten sind. Und die gesteppten Jacken dazu haben einen sportlichen Touch.

Die Dirndl sind überraschend kurz.
Nicht alle, aber einige Damen haben die Dirndl gekürzt, um sich damit dem Mini-Rock zu nähern. Das ist in den frühen 70er Jahren – wir sprechen von offizieller Kleidung – schon sehr fortschrittlich. Bei Dirndlkleidern geht es oft um bestimmte Stoffe oder aufwendige Muster, um Silberknöpfe und Zierbänder. Die Olympia-Dirndl waren klar als Dirndl erkennbar, aber unglaublich schlicht. Jede Hostess sah darin gut aus, weil jeder einzelne Typ unterstrichen wurde.

Olympia-Hostess angelt sich einen Prinzen

Haben wir diese Dirndl vor allem deshalb in Erinnerung, weil Silvia Sommerlath damit einem Prinzen aufgefallen ist?
Die Dirndl kamen überhaupt beim Publikum gut an, das haben uns alle ehemaligen Hostessen erzählt. Aber dass es sich einprägen konnte, hat sicherlich mit Silvia Sommerlath zu tun. Erst bei der Hochzeit mit Carl Gustav – eine Olympia-Hostess angelt sich einen Prinzen! – und dann natürlich, als sie bald darauf Königin von Schweden wurde und das Dirndl wieder durch alle Medien ging. Dem Ruhm dieses Kleids war das auf jeden Fall sehr zuträglich.

Silvia Sommerlath, die spätere Königin von Schweden, präsentiert als Hostess die begehrten Olympia-Tickets.
Silvia Sommerlath, die spätere Königin von Schweden, präsentiert als Hostess die begehrten Olympia-Tickets. © imago/Sven Simon

Eigentlich passt das Dirndl nicht zu den eher futuristischen Ausrüstungen des Olympia-Personals.
Gerade dieser Kontrast ist aber sehr reizvoll. Der französische Modeschöpfer André Courrèges, der ab 1971 in die modische Ausstattung eingebunden wurde, fand die Dirndl ganz fürchterlich und sprach sogar von einem "Bataillon von Gretchen". Doch Otl Aicher, der für das Design der Spiele zuständig war, bestand auf dieses Dirndl. Courrèges selbst hat dann für das Olympia-Personal den Safari-Look kreiert – eingeteilt in die von Aicher bestimmten acht Farben, die sich durch die ganze Gestaltung zogen. Diese Arbeitskleidung sollte auf gar keinen Fall militärisch daherkommen, sondern heiter, froh, sportlich, modern.

"Courrèges hätte die Frauen am liebsten in enge Suits gesteckt"

Wie kam es zu dieser kuriosen Zusammenarbeit von Aicher und Courrèges?
Es gab im Aicher-Team zwar eine Gruppe mit dem schönen Titel "Einkleidung", doch um dem Ganzen auch noch einen internationalen Anstrich zu geben, suchte man nach einem bekannten Designer. Da war Paris naheliegend – und Courrèges hat sehr gerne mitgemacht. Er war selbst Sportler und hatte eine visionäre Kollektion im Sinn. Aber da musste er dann doch Abstriche machen.

Haben sich Aicher und Courrèges vertragen?
Vera Simmert, die zum "Einkleidungs"-Team gehörte, beschreibt die Zusammenarbeit als unglaublich fruchtbar und inspirierend. Aicher war auf seine Weise genauso ein Visionär und hatte Vergnügen, mit einem so großen Modeschöpfer zu arbeiten. Courrèges war außerdem Ingenieur und Brückenbauer, das dürfte dem schwäbischen Tüftler imponiert haben. Außerdem konnte Courrèges mit neuen Materialien umgehen und hat gerne experimentiert.

André Courrèges hätte die Frauen wahrscheinlich zu Weltall-Heroinen gestylt.
Er war ein großer Science-Fiction-Fan, das sieht man an den Helmen und den weißen flachen PVC-Stiefeln, die er für seine Kollektionen entworfen hat. Entscheidender ist aber, dass Courrèges bereits in den 60er-Jahren die Hosen auf den Laufsteg brachte. Natürlich gab es Hosen zum Arbeiten oder bei den Hippies. Aber in der Haute Couture war das so außergewöhnlich wie der Mini-Rock. Auch der ist bei ihm zum ersten Mal auf dem Laufsteg auftaucht. All das spiegelt sich in der Olympia-Kleidung wider. Die Frauen trugen zudem Hosenanzüge und Unisex-Overalls. Das war damals der letzte Schrei. Und auch beim Safari-Look sehen Sie relativ kurze Röcke – fast so wie im London der Swinging Sixties, wo Mary Quant mit ihren Minis auf der Carnaby Street für Furore gesorgt hat. Aber nun eben bei den weltweit wichtigsten Sportwettkämpfen.

André Courrèges' Strick-Pants waren 1971 der letzte Schrei – für die Olympischen Spiele dann allerdings doch eine Spur zu heiß.
André Courrèges' Strick-Pants waren 1971 der letzte Schrei – für die Olympischen Spiele dann allerdings doch eine Spur zu heiß. © Elle, Mars/Stadtmuseum

Bewegungsfreiheit ist ein großes Thema.
Courrèges' Olympia-Kleidung war nie hauteng, man kann sich gut in den Anzügen bewegen, obwohl sie durch die Geometrisierung erst einmal statisch wirken. Das Ganze trug sich auch gut auf der Haut, denn wir haben oben eine Kunstfaserschicht und drunter Frottee. Courrèges hat gerade für sportliche Frauen viel Mode gemacht, zum Beispiel mit ganz engen Strick-Suits, drüber Hotpants und Lederjacken. Aber das war den Verantwortlichen für die Spiele dann doch zu gewagt.

Er durfte dafür über 20.000 Olympia-Mitarbeiter knallbunt einkleiden. Wer hat welche Farben getragen?
Gelb wurde vom Reinigungspersonal getragen, Weiß war für die Sanitäter bestimmt, Silbergrau für die Technik, Orange für die Platzanweiser. Das Presseteam trug Hellgrün. Der Safari-Look war für die breite Masse des Personals gedacht, bei den höher Positionierten griffen einige dann doch zu Anzug und Krawatte.

Die Polizisten trugen ausnahmsweise kein Dunkelgrün.
Nein, die Uniformen haben hellblau geleuchtet. Das war ein leichter, lockerer, freundlicher Look und sollte auch hier die Friedlichkeit der Spiele unterstreichen. Man sieht auf den Fotografien keine Waffen, die ja sonst zur Polizeiuniform gehören. Ausgerechnet diese an sich so sympathische Betonung des Gewaltfreien ist dann durch den Anschlag auf die israelische Mannschaft in einem ganz anderen Licht gesehen worden.

"Plötzlich war ein jugendliches, sportives Aussehen gefragt"

Der Regenbogen ist vom Himmel gefallen.
Wenn man dieses fürchterliche Attentat im Kopf hat, wirken die bunten Kleider der Spiele tatsächlich ganz anders. Dennoch bleibt die Idee dahinter beeindruckend und zukunftsweisend.

Hat sich das Stilbewusstsein durch die Olympischen Spiele verändert?
Die Mode und gerade auch die eher konservative Herrenmode sind farbenfröhlicher geworden. Genauso wurden die Schnitte mutiger. Die Farben von Otl Aicher waren etwas ganz Neues, und man hat realisiert, dass das auch außerhalb der Spiele gut aussehen kann. Wie vieles hat auch die Mode mit diesen Olympischen Spielen einen Modernisierungsschub erfahren. Der Safari-Look konnte sich einige Jahre halten. Da schwang das Abenteuer mit, und genauso war jetzt ein sportliches, jugendliches Aussehen gefragt. Ich meine, das hat in dieser Zeit einen Anfang genommen.


Ausstellung im Münchner Stadtmuseum: "Mode, menschen und musik"

Die Olympischen Spiele haben alles und jeden bewegt. Manche auch aufgeregt, das spart die Ausstellung im Stadtmuseum nicht aus und gibt Protesten und Spötteleien – die kopulierenden Waldis Fickl und Fackl dürfen nicht fehlen – beträchtlichen Raum. Denn hier kommen die Menschen und vor allem Münchnerinnen und Münchner zu Wort, die die Zeit erlebt haben und oft genug mittendrin waren: Schulkinder von einst, die bei der Eröffnungsfeier in gackerlgelben – die Mädchen – und hellblauen Trikots – die Buben – durchs Stadion getanzt sind.

Oder Fritz Teufel vom "Anti-Olympischen Komitee", das eine "Gammler-Olympiade" mit Disziplinen wie Sandburgenbauen und Weitspucken plante. Und die damals 17- jährige Patricia von Eicken, die als Hostess eingesprungen war und sich im Olympiadorf wie im Schlaraffenland vorkam: "In der Sportler-Kantine gab es kostenlos sehr gutes Essen, und eine Frau im Sari schob ihren Wagen durch die Straßen und bot Kaffee, Tee oder Kakao an.

Der Sommer '72 muss berauschend gewesen sein. Das hatte man im bayerischen Innenministerium schon vorausgerochen und den Behörden angeordnet, zwischen Juli und September keine Genehmigung für Pop- und Rock-Festivals zu erteilen – wegen "Begleiterscheinungen wie Rauschgift-Missbrauch". Gut also, dass Mauricio Kagels Olympia-Auftragswerk "Exotica für außereuropäische Musikinstrumente" weder unter Pop- noch Rock-Verdacht stand und bereits am 23. Juni 1972 im Haus der Kunst uraufgeführt wurde.

Das Instrumentarium kam übrigens aus dem Stadtmuseum, heute wäre das undenkbar, wobei die Musiker sichtbar pfleglich damit umgegangen sein müssen. Höhepunkt der wild gemischten Schau sind freilich die Kreationen von André Courrèges – die für Olympia und sowieso die Hotpants, Stiefel und Abendkleider. Die Ausstellung lässt auch das Attentat nicht aus und erzählt mit Fokus auf dem Kampfrichter und Holocaust-Überlebenden Yakov Springer die dunkelsten Seiten der anfangs so fröhlichen Spiele.

Bis 8. Januar 2022, Di bis So10 - 18 Uhr, St.-Jakobs-Platz 1

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