Mitten in München: Menschen betteln um Arbeit

München - Über 20 Nationalitäten, 3.200 Anwohner, mehr als 20.000 Arbeitsplätze und 60 Prozent aller Münchner Hotelbetten: Das südliche Münchner Bahnhofsviertel ist ein pulsierendes und multikulturelles Viertel. Seit einigen Jahren suchen hier osteuropäische Einwanderer, viele von ihnen türkischsprachige Bulgaren und Bulgarinnen, nach einem erträglichen Leben.
An der Kreuzung Landwehrstraße/Goethestraße stehen sie täglich auf dem Gehsteig und bieten ihre Dienste als Tagelöhner an. Die Nächte müssen viele von ihnen in Autos und auf öffentlichen Plätzen verbringen.
Angel Jankov, 60 Jahre alt, ist vor acht Jahren aus Bulgarien nach München gekommen. Warum? Weil er in Bulgarien nicht mehr habe leben können. Weder eine Wohnung noch Arbeit habe er dort gehabt. Angel Jankov gehört zur türkischsprachigen Minderheit in Bulgarien. Als er damals nach München kam, stand auch er an der Kreuzung an der Landwehrstraße und wartete mit seinen Kollegen auf eine Gelegenheit, ein paar wenige Euros zu verdienen.
„Wir haben keine Wahl gehabt, keinen anderen Ort, an dem wir uns aufhalten können“, so sagt er. Seit sechs Jahren hat Angel Jankov nun eine Anstellung als Saisonarbeiter im Kanalbau, seit fünf Jahren eine feste Unterkunft. Doch die Probleme gehen weiter. Gerade kämpft er für sein ihm zustehendes Urlaubsgeld und auch der Lohn für einen ganzen Monat steht noch aus.
Bis zur Rente in Deutschland
Die Frage, ob er es sich vorstellen könnte, wieder nach Bulgarien zurückzukehren, verneint Angel Jankov sofort. Wenn es irgendwie geht, dann wolle er hier bis zur Rente arbeiten. In Bulgarien habe er dafür keinerlei Chancen.
An den Ecken der Kreuzung, an der die Arbeitssuchenden stehen, befinden sich neben einem türkischen Lebensmittelhändler auch ein Hotel, eine Bank sowie der Karten- und Kulturservice der Theatergemeinde. Die Betreiber der umliegenden Geschäfte haben ein Problem mit den Arbeitssuchenden, die sich an der Kreuzung aufhalten. Ihre Kunden und Angestellten fühlten sich oft bedroht und eingeschüchtert von den Männern, so einer der Geschäftsinhaber.
Im August 2013 unterschrieben insgesamt 17 Vertreter der anliegenden Geschäfte eine Petition, die Gegenmaßnahmen von Stadt und Polizei forderte. Im Frühjahr 2014 engagierten mehrere Anlieger einen Sicherheitsdienst, der die Tagelöhner von ihren Geschäftseingängen fernhalten soll.
Hilfe zur Selbsthilfe
Ein Rechtsbruch geht von den Arbeitssuchenden aber nicht aus, sie dürfen sich, wie alle, auf den Gehwegen, die zum öffentlichen Raum gehören, aufhalten, solange keine Hauseingänge blockiert werden. Für Lisa Riedner von der Initiative Zivilcourage steht der Dialog mit den Betroffenen im Vordergrund: „Man muss mit den Menschen sprechen, nicht über sie.“
Hilfe zur Selbsthilfe ist der Ansatz der Initiative, die den Tagelöhnern bei bürokratischen Angelegenheiten und der Durchsetzung ihrer Rechte hilft. Unter den Arbeitssuchenden an der Landwehrstraße seien auch oft Frauen, die sich allerdings eher im Hintergrund halten, so Lisa Riedner. Seit 2010 bietet die Initiative wöchentlich einen Treffpunkt und Beratung für die Tagelöhner im Bahnhofsviertel an. In unregelmäßigen Abständen stellt sie einen Informationstisch an der Kreuzung auf, um die Arbeiter und Arbeiterinnen sowie Arbeitssuchenden über ihre Rechte zu informieren. In diesem Jahr liege der Schwerpunkt dabei auf dem Recht, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten, so Lisa Riedner.
Schon seit einiger Zeit gibt es seitens der Stadt einen Ansatz für eine Verbesserung der Situation der Tagelöhner: Das Projekt „Regsam“ initiierte im Dezember 2012 gemeinsam mit dem Sozialreferat einen Fachaustausch, bei dem alle Einrichtungen, die mit der Zielgruppe der Tagelöhner arbeiten, unter anderem die Caritas, die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und die Initiative Zivilcourage, nach Lösungsansätzen suchen. Im Zuge dieses Fachaustausches wurde das Konzept eines Beratungscafés entwickelt. Ein fester Raum mit Duschen, Toiletten, PC-Zugang und einer nutzbaren Postadresse soll als Treffpunkt für die Tagelöhner dienen. Die Idee dabei sei, dass die verschiedenen Beratungsstellen zentral an einem Ort zusammenkommen, so Gretel Rost von „Regsam“.
Das bunte Image des Bahnhofsviertels
„Für diese Idee bin ich Feuer und Flamme“, sagt auch Fritz Wickenhäuser, Vorsitzender des Vereins Südliches Bahnhofsviertel, der das bunte Image seines Viertels pflegt. Heute entscheidet der Sozialausschuss über eine Anlaufstelle Ein derartiger Treffpunkt ist jetzt gefunden: Für das geplante Beratungscafé will die Stadt jetzt Räume in der Schillerstraße 37 durch die Arbeiterwohlfahrt München anmieten. „Mit einer Fläche von knapp 200 qm ist in den Räumen der Platz für Sitzgruppierungen für den Aufenthalt von mindestens 40 Personen vorhanden“, heißt es in einer aktuellen Beschlussvorlage des Sozialreferats. Des Weiteren böten sich Möglichkeiten für die Einrichtung eines Kursraumes (Deutschkurse, Infoveranstaltungen) sowie eines Internetcafés. Bereits Ende 2013 hat man sich grundsätzlich auf das Konzept des Beratungscafés geeinigt.
Am heutigen Donnerstag soll das Projekt im Sozialausschuss endgültig abgesegnet werden. Bis 2017 stellt die Stadt dafür 344 451 Euro an zusätzlichen Mitteln bereit. Lisa-Maria Braner