Update

Mitarbeiter demonstrieren vor Galeria-Filiale in München: “Unser Karstadt muss bleiben!”

Während an der Schützenstraße schon der Räumungsverkauf begonnen hat, kämpfen sie verzweifelt weiter: Rund 130 Mitarbeiter demonstrieren am Mittwoch gegen die Schließung der Filiale am Hauptbahnhof.
von  Nina Job, Irene Kleber
"Auf Gehalt verzichten für Nix!" – das frustriert die Belegschaft vom Karstadt am Hauptbahnhof sehr. Rund 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kämpfen mit diesem Streik am Mittwoch weiter um ihre Jobs.
"Auf Gehalt verzichten für Nix!" – das frustriert die Belegschaft vom Karstadt am Hauptbahnhof sehr. Rund 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kämpfen mit diesem Streik am Mittwoch weiter um ihre Jobs. © iko

München - In der Gruppe schaut sie kämpferisch aus, aber wer die weißhaarige Frau mit der gelben Streikweste fragt, wie es ihr geht, sieht ihre Augen feucht werden. "Schlecht geht’s mir", sagt Rosemarie Aster. 

Der Räumungsverkauf hat begonnen

"Wer soll mich denn jetzt noch nehmen mit 61 Jahren?" 45 Jahre arbeitet sie schon fürs Warenhaus, erst im Kaufhof am Stachus, der auch schon geschlossen worden ist, jetzt gegenüber, beim Karstadt am Hauptbahnhof. Doch nun soll auch hier bald endgültig Schluss sein: Am 30. Juni ist ihr letzter Arbeitstag. Der Räumungsverkauf hat schon begonnen.

Rosemarie Aster (61) arbeitet seit 45 Jahren für das Warenhaus, früher beim Kaufhof am Stachus, jetzt bei Karstadt am Hauptbahnhof.
Rosemarie Aster (61) arbeitet seit 45 Jahren für das Warenhaus, früher beim Kaufhof am Stachus, jetzt bei Karstadt am Hauptbahnhof. © iko

Rosemaries lächerliche Abfindung

Fast ihr ganzes Arbeitsleben hat Rosemarie Aster für den Warenhauskonzern gearbeitet – zum Dank darf sie nun mit zwei Monatsgehältern Abfindung rechnen: lächerliche 5.400 Euro brutto etwa. Das Insolvenzrecht macht’s möglich. Dabei haben Rosemarie Aster und ihre Kolleginnen seit Jahren Gehaltseinbußen hinnehmen müssen: Sie haben auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichtet, von Tariferhöhungen hatte die Belegschaft nichts – sie nahmen das in Kauf, in der Hoffnung, dass ihre Filiale erhalten bleibt. "Verraten fühle ich mich", sagt die Verkäuferin.

Ein Hinweisschild am Eingang der Karstadt-Filiale.
Ein Hinweisschild am Eingang der Karstadt-Filiale. © job

Ein letztes Aufbäumen

Das ist der Grund, warum Rosemarie Aster am Mittwochvormittag mit rund 130 Kolleginnen und Kollegen in der Schützenstraße vor dem Karstadt-Gebäude steht. Die Filiale öffnet an diesem Tag zwei Stunden später. Die streikenden Mitarbeiter haben Trillerpfeifen und Plakate dabei. "Unser Karstadt muss bleiben", steht auf einem. Wie ein letztes Aufbäumen wirkt das an diesem kalten, verregneten Frühlingsvormittag. Wer soll jetzt noch helfen? Wer kann jetzt noch helfen?

OB Reiter im Urlaub, Baumgärtner vertritt ihn 

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schaut nicht vorbei. Er ist im Osterurlaub, hat aber seinen Wirtschaftsreferenten Clemens Baumgärtner (CSU) geschickt. Der muss sich einiges anhören, geduldig stellt er sich den Verbalattacken, spricht zu den Streikenden, bleibt bis zum Schluss. Viele in der Belegschaft fühlen sich von der Stadt alleine gelassen.

Nach der Demo suchen sie das Gespräch: Karstadt-Betriebsratschef Eduard Wölbitsch (l.) und Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner.
Nach der Demo suchen sie das Gespräch: Karstadt-Betriebsratschef Eduard Wölbitsch (l.) und Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner. © job

Baumgärtner: "Wir sind doch keine Bananenrepublik"

Betriebsrat Eduard Wölbitsch fragt den Wirtschaftsreferenten lautstark, warum die Stadt bereits eine Abrissgenehmigung für Ende dieses Jahres erteilt habe, "wenn hier noch Menschen in Lohn und Brot sind?" Baumgärtner erwidert, die Stadt könne Genehmigungen nicht nach Belieben verweigern oder hinauszögern. Zur AZ sagt er: "Wir sind doch keine Bananenrepublik."

Die Pläne des Multimillionärs René Benko

Wo sich die Streikenden versammelt haben, will die Signa-Gruppe des Multimillionärs René Benko, zu der der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof gehört, einen neuen Gebäuderiegel bauen mit Büros, Läden, Gastro und grünen Innenhöfen. Dafür muss das Karstadt-Gebäude aus den 70er Jahren abgerissen werden. Ursprünglich hätten die Mitarbeiter dann ins historische Hermann-Tietz-Haus (ehemals Hertie) am Hauptbahnhof umziehen sollen, es wird derzeit saniert. Doch das ist alles obsolet: Signa will dort nun kein Warenhaus mehr und kündigte den 250 Mitarbeitern.

Schwierige Jobsuche und Abschiedsschmerz

Auch wenn in der Stadt viele Fachkräfte gesucht werden, längst andere Firmen in dieser Karstadt-Filiale für sich werben und Lufthansa, Möbelhäuser und Bäckereien Job-Angebote an der Pinnwand im Untergeschoss ausgehängt haben – einfach wird es für viele nicht. Der Großteil ist schon älter: "Unser Durchschnittsalter ist 52 Jahre", sagt Betriebsrat Wölbitsch.

Dazu kommt die Sorge, woanders noch weniger oder nur in Teilzeit verdienen zu können. Und: der Abschiedsschmerz. "Sicher finde ich irgendwas", sagt Kassiererin Angelika Wagner (44), seit 25 Jahren im Unternehmen. "Aber mein Herz hängt so an diesem Haus, ich habe auch Kindheitserinnerungen hier, weil ich mit meinen Eltern oft hier einkaufen war."

Seit 25 Jahren ist Kassiererin Angelika Wagner (44) bei Karstadt. Mein Herz hängt an diesem Haus", sagt sie.
Seit 25 Jahren ist Kassiererin Angelika Wagner (44) bei Karstadt. Mein Herz hängt an diesem Haus", sagt sie. © iko

Noch hoffen sie

Sie und ihre Kolleginnen hoffen, dass es doch noch irgendwie weitergeht. Clemens Baumgärtner sagt: "Wir tun, was wir können. Aber ich will keine Versprechungen machen, die wir nicht halten können." Große Hoffnung setzen einige auf ein Gespräch, das heute stattfinden soll: Betriebsrat, Verdi-Vertreter und Insolvenzverwalter wollen sich mit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) treffen.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.