Mitarbeiter demonstrieren vor Galeria-Filiale in München: “Unser Karstadt muss bleiben!”

München - In der Gruppe schaut sie kämpferisch aus, aber wer die weißhaarige Frau mit der gelben Streikweste fragt, wie es ihr geht, sieht ihre Augen feucht werden. "Schlecht geht’s mir", sagt Rosemarie Aster.
Der Räumungsverkauf hat begonnen
"Wer soll mich denn jetzt noch nehmen mit 61 Jahren?" 45 Jahre arbeitet sie schon fürs Warenhaus, erst im Kaufhof am Stachus, der auch schon geschlossen worden ist, jetzt gegenüber, beim Karstadt am Hauptbahnhof. Doch nun soll auch hier bald endgültig Schluss sein: Am 30. Juni ist ihr letzter Arbeitstag. Der Räumungsverkauf hat schon begonnen.

Rosemaries lächerliche Abfindung
Fast ihr ganzes Arbeitsleben hat Rosemarie Aster für den Warenhauskonzern gearbeitet – zum Dank darf sie nun mit zwei Monatsgehältern Abfindung rechnen: lächerliche 5.400 Euro brutto etwa. Das Insolvenzrecht macht’s möglich. Dabei haben Rosemarie Aster und ihre Kolleginnen seit Jahren Gehaltseinbußen hinnehmen müssen: Sie haben auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichtet, von Tariferhöhungen hatte die Belegschaft nichts – sie nahmen das in Kauf, in der Hoffnung, dass ihre Filiale erhalten bleibt. "Verraten fühle ich mich", sagt die Verkäuferin.

Ein letztes Aufbäumen
Das ist der Grund, warum Rosemarie Aster am Mittwochvormittag mit rund 130 Kolleginnen und Kollegen in der Schützenstraße vor dem Karstadt-Gebäude steht. Die Filiale öffnet an diesem Tag zwei Stunden später. Die streikenden Mitarbeiter haben Trillerpfeifen und Plakate dabei. "Unser Karstadt muss bleiben", steht auf einem. Wie ein letztes Aufbäumen wirkt das an diesem kalten, verregneten Frühlingsvormittag. Wer soll jetzt noch helfen? Wer kann jetzt noch helfen?
OB Reiter im Urlaub, Baumgärtner vertritt ihn
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schaut nicht vorbei. Er ist im Osterurlaub, hat aber seinen Wirtschaftsreferenten Clemens Baumgärtner (CSU) geschickt. Der muss sich einiges anhören, geduldig stellt er sich den Verbalattacken, spricht zu den Streikenden, bleibt bis zum Schluss. Viele in der Belegschaft fühlen sich von der Stadt alleine gelassen.

Baumgärtner: "Wir sind doch keine Bananenrepublik"
Betriebsrat Eduard Wölbitsch fragt den Wirtschaftsreferenten lautstark, warum die Stadt bereits eine Abrissgenehmigung für Ende dieses Jahres erteilt habe, "wenn hier noch Menschen in Lohn und Brot sind?" Baumgärtner erwidert, die Stadt könne Genehmigungen nicht nach Belieben verweigern oder hinauszögern. Zur AZ sagt er: "Wir sind doch keine Bananenrepublik."
Die Pläne des Multimillionärs René Benko
Wo sich die Streikenden versammelt haben, will die Signa-Gruppe des Multimillionärs René Benko, zu der der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof gehört, einen neuen Gebäuderiegel bauen mit Büros, Läden, Gastro und grünen Innenhöfen. Dafür muss das Karstadt-Gebäude aus den 70er Jahren abgerissen werden. Ursprünglich hätten die Mitarbeiter dann ins historische Hermann-Tietz-Haus (ehemals Hertie) am Hauptbahnhof umziehen sollen, es wird derzeit saniert. Doch das ist alles obsolet: Signa will dort nun kein Warenhaus mehr und kündigte den 250 Mitarbeitern.
Schwierige Jobsuche und Abschiedsschmerz
Auch wenn in der Stadt viele Fachkräfte gesucht werden, längst andere Firmen in dieser Karstadt-Filiale für sich werben und Lufthansa, Möbelhäuser und Bäckereien Job-Angebote an der Pinnwand im Untergeschoss ausgehängt haben – einfach wird es für viele nicht. Der Großteil ist schon älter: "Unser Durchschnittsalter ist 52 Jahre", sagt Betriebsrat Wölbitsch.
Dazu kommt die Sorge, woanders noch weniger oder nur in Teilzeit verdienen zu können. Und: der Abschiedsschmerz. "Sicher finde ich irgendwas", sagt Kassiererin Angelika Wagner (44), seit 25 Jahren im Unternehmen. "Aber mein Herz hängt so an diesem Haus, ich habe auch Kindheitserinnerungen hier, weil ich mit meinen Eltern oft hier einkaufen war."

Noch hoffen sie
Sie und ihre Kolleginnen hoffen, dass es doch noch irgendwie weitergeht. Clemens Baumgärtner sagt: "Wir tun, was wir können. Aber ich will keine Versprechungen machen, die wir nicht halten können." Große Hoffnung setzen einige auf ein Gespräch, das heute stattfinden soll: Betriebsrat, Verdi-Vertreter und Insolvenzverwalter wollen sich mit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) treffen.