Mit Pistole in den Justizpalast

An der Sicherheitsschleuse zieht ein 58-Jähriger plötzlich eine geladene Walther PPK und drückt ab. Verletzt wird niemand, Security überwältigt ihn.
Rudolf Huber |
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Die Eingangshalle des Justizpalasts an der Prielmayerstraße: Beim Pförtner erkundigte sich der 58-Jährige nach einem Richter. Dann zog der die Waffe. Rudolf Huber
Die Eingangshalle des Justizpalasts an der Prielmayerstraße: Beim Pförtner erkundigte sich der 58-Jährige nach einem Richter. Dann zog der die Waffe. Rudolf Huber

An der Sicherheitsschleuse zieht ein 58-Jähriger plötzlich eine geladene Walther PPK und drückt ab. Verletzt wird niemand, Security überwältigt ihn.

München - Höchste Alarmstufe im Justizpalast am Stachus. Ein gepflegt wirkender Mann (58) will mit einem Richter sprechen. Als das ohne Anmeldung nicht möglich ist, zieht er plötzlich eine Waffe, versucht, auf eine Scheibe zu schießen. Der Pförtner verständigt den Sicherheitsdienst, der den Mann festnimmt. Er wird dem Untersuchungsrichter vorgeführt und psychiatrisch untersucht.

So weit die nackten Fakten eines ungewöhnlichen Polizeieinsatzes am Montagnachmittag mitten in der City. Doch die merkwürdige Kurzschlusshandlung des wohnsitzlosen Münchners hat eine lange, sehr lange Vorgeschichte.

Seit dem Jahr 1988 hatte es in dem gebürtigen Glonner gebrodelt. Der Mann fühlte sich von einem Richter falsch abgeurteilt. Es war um Vertragsstreitigkeiten gegangen. Der damals 33-Jährige unterlag. Für ihn war dieses Urteil all die Jahre der Auslöser seines unaufhaltsamen beruflichen und privaten Abstiegs.

Am Montag wollte es der 58-Jährige nach so langer Zeit doch noch einmal genau wissen: Er ging ein Vierteljahrhundert nach dem Richterspruch am Oberlandesgericht in den Justizpalast an der Prielmayerstraße – bewaffnet unter anderem mit einer Pistole. Er erkundigte sich nach einer Rechtsberatung, wollte mit dem damals zuständigen Richter aus der Vorinstanz, dem Landgericht, sprechen.

Als ihm der Pförtner erklärte, dass dies nicht spontan möglich sei, dass er die Beratung schriftlich beantragen müsse, ging der Mann wortlos zur Sicherheitsschleuse. „Daraufhin hat er eine Schusswaffe gezogen, auf eine Glasscheibe über der Türe gezielt und mehrmals abgedrückt”, so Polizeisprecher Wolfgang Wenger. „Es hat sich aber kein Schuss gelöst.”

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand außer dem Mann wusste: Bei der Waffe handelte es sich um eine Walther PPK, wie sie früher auch die bayerische Polizei benutzte. Sie war geladen – mit fünf Schuss scharfer Munition. „Sie war nur nicht durchgeladen”, so Wenger.

Nachdem er nicht damit schießen konnte, legte der Mann die Waffe in der Durchreiche zum Pförtner. Und sagte sinngemäß, so Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch: „Ich bin wohl sogar dazu zu dumm!”

Anschließend holte er aus seinem Rucksack eine täuschend echt wirkende Feuerzeug-Pistole, noch ein Magazin und ein Messer und gab sie ebenfalls ab.

Der Sicherheitsdienst nahm den Mann an Ort und Stelle fest – „ohne Probleme”, so Polizeisprecher Wenger.

Steinkraus-Koch berichtete, der verhinderte Attentäter sei seit längerem ohne festen Wohnsitz und habe wohl häufig in Zügen übernachtet. Ein sprichwörtlicher Penner ist er nicht, er machte bei der Vernehmung einen klaren und strukturierten, einen ordentlichen, ja sogar adretten Eindruck. Deswegen soll er auch in U-Haft – und wird nicht per vorläufigem Unterbringungsbefehl in eine Nervenklinik eingewiesen.

Ein Jahr nach dem 1988er-Urteil wurde gegen den heute 58-Jährigen noch einmal ermittelt. Laut Thomas Steinkraus-Koch ging es damals um die Bedrohung von Justizbeamten. „Da hat er sich wohl im Rahmen des Zivilverfahrens vor dem Oberlandesgericht gegenüber dem Gericht entsprechend geäußert.” Worum es dabei genau ging, lässt sich womöglich nie mehr feststellen: Die Akten sind mittlerweile vernichtet.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den 58-Jährigen wegen eines Waffendelikts, und zwar wegen des Führens einer halbautomatischen Schusswaffe. Außerdem wegen versuchter Sachbeschädigung. „Ich möchte betonen: Er hat auf keinen Menschen gezielt”, so Steinkraus-Koch. „Er hat auch keinen Menschen in irgend einer Weise bedroht.
Im Gegenteil: Er hat zum Pförtner noch gesagt, er soll jetzt nicht erschrecken.”

Die Waffe, so der Festgenommene, habe er geerbt und 1973 zuletzt benutzt. Und warum ließ er sich so lange Zeit, um noch einmal wegen seines Prozesses nachzufragen? Der Mann erklärte, erst jetzt den Mut gefasst zu haben, mit diesen Leuten sprechen. Und er sei, so sagte er in der Vernehmung, sowieso ein „zu kleines Licht”, als dass er jemals zu Justizministerin Beate Merk vorgelassen worden wäre.

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