„Mit einer Waffe hat er plötzlich Allmacht“

Der grausame Mord an Katrin Michalk schockte München. Der Psychologe Christian Lüdke versucht zu erklären, was in dem mutmaßlichen Täter Marco F. vorging
AZ: Herr Lüdke, der Mörder hat ausgesagt, er habe die Wohnung seines Opfers haben wollen. Kann das wirklich ein Mordmotiv sein?
CHRISTIAN LÜDKE: Das greift zu kurz.
Vielleicht hat er tatsächlich so simpel gedacht.
Spielen wir das mal im Kopf durch: Der Junge ist offenbar erkennbar eingeschränkt in seiner Intelligenz, baut sich seine eigene Gewaltwelt und möchte von zu Hause weg. Die Mutter nervt, die Schwestern nerven, er will einfach nur weg. Er weiß aber auch, dass er keine Wohnung finden wird. Weil er kein Geld hat und nicht weiß, was der normale Weg ist, um eine Wohnung zu bekommen. Also beschließt er dafür zu sorgen, dass eine Wohnung frei wird.
Könnte das in seinem Kopf so funktioniert haben?
Nein, denn Marco hat sich einen Facebook-Account angelegt, er hat ein Computerspiel gespielt. Er war fit im Internet, er hätte dort nach einer Wohnung suchen können und sich dann Geld klauen können.
Gewaltfantasien hatte er offenbar schon vorher. Auf seinem Facebook-Profil sind Fotos von Mangakämpfen und Schwertern.
Diese Fantasien entstehen aus einem Gefühl der Angst und Ohnmacht. Mit einer Waffe hat er plötzlich Allmacht. Zuerst lädt er diese Fotos bei Facebook hoch, dann prahlt er vor Freunden damit, dass er sich eine Waffe besorgen möchte, dann setzt er die Gewaltfantasien in die Realität um.
Ist davon auszugehen, dass eine schwere psychische Störung vorliegt?
Ja, aber welche kann man noch nicht sagen. Vielleicht hatte Marco F. einen Schub paranoider Schizophrenie, und er hat Katrin Michalk nicht als Mensch wahrgenommen und deshalb so brutal auf sie eingestochen.
Er hat sich nicht die Mühe gemacht, Beweise wie blutverschmierte Kleidung und den Griff der Tatwaffe zu verstecken. Die fand die Polizei bei ihm im Zimmer.
Entweder der Mörder hat kein Unrechtsbewusstsein oder er hat wirklich geglaubt, dass ihm die Polizei nicht auf die Schliche kommt. In jedem Fall liegt noch viel Arbeit vor der Polizei, denn bisher sind viele Brüche in diesem Fall. Jetzt gilt es herauszufinden, warum er die Frau wirklich ermordet hat.
Der Kriminal-Psychologe Christian Lüdke arbeitet auch in der psychologischen Ausbildung von Spezialeinheiten der Polizei.
Interview: Jasmin Menrad