Mit der Kraft des glühenden Erdkerns: Münchens Öko-Schatz der Tiefe

München – Stück für Stück wächst Münchens gewaltigster Tank in die Höhe. 50 Meter sollen es am Ende sein mit einem Durchmesser von 45 Metern. 45.000 Kubikmeter Thermalwasser wird der Sendlinger Speicher einmal fassen.
München sitzt auf einem Öko-Schatz: In rund 3200 Meter Tiefe befindet sich ein schier unerschöpflicher Vorrat an heißem Wasser. Gespeichert ist das Thermalwasser im Malm, einer speziellen Kalksteinschicht. Das Wasser wird vom Erdinneren aufgeheizt und auf Temperatur gehalten.
"Dank der Malmschicht sind in München und südlich der Landeshauptstadt die geologischen Voraussetzungen für Geothermie so gut wie in kaum einer anderen Region in Deutschland", erklärt Thomas Gilg, Chef der europaweit größten Geothermieanlage auf dem Gelände des Heizkraftwerks Süd.

"Bohrt man entsprechend tief, wie es sich bei unserer Anlage in Sauerlach angeboten hat, kann das Wasser über 140 ˚C heiß sein", sagt Thomas Gilg. Genug, um mit dem Thermalwasser dort auch Elektrizität erzeugen zu können. In Sendling ist das Wasser maximal 108 Grad heiß, daher gewinnt man hier ausschließlich Wärme.
In 1000 Metern Tiefe ist das Wasser etwa 100 Grad heiß
München baut seit rund 20 Jahren die Geothermie aus. Die Anlage in Sendling soll nach Abschluss aller Arbeiten rund 80.000 Münchner mit umweltfreundlicher und preiswerter Wärme versorgen.
Die längste Bohrung in Sendling geht über 4300 Meter. Was daran liegt, dass nicht senkrecht nach unten, sondern aus technischen bzw. geologischen Gründen leicht schräg gebohrt werden musste.

Die Anlage verfügt über drei so genannte Dubletten. Eine Doublette besteht aus einer Förderbohrung und einer Injektionsbohrung. Über ein Bohrloch wird heißes Wasser nach oben gefördert. Die Pumpe dafür sitzt in etwa 700 bis 1000 Meter Tiefe und ist etwa zehn Meter lang. Das etwa 100 Grad heiße Wasser wird an der Oberfläche durch Wärmetauscher geleitet.
Die dabei entzogene Energie wird auf das Fernwärmenetz übertragen. Anschließend fließt das auf 60 bis 80 Grad abgekühlte Wasser über ein zweites Loch, die Injektionsbohrung, zurück in die Tiefe. Das passiert in München ohne Druckerhöhung bei der Reinjektion, wodurch geologische Probleme in der Tiefe vermieden werden, so Betriebsingenieur Alexander Degen.
Empfindliche Erdmikrofone zeichnen Daten auf
Gebohrt wird bei der Erschließung von Geothermiequellen ähnlich wie bei der Suche nach Erdöl. Der Bohrturm in Sendling war 60 Meter hoch. Vorher muss das Gebiet allerdings sondiert werden. Spezialfahrzeuge senden dabei Schallwellen in den Untergrund.
An den Gesteinsschichten werden die Schallwellen reflektiert und an die Oberfläche zurückgeschickt. Hochempfindliche Erdmikrofone zeichnen die Daten auf. Dadurch können Informationen über die Beschaffenheit der Gesteinsschichten gesammelt und mit einer Software dreidimensionale Bilder der thermalwasserführenden Gesteinsformationen in mehreren Tausend Metern Tiefe erstellt werden, so Experten.

Die Vorteile von Geothermie liegen auf der Hand: Die Methode ist klimafreundlich. Beim Umwandeln von Erdwärme fällt weniger CO2 an als bei der Energiegewinnung mit Kohle, Öl oder Gas. Erdwärme ist zudem in menschlichen Zeitspannen gemessen unerschöpflich. Fossile Energieträger gehen dagegen langsam, aber sicher zur Neige.
Bei der Wärmeproduktion mit Geothermie geht kaum Wärmeenergie verloren. Geothermie funktioniert rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Photovoltaikanlagen funktionieren dagegen nur, wenn die Sonne scheint, und Windkraftanlagen stehen bei Flaute still. Beim Verbraucher in Gebäuden braucht eine Fernwärmetauschstation zudem deutlich weniger Platz als eine Öl- oder Gasheizung.
Gas und Kohle als Energiequelle sollen langfristig völlig wegfallen
Es gibt aber auch Nachteile: Der Bau neuer Anlagen ist mit hohen Kosten verbunden. Oft ist das benötigte Temperaturniveau erst in tieferen Erdschichten zu finden. Daher sind aufwendige Erdwärmebohrungen erforderlich. Dazu kommen die Kosten für das Fernwärmenetz.
Die Stadtwerke werden bis 2040 nach eigenen Angaben neuneinhalb Milliarden Euro ausgeben, um ihr Wärmeangebot auf erneuerbare Energien umzustellen. Gas und Kohle als fossile Lieferanten fürs Heizen sollen komplett wegfallen. Die SWM wollen in den kommenden Jahren zehn neue Geothermie-Anlagen mit 50 Bohrungen errichten.
Das Fernwärmenetz in der Innenstadt, das einen Großteil der Heizungen klimaneutral machen soll, soll von jetzt 1000 auf 1600 Kilometer Länge erweitert werden. Etwa ein Drittel der Investitionskosten soll der Bund zuschießen.
Der Ausbau des Fernwärmenetzes soll im Jahr 2025 beginnen. "Wir wollen pro Jahr 30 bis 50 Kilometer an Leitungen neu verlegen", sagt Karin Thelen, Geschäftsführerin Regionale Energiewende SWM.
Wo und wie München den Schatz aus der Tiefe fördert
Die Stadtwerke (SWM) betreiben sechs Geothermieanlagen in München und im Umland. Eine siebte Anlage entsteht derzeit auf dem Gelände des Michaelibads. Die Geothermieanlage Freiham liefert seit 2016 Fernwärme für den Münchner Westen.
Dahinter steckt ein neues ökologisches Energiekonzept: Ein Niedertemperatur-Fernwärmenetz versorgt Neubaugebiete wie Freiham, ein Hochtemperatur-Fernwärmenetz ältere Bestandsgebiete wie Neuaubing. In Sauerlach (Landkreis München) wird mit 140 Grad heißem Wasser aus 4200 Meter Tiefe Heizwärme und Strom erzeugt.

Die Anlage Riem liefert seit 2004 Wärme. Das Wasser aus 2700 Meter Tiefe ist 95 Grad heiß. Im Süden von München sollen in Kooperation mit benachbarten Gemeinden, weitere Geothermiepotenziale erschlossen werden.
Die SWM Geothermie-Anlage in Kirchstockach im Landkreis München produziert Fernwärme und wegen der hohen Temperaturen des Thermalwassers auch Strom. Die Anlage in Dürrnhaar, einem Gemeindeteil von Aying, ging 2012 zur Stromproduktion in Betrieb.
Nah an der Oberfläche oder tief?
Bei Geothermie wird zwischen oberflächennaher und tiefer Geothermie unterschieden: Oberflächennahe Geothermie nutzt Erdwärme aus bis zu 400 Metern Tiefe. Denn schon ab einer Tiefe von 50 bis 100 Metern ist die Temperatur ganzjährig konstant.
Wärme aus oberflächennaher Geothermie kann zum Beispiel Ein- und Mehrfamilienhäuser beheizen oder im Sommer Gebäude kühlen. Bei Tiefengeothermie wird Erdwärme genutzt, die zwischen 400 Meter und mehrere Kilometer tief unter der Erde liegt. Tiefe Geothermie kann ganze Stadtviertel mit Wärme oder Strom versorgen.