"Mit dem Sterben umgehen ist schwer": Wie das ein neuer Ort in München für Angehörige leichter machen will

München – Mit dem Tod eines Menschen kommt Chaos in das Leben. "Man muss das Chaos nicht ordnen, man soll Raum freihalten für die Trauer", meint Ulrich Keller. Der Katholik hatte vor vielen Jahren die Idee, dass die Kirche in München genau dort sein sollte, wo einsame und trauernde Menschen sind - nämlich am Friedhof. "Das ist Seelsorge in seiner ursprünglichsten Form", sagt Keller.

Seine Idee ist Wirklichkeit geworden. Am Dienstag eröffnete das "Haus am Ostfriedhof", 1500 Quadratmeter Stein-Holz-Glas, direkt an der Friedhofsmauer neben dem S-Bahn-Halt St.-Martin-Straße. Das lichtdurchflutete neue Haus soll ein offenes und gastliches Angebot für trauernde Menschen in München sein. "Für Menschen gleich welcher Konfession und genauso für Konfessionslose", das ist Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) ganz wichtig. Denn neben 30 Prozent Katholiken und 10 Prozent Protestanten sind die meisten Münchner Atheisten (oder gehören einer anderen Religionsgemeinschaft an).
In den hellen Räumen wird es Verabschiedungsfeiern und Erinnerungsfeiern geben
Die Stadt hat den Grund bereitgestellt. Die Katholische Kirche hat 12,5 Millionen Euro in die Baukosten investiert. Reinhard Kardinal Marx segnete das offene Haus für Trauernde: "Es ist ein Experiment. Wir sind neugierig, was hier passieren wird", so der hohe Kirchenmann.

"Als Kirche wollen wir für die Stadt da sein", sagte der Erzbischof von München und Freising. Es könne nicht sein, "dass der Einzelne allein bleibt, in seiner Trauer nach dem Tod eines nahen Menschen". In der modernen Welt setze dieses Haus ein Zeichen für das gemeinsames Tun.

Das Wunder des Lebens sei groß, doch mit dem Sterben umgehen sei schwer, sagte Kardinal Marx weiter. "Trauerprozesse bewegen und beschäftigen mich seit meiner Kindheit." Er berichtet aus der eigenen Biografie: Sein Vater sei überraschend im Alter von 64 Jahren gestorben, ein "schwerster Einschnitt". Als er nach der Todesnachricht nach Hause fuhr, sei das Elternhaus jedoch voller Menschen gewesen. Seine Mutter saß im Kreis von Nachbarn und Freunden. "Alle waren da, um zu trösten", so erlebte er es damals. Seine Mutter sei im Alter von 94 Jahren "lebenssatt" verstorben. Nach einem Traum an ihrem Krankenhausbett wusste Marx ganz genau: Dass, auch wenn die Mutter stirbt, "alles wird gut".
Die Trauerkultur verändert sich - heute gibt es 70 Prozent Feuerbestattungen
Die Trauerkultur ändert sich: Vor 100 Jahren gab es nur Erdbestattungen, jetzt gibt es in der Stadt 70 Prozent Feuerbestattungen. Die Abschiedsriten ändern sich ebenfalls. Deshalb können im neuen Trauerhaus Verabschiedungsfeiern und Erinnerungsfeiern stattfinden, auch ohne christlichen Hintergrund.
Die inklusive Mannschaft von Conviva macht die Gastronomie. Das mediterran angehauchte Restaurant bietet zudem Kaffee und Kuchen auf der Terrasse. Es gibt 140 Plätze. Das Lokal ist täglich von 8 bis 15 Uhr geöffnet – natürlich für Friedhofsbesucher, die nach einer Beerdigung zusammen sitzen mögen. Wer sich mit seiner Trauer allein fühlt: 15 Ehrenamtliche bieten im Café Gespräche an. Explizit alle Menschen sind hier willkommen – wie auch die Mitarbeiter der benachbarten Büros und die Spaziergänger.