Mit dem Rücken zum Bild

Acht Stunden stehen und schauen: Rudolf Oberhuber ist Aufseher im Lenbachhaus
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Ruhepol in der wilden Farbenpracht: Rudolf Oberhuber steht im Franz-Marc-Saal des Lenbachhauses.
Gregor Feindt Ruhepol in der wilden Farbenpracht: Rudolf Oberhuber steht im Franz-Marc-Saal des Lenbachhauses.

Acht Stunden stehen und schauen: Rudolf Oberhuber ist Aufseher im Lenbachhaus

Unter jedem Schritt des Aufsehers knackt der Boden, der Schlüsselbund, den er durch die Luft kreisen lässt, sirrt leise. Ansonsten ist die Abteilung „Münchner Malerei I“ absolut totenstill. Vor kurzem zierten hier noch gegenständliche Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert die zartbraun gestrichenen Wän- de, Porträts, die würdevoll in den Raum blicken, Landschaftsbilder, auf denen die Menschen unter einem bedrohlich düsteren Himmel für die Ernte schuften. Seit dem vergangenen Wochenende hängt hier das druckgrafische Werk von Wassily Kandinsky – rund 230 Holz- und Linolschnitte, Radierungen, Lithografien und Plakate aus den Jahren 1903 bis 1942

Die Stille ist kein Problem für die Aufseher, die hier ihre Runden drehen. Sagt jedenfalls Rudolf Oberhuber, der seit fünf Jahren ihr Vorgesetzter ist. Ganze 14 Tage waren nach Antritt seiner neuen Stelle damals verstrichen, als dem frisch engagierten Museumswärter angetragen wurde, er könne bald mehr Verantwortung übernehmen. Vier Monate später war er Dienstleiter.

Grauer Anzug und Krawatte gehören zu den Insignien von Oberhubers Führungstätigkeit, und wenn er spricht, dann bestimmt und präzise, ohne sich Mühe zu geben, sein breites Bairisch zu verbergen. Er und seine Mitarbeiter sind offiziell bei einer privaten Sicherheitsfirma angestellt, doch die meisten von ihnen arbeiten ständig hier im Lenbachhaus. Wenn man dem untersetzten, breitschultrigen Mann gegenübersteht, kann man sich ihn dennoch ohne weiteres als Rausschmeißer bei einem Rockkonzert vorstellen – trotz seiner 54 Jahre.

Strenge Regeln, ein Dach über dem Kopf

Aber Rudolf Oberhuber ist zufrieden mit seiner jetzigen Aufgabe, die lauten Töne braucht er nicht. Nur selten muss er tatsächlich Besucher zurechtweisen – etwa wenn sie den gebotenen Abstand zu den Bildern nicht einhalten oder sich auf eine Glasvitrine stützen. Eklats, Randale? Oberhuber schüttelt den Kopf. Nichts dergleichen. Strenge Regeln, ein Dach über dem Kopf bei der Arbeit, das genügt.

Sechzehn Jahre lang hatte er mit seinem Bruder eine Druckerei betrieben, bis der Preiskampf im Gewerbe den beiden das Genick brach. Das bedeutete den endgültigen Ausstieg aus der Branche: Mit den modernen Druckmaschinen kennt Oberhuber sich nicht aus, erneute Selbständigkeit kam nicht in Frage. Dann fiel ihm die Stellenanzeige der Security-Firma ins Auge, das Vorstellungsgespräch dauerte gerade mal 15 Minuten.

Rudolf Oberhuber kann überzeugen und sich durchsetzen - von den anderen Aufsehern erwartet er dasselbe. Manche von ihnen haben Probleme mit dem ständigen Stehen, achteinhalb Stunden dauert eine Schicht. Sich auf die Bänke zu setzen ist nur erlaubt, wenn kein Besucher in Sicht ist. Ein paar seiner Mitarbeiter musste Oberhuber schon einmal nach Hause schicken, weil die Beine nicht mehr wollten.

Die Lauferei durch Räume und Gänge hat der Chef aber längst hinter sich: Die meiste Zeit verbringt Oberhuber mit der Einteilung des Personals, er erstellt Schichtpläne und sorgt für den ordnungsgemäßen Ablauf vor Ort. Die Verwaltungsarbeit liegt ihm, doch für die „Münchner Malerei I“ hat er sein Büro ab und an gerne verlassen.

Zeit zum Bilderbetrachten bleibt wenig

Das Bild „Das Innere der Stephanskirche in Wien“ etwa – die Tafel klärt auf: Max Emanuel Ainmiller, 1848 – ist eines, das es ihm angetan hat. „So kleine Figuren, und jede Person hat ein eigenes Gesicht. Das ist für mich Kunst. Das kann nicht jeder.“ Wenn der oberste Aufseher sich ein wenig in ein Gemälde vertieft, dann kann er leicht zu schwärmen anfangen.

In Ainmillers „Stephanskirche“ geht es um die Ohnmacht des Menschen im Angesicht Gottes und der Architektur; ein paar Winzlinge verlieren sich auf dem Bild unter einem riesigen Rundbogen, von dessen Schatten sie beinah verschluckt werden. Dieses Aufgehen in der Kunst ist für einen wie Rudolf Oberhuber nicht möglich: Die ständige Bewegung, die Konzentration auf die Gäste verlangt den Aufsehern alles ab. Zeit zum Bilderbetrachen bleibt da wenig. Erinnerungen kommen auf an die Sicherheitsbediensteten im Fußballstadion, die mit dem Rücken zum Spiel die Ränge im Auge behalten. Lachen verboten.

An verregneten Wochenenden kommen viele Familien mit kleinen Kindern, unter der Woche sind häufig Schulklassen im Haus. Jugendliche, so Oberhubers Erfahrung, sind im Museum auch nicht wilder als Erwachsene. Er hat selbst eine Tochter und einen Sohn, beide sind erwachsen, wohnen aber noch im Elternhaus. Sie fragen ihn nicht nach seiner Arbeit, und er lässt sie damit in Ruhe. Die Wochenenddienste, die er schieben muss, kennt seine Familie noch von der Zeit der Selbständigkeit, seine Frau erledigt zusätzlich einen Minijob, fährt fremde Kinder zur Schule und mittags wieder nach Hause.

Wie sein Beruf eigentlich offiziell bezeichnet wird, weiß Rudolf Oberhuber selbst nicht genau. Allerdings biete die IHK mittlerweile einen Lehrgang an zur „geprüften Schutz- und Sicherheitskraft“. Der Ton dieser Formulierung scheint ihm zu gefallen: Genau, zuverlässig, ohne Firlefanz.

Tim Slagman

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