Mit dem Rollstuhl in München: "Ich will keinen goldenen Aufzug"

München - Er hat zwei kleine Töchter (4 und 15 Monate) mit seiner Lebensgefährtin, einen ehrenamtlichen Job als Münchner Grünen-Stadtrat – und ein Handicap: Oswald Utz (52) sitzt wegen seiner Glasknochenkrankheit im Rollstuhl.
Und weil er aus eigener Erfahrung weiß, welche Hindernisse Gehbehinderten in München das Leben täglich erschweren, kämpft er seit zwölf Jahren als "Behinderten-Beauftragter" der Stadt dafür, diese Hindernisse auszuräumen.
Am Donnerstag hat er einen Erfolg verbucht im Stadtrat: Der Kommunalausschuss hat seinem Vorschlag zugestimmt, das erste komplett barrierefreie Hotel Münchens zu bauen – im neuen Stadtteil Freiham. Weil zwar Hotels vereinzelt Zimmer für Rollstuhlfahrer anbieten – wenn aber ganze Gruppen (wie Mannschaftssportler) zusammen anreisen, müssen sie bislang in Umlandgemeinden ausweichen, wie nach Alling.
Was nur mühsam vorankommt, ist Utz’ Antragspaket, das er im Herbst für die Grünen im Stadtrat eingebracht hat. Da geht es um Verbesserungen beim MVV, in Schulen und beim Wohnungsbau. Wo also hakt es überall in München?
Zwei Mal umsteigen und vier Aufzüge auf dem Weg in den Job
AZ: Herr Utz, München senkt Bordsteine ab, hat Aufzüge an den U-Bahnen, baut neue Schulen behindertengerecht und hat Busse angeschafft, die sich absenken können, wenn ein Rollstuhlfahrer einsteigt. Sie kommen trotzdem nicht gut zurecht in der Stadt mit Ihrem Rollstuhl. Wo hakt es?
OSWALD UTZ: Ich stoße eigentlich in jeder Situation an unschöne Grenzen. Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn ich zum Arzt möchte, ins Kino oder zu einem Konzert.
Wie schaut Ihr täglicher Arbeitsweg aus? Sie wohnen ja mit Ihrer Familie in Neuhausen, im fünften Stock unterm Dach.
Ich fahre täglich zum Marienplatz ins Rathaus. Ich nehme also den Aufzug am Rotkreuzplatz, um in die U1 zu kommen. Dann gleich zwei Aufzüge am Sendlinger Tor, um in die U3/U6 umzusteigen. Und noch einmal einen am Marienhof. Das sind vier Aufzüge für eine Strecke.
Wie zuverlässig funktionieren die?
Leider nicht hundertprozentig. Mein erster Blick in der Früh ist deshalb der auf die MVG-Webseite mvg-zoom.de. Da kann man sehen, welche Aufzüge in den U-Bahnen gerade funktionieren, und welche nicht. Am Sendlinger Tor hakt es öfter mal. Wenn da nur ein Aufzug geht und der zweite nicht, habe ich ein Problem.
Wie lösen Sie das?
Dann steige ich erst gar nicht am Rotkreuzplatz ein, sondern nehme den 53er Bus bis zur Münchner Freiheit und steige da in die U3/6 um.
Sie könnten sich auch helfen und hochtragen lassen.
Mein elektrischer Rollstuhl wiegt 150 Kilo, hochtragen geht nicht. Im blödesten Fall fahre ich eine Station weiter und an der Oberfläche mit meinem Rollstuhl zurück. Das verzögert alles schon mal um eine halbe Stunde.
In einen Münchner Bus einsteigen, klappt das gut?
Sollte man meinen, ja – weil die Busse ja eigentlich mit dieser sogenannten Kneeling-Funktion ausgestattet sind. Damit können sie an den Haltestellen um acht Zentimeter seitlich abgesenkt werden, damit Gehbehinderte möglichst barrierefrei einsteigen können.
Was funktioniert nicht daran?
Es wird nicht so gehandhabt, dass diese Funktion immer automatisch eingeschaltet ist – der Busfahrer schaltet sie nur bei Bedarf ein. Wenn er mich beim Einsteigen wahrnimmt, weil ich nicht in einer größeren Menschentraube verschwinde, klappt das. Aber wie oft ist es schon vorgekommen, dass ich dem Fahrer gesagt habe, wo ich aussteigen möchte – und dann vergisst er mich. Und ich komme nicht rechtzeitig raus. Ein Problem, das viele ältere Menschen haben.
Theoretisch ließe sich die Funktion auf automatischen Dauerbetrieb schalten, sodass der Busfahrer gar nicht aufpassen muss.
Das ist der MVG aber zu teuer, weil das natürlich mehr Strom verbraucht und Teile verschleißt. Ich fordere dringend, dass sich das ändert. Berlin macht es ja auch so.
Ohne erwachsene Begleitperson nicht in den Gasteig
Wie läuft das, wenn Sie mit Ihrer Familie ins Kino gehen?
Absurd. Es gibt in den Kinos wie etwa im Matthäser ganz hinten eine Reihe Plätze ohne Kinosessel, wo wir Rollstuhlfahrer uns hinstellen können. Das heißt aber, dass ich da hinten sitze und meine Familie irgendwo anders, wo eben normale Kinositze sind. Können Sie sich vorstellen, wie man sich da fühlt? Wir Rollstuhlfahrer sind doch auch soziale Wesen. Die Allianz Arena hat das inzwischen charmanter gelöst.
Nämlich wie?
Da sind richtige Sitze neben leeren Plätzen für Rollifahrer. Da kann man also zusammen sitzen. Das freut mich sehr, dass da mitgedacht wurde.
Sie haben schon Ärger im Gasteig gehabt. Da wollten Sie mit Ihrer Tochter das Musical Conny im Carl-Orff-Saal sehen...
...ja, da haben die mich nicht reingelassen, weil ich keine erwachsene Begleitperson dabei hatte.
Erklärt wurde das mit Brandschutzgründen.
Stimmt, so ein Unsinn. Als wenn ich mich nicht selbstständig aus dem Haus rollen könnte, wenn es Alarm gibt. Sehen Sie, das ist das Absurde: Wenn jemand auf allen vieren in die Philharmonie krabbelt, ist der Brandschutz kein Problem. Aber sobald ein Rollstuhl beteiligt ist, machen die Zirkus. Das finde ich diskriminierend.
Ihre Tochter wird irgendwann in die Schule kommen. Sind Münchens Schulen gut gerüstet für – zum Beispiel – Gehbehinderte?
Nein, bei Weitem nicht alle. Ein Beispiel: In einem Münchner Gymnasium ist eine neue Mensa auch als Veranstaltungsraum gebaut worden. Kürzlich wollte eine rollstuhlfahrende Mutter, deren Söhne dort zur Schule gehen, eine Schulveranstaltung besuchen. Es gibt einen Lastenaufzug, der da hinauf fährt. Den durfte sie aber nicht nutzen – aus versicherungstechnischen Gründen, hieß es. Es hat mich viele Telefonate gekostet, um dieses Problem zu lösen. Ähnliches ist mir selber passiert, als ich ein Konzert in einem Schulgebäude besuchen wollte. Es gab dort einen Aufzug, aber den sperrt der Hausmeister nur während der regulären Schulzeit auf. Danach nicht mehr. Da hat man dann Pech als Besucher.
Können Sie sich eigentlich entspannt abends in einer Kneipe mit Freunden treffen?
Ich kann ja nur dorthin, wo man erstens ebenerdig reinfahren kann, und wo zweitens auch eine Behinderten-Toilette ist. In der Innenstadt geht das schon ganz gut, wie beim Paulaner im Tal oder im Rischart am Marienplatz. Aber überall da, wo man mehr als eine Stufe hochmuss, kann ich nicht mit. Wenn Freunde sich da treffen möchten, muss ich halt daheimbleiben.
Wie sieht es bei der ärztlichen Versorgung für Sie aus. Sind Ärzte in München für Sie gut erreichbar?
Ich kann mir einen Arzt nicht danach aussuchen, ob er gut ist und ob er mir empfohlen wird. Sondern nur danach, ob ich überhaupt zu ihm reinkomme. Deshalb gehe ich zum Zahnarzt in die Zahnklinik in der Goethestraße, dort gibt es eine Praxis für Menschen mit Behinderungen. Aber für den Fall, dass ich da mal eilig hinmüsste, sagen wir, mit einem Taxi, würde ich auch scheitern.
Weil Sie kein Taxi finden?
Weil ich im normalen Taxi nicht fahren kann. Ich bin auf Sonderfahrdienste angewiesen, die ihre Autos extra für Rollstuhlfahrer umgebaut haben. Allerdings: Da sollte man drei Tage im Voraus reservieren. Ansonsten ist es Glückssache, ob im Notfall spontan mal zufällig ein Wagen frei ist.
Ziemlich viele Hürden sind das, mit denen Sie zu tun haben.
Man könnte mir auch vorwerfen, dass München eh schon viel für Gehbehinderte tut, und dass wir da auf hohem Niveau jammern. Tun wir aber nicht. Ich will ja keinen roten Teppich für Gehbehinderte. Ich will auch keinen goldenen Aufzug. Ich mag nur unproblematisch in die U-Bahn oder in den Bus kommen und an der Gesellschaft teilhaben. Ich bin ein ganz normaler Steuerzahler und möchte mich im öffentlichen Raum bewegen und am Leben teilhaben, wie jeder andere auch. Das ist noch lange nicht der Fall.