Missbrauchter Münchner Priester: Enthüllungsbuch wird Fall fürs Gericht

Wolfgang F. Rothe aus München hat in einem Buch seinen eigenen Missbrauch aufgearbeitet und scharfe Kritik an der Kirche geäußert. Der beschuldigte Bischof geht dagegen vor - mit einem ersten Rückschlag.
von  Rosemarie Vielreicher
Der Münchner Priester Wolfgang Rothe.
Der Münchner Priester Wolfgang Rothe. © Christian Kaufmann

Er ist katholischer Priester, lebt und liebt diese Berufung, diese Lebensaufgabe. Gleichzeitig hadert er mit verkrusteten Wesenszügen der Institution Kirche - etwa dem Zölibat oder auch, wie mit Missbrauchsfällen umgegangen wird: Wolfgang F. Rothe.

Der Priester nimmt kein Blatt vor den Mund

Er denkt sich all das nicht nur, er sagt es auch. Und schreibt es auf. Im September hat der Pfarrvikar einer Münchner Pfarrei sein Buch "Missbrauchte Kirche" veröffentlicht. Nun hat er juristischen Ärger wegen mehrerer Passagen. Besser gesagt: der Verlag Droemer Knaur, der das Buch herausgebracht hat.

Kritik an der Kirche

Auf rund 250 Seiten kritisiert Rothe die katholische Sexualmoral scharf und schreibt auch darüber, dass er selbst missbraucht worden sei (AZ berichtete). Nicht etwa als Kind, sondern als erwachsener Mann. 2004 in St. Pölten ist das Unsagbare laut ihm passiert. Der Beschuldigte: ein Bischof aus Österreich.

Dr. Dr. Wolfgang F. Rothe: Missbrauchte Kirche. Eine Abrechnung mit der katholischen Sexualmoral und ihren Verfechtern; Droemer Knaur; 20 Euro.
Dr. Dr. Wolfgang F. Rothe: Missbrauchte Kirche. Eine Abrechnung mit der katholischen Sexualmoral und ihren Verfechtern; Droemer Knaur; 20 Euro.

Ein Buch, das zu Konsequenzen führen kann

All das aufzuschreiben, war eine Qual für ihn, heißt es im Vorwort. Dem Münchner war zudem bewusst, noch bevor er die erste Seite schrieb: Das könnte Konsequenzen für ihn haben. Denn, dass die Schilderungen Unmut bei der Kirche und vor allem auch bei den mit vollen Namen genannten Personen auslösen könnten, ist wenig überraschend. Er habe das aber in Kauf genommen.

Der beschuldigte Bischof geht juristisch vor

Der beschuldigte Bischof ist mittlerweile über 80 Jahre alt und im Ruhestand. Er will manche Aussagen nicht so stehen lassen und hat vor Kurzem beim Landesgericht für Strafsachen in Wien juristische Schritte gegen den Verlag eingeleitet. Das bestätigt das Gericht der AZ. Es geht ihm dabei zusammengefasst um seinen höchstpersönlichen Lebensbereich und Unwahrheiten darüber.

Der Bischof stört sich an der Unterstellung einer homosexuellen Neigung

In dem Entschädigungsantrag, der der AZ vorliegt, geht der Bischof aber zunächst nicht gegen den Missbrauchsvorwurf vor, sondern er stört sich daran, dass ihm in dem Buch homosexuelle Neigungen unterstellt würden. Rothe sagt zur AZ: "Ich bin überrascht, dass der Bischof nicht wegen der Missbrauchsvorwürfe klagt, sondern einen Nebenkriegsschauplatz aufmacht."

Laut Rothe haben sich vier Geistliche als schwul geoutet

Zur Erklärung: Rothe schildert in einem Abschnitt eine als "Bischofsouting" bekannt gewordene Pressekonferenz 1995 in Österreich, in der vier Geistliche als vermeintlich homosexuell geoutet wurden. Auch der besagte Bischof. Dagegen war dieser damals schon gerichtlich vorgegangen. Mit Erfolg. Er sieht diese alten Vorwürfe nun von Rothe wieder aufgewärmt und erneut an die Öffentlichkeit gezogen.

Das fordert der Bischof

Seine zwei Forderungen: zum einen eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung in Höhe von 11.000 Euro; zum anderen will er, dass eine vorläufige Mitteilung über das angestoßene Verfahren in einer Zeitung abgedruckt wird - gemäß österreichischem Mediengesetz.

Diese angestrebte Mitteilung hat das Landesgericht jedoch abgelehnt. Zur Begründung heißt es im Beschluss von Ende Oktober, es sei nicht davon auszugehen, dass die "Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung einer Entschädigung bestehen".

Beschwerde ist bereits eingelegt

Die Klägerseite hat dagegen im November Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) in Wien eingelegt. Im Beschwerde-Schreiben geht der Bischof dann doch auch auf den mutmaßlichen Übergriff ein. Er bestreitet erneut die unterstellte Homosexualität und nun auch die Missbrauchsvorwürfe vehement, räumt aber ein, dass er Rothe damals ein Beruhigungsmittel verabreicht habe.

Der Münchner Priester Wolfgang Roethe.
Der Münchner Priester Wolfgang Roethe. © Felix Hörhager/dpa

Durfte er die Tablette verabreichen?

Der Bischof argumentiert damit, dass er ein ehemaliger Arzt sei und in der Situation seines Erachtens dazu verpflichtet war. Laut Rothe stellte sich die Tablette als verschreibungspflichtiges Psychopharmakon heraus. Er kontert: "Wenn er sich als ehemaliger Arzt bezeichnet, gibt er zu, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht dazu berechtigt war. Er hätte das nicht tun dürfen."

Ein Sprecher des OLG Wien teilt der AZ mit, dass ein Senat aus drei Berufsrichtern über die Beschwerde urteilen muss. "Die Entscheidung liegt noch nicht vor." Eine öffentliche Verhandlung werde nicht stattfinden. Letztlich kann Rothe jetzt nur abwarten, weil nicht er, sondern der Verlag Verfahrensbeteiligter ist.

Ein "unschätzbarer Beitrag", die Kirche zu hinterfragen

Der Verlag Droemer Knaur äußert sich in der AZ so: "Was Wolfgang F. Rothe in diesem Buch sagt, leistet einen weiteren unschätzbaren Beitrag dazu, die bestehende Organisation der Katholischen Kirche zu hinterfragen." Die erste Entscheidung des österreichischen Gerichts begrüße der Verlag daher sehr. "Sie setzt ein wichtiges Zeichen für die Meinungsfreiheit und bestellt weiter den Boden für die notwendige kritische Aufarbeitung in dieser Organisation."

Der Anwalt des früheren Bischofs möchte auf AZ-Anfrage nichts sagen. Höflich und knapp teilt er mit: "Meines Erachtens gebietet es der Respekt vor der Justiz, als Parteienvertreter zu laufenden Verfahren nicht Stellung zu nehmen."

Keine Reue

Bereut Rothe das schonungslose Buch mittlerweile? "Nein", antwortet er sofort und mit fester Stimme, schiebt hinterher: "in keinster Weise". "Ich habe überwältigenden Zuspruch erhalten. Ich werde ständig von Menschen angesprochen, die mein Buch gelesen haben. Auch von meiner Gemeinde fühle ich mich unglaublich getragen. Die Menschen stehen hinter mir, das ist beinahe unvorstellbar."

Er musste den Weg der Öffentlichkeit wählen

Er sagt weiter zur AZ: "Der Hauptgrund, warum ich das mache, bin nicht ich. Ich möchte verhindern, dass auch anderen so etwas passieren könnte." Anfangs habe er nie vorgehabt, ein Buch zu schreiben. "In meiner damaligen Blauäugigkeit habe ich gedacht, als ich den Missbrauch erstmals ausgesprochen habe, die Kirche würde das jetzt aufarbeiten. Das ist aber nicht passiert, im Gegenteil." Daher müsse er den Weg über die Öffentlichkeit wählen.

In wenigen Wochen erscheint Rothes neues Buch

"Missbrauchte Kirche" bleibt übrigens nicht sein letztes Buch. Ende Januar 2022 veröffentlicht er das nächste: "Gewollt. Geliebt. Gesegnet. Queer-Sein in der Katholischen Kirche". "Ich bin dieses Mal Herausgeber. Es ist eine Sammlung von Zeugnissen queerer Menschen, die von ihren Erfahrungen mit der Katholischen Kirche berichten. Teilweise versöhnt, teilweise verbittert, teilweise haben sie die Katholische Kirche hinter sich gelassen." Rothe wird nicht verstummen. "Wenn es um Menschenrechte geht, niemals!"

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