Missbrauchs-Klage: Erzbistum München und Freising beruft sich nicht auf Verjährung

In Traunstein klagt ein Mann auf Schadenersatz, weil er als Kind von einem Pfarrer missbraucht wurde. Die Erzdiözese pocht nun doch nicht auf Verjährung. Obwohl ihr eine Prozesswelle droht.
von  Heidi Geyer
Involvierte des Prozesses nehmen in der Katholischen Akademie Bayern an einer Pressekonferenz teil. (Archivbild)
Involvierte des Prozesses nehmen in der Katholischen Akademie Bayern an einer Pressekonferenz teil. (Archivbild) © Sven Hoppe/dpa/Archivbild

München - Es könnte sie teuer zu stehen kommen: Die Erzdiözese München und Freising will sich in einer Zivilklage am Landgericht Traunstein nicht auf das Recht auf Verjährung berufen.

Dort hatte ein 37-jähriger Mann geklagt, der von einem Priester in Garching an der Alz missbraucht worden sein soll. Jener Priester H. war bereits wegen ähnlicher Delikte verurteilt und rückfällig geworden (AZ berichtete). Weil die Kirche darum wusste, will der Mann nun gerichtlich prüfen lassen, ob er Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung hat. Strafrechtlich sind die Vorwürfe bereits verjährt.

Laut dem Investigativportal "Correctiv" handelt es sich bei dem Kläger um Andreas Perr. Er wirft dem damaligen Gemeindepfarrer H. vor, ihm und einem seiner Freunde im Pfarrhaus Pornofilme aufgenötigt zu haben. Juristisch gilt dies bereits als sexueller Missbrauch.

Perr berichtet "Correctiv" nicht von einem körperlichen Übergriff des Priesters. Jedoch seien die Folgen der Situation dennoch drastisch gewesen. Der Kläger sagt, seine Mutter habe ihm nicht geglaubt, als er ihr von den Vorwürfen erzählt hatte. Perrs Leben geriet infolge der Situation aus den Fugen, er wurde sogar drogensüchtig und kam ins Gefängnis.

Über 700.000 Euro Schmerzensgeld in ähnlichem Fall

Perrs Klage richtet sich gegen vier Beschuldigte: den mutmaßlichen Täter H., das Erzbistum und die früheren Erzbischöfe Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, den emeritierten und kürzlich verstorbene Papst. In seinem Fall wird das Verfahren auf einen Rechtsnachfolger übergehen.

Für die Erzdiözese ist der Fall heikel. Rein rechtlich könnte sie sich auf Verjährung berufen, jedoch hätte ihr dies so ausgelegt werden können, dass sie sich um die Aufarbeitung und Entschädigung drückt. Bei einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche, auf der Kardinal Reinhard Marx eine Bilanz zum Missbrauchsgutachten ziehen wollte, wäre es beinahe zum Eklat gekommen.

Kurzzeitig war der Eindruck entstanden, die Kirche würde doch die Verjährung geltend machen, was zu Irritationen bei Opfervertretern führte.

Dies ist jetzt jedoch nicht mehr der Fall: "Die Erzdiözese München und Freising hat ihre Klageerwiderung in der Feststellungsklage vor dem Landgericht Traunstein fristgerecht eingereicht und erhebt die Einrede der Verjährung nicht", teilte das Bistum am Mittwoch mit.

"Die Erzdiözese ist bereit, zur Anerkennung des Leids des Klägers ein angemessenes Schmerzensgeld zu leisten und für darüber hinausgehende Schadensersatzbegehren eine angemessene Lösung zu finden", hieß es in der Mitteilung weiter.

Für die Erzdiözese ist der Schritt insofern riskant, da eine Welle von Klagen folgen könnte. Das Erzbistum Köln entschied in einem ähnlich gelagerten Fall im Dezember ebenfalls, keine Verjährung geltend zu machen. Der Mann fordert mehr als 700.000 Euro Schmerzensgeld, noch hat das Gericht nicht darüber entschieden. Für weniger finanzkräftige Bistümer könnte es im Falle von erfolgreichen Klagen jedoch eng werden, sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller.

Betroffenenbeirat: "Das ist ein klares Statement"

Zwar erhalten die Opfer von sexueller Gewalt durch Kirchenvertreter schon jetzt Geld. Allerdings ist der Weg dorthin äußerst schwierig für traumatisierte Menschen, die der Missbrauch aus der Bahn geworfen hat, wie Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats der Erzdiözese der AZ sagte. Hinzu komme, dass die Höhe der Anerkennungsleistungen äußerst unterschiedlich ausfalle und bislang bei höchstens 50.000 Euro liegt.

Dass die Erzdiözese sich nicht dem Prozess in Traunstein entzieht, wertet Kick positiv: "Das ist ein klares Statement." In der Nacht zu Mittwoch lief für die drei übrigen Beklagten die Frist zur Klageerwiderung ab. Das Gericht hat als Termin für die mündliche Verhandlung den 28. März vorgeschlagen.

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