Migranten in München: Zwischen Respekt und Vorurteilen

München will die Zivilgesellschaft stärken, Alltagsrassismus und rechte Strömungen bekämpfen. Ein neues Konzept soll dabei helfen.
von  N. Kettinger, Fotos und Protokolle: Anja Perkuhn
Mehr als ein Drittel der Münchner hat einen Migrationshintergrund.
Mehr als ein Drittel der Münchner hat einen Migrationshintergrund. © Anja Perkuhn

München - Bayerns Hauptstadt ist bunt: Mehr als ein Drittel der Münchner hat einen Migrationshintergrund, in der Stadt leben Menschen aus 182 Nationen friedlich zusammen, zumindest meistens.

Damit das so bleibt, hat die Fachstelle gegen Rechtsextremismus das Konzept „München für Demokratie, Toleranz, Respekt – Die Münchner Handlungsstrategie gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ entwickelt, die heute im Stadtrat zum Beschluss ansteht.

Ein wichtiger Baustein: In den Kampf gegen Rechts sollen einmalig 50 000 und jährlich 100 000 Euro zusätzlich investiert werden.

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Denn auch in München geschehen fremdenfeindliche Straftaten. Erst vergangene Woche wurde ein in Angola geborener Busfahrer aufgrund seiner Hautfarbe beleidigt und anschließend ausgeraubt. Zwischen Juni 2013 und Juli 2014 entdeckte die Polizei in fünf Fällen Waffen oder Sprengstoff bei Personen, die rechtsextremes Propaganda-Material besaßen. Zwei der NSU-Morde wurden hier begangen – und ein Anschlag auf die Synagoge geplant.

Eine LMU-Studie zeigt zudem, wie weit verbreitet der Alltagsrassismus, von dem die Menschen auf dieser Seite erzählen, in der Bevölkerung ist: 51 Prozent der Befragten wurden als stark oder mittelmäßig muslimenfeindlich eingestuft. Außerdem wurden Vorbehalte gegen Juden, Ausländer generell, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung sowie Obdachlose deutlich. Und nicht zuletzt marschieren jeden Montag die Islamfeinde von Bagida durch die Stadt.

Anders als das Handlungskonzept der Bayerischen Staatsregierung von 2009, das vor allem auf den Verfassungsschutz setzt, zielt die Münchner Strategie darauf ab, die Zivilgesellschaft zu stärken, Vorurteile abzubauen und so rechten Strömungen den Boden zu entziehen.

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Die Stadt hat in dieser Hinsicht bereits einiges getan: von der Gründung des „Münchner Bündnisses für Demokratie und Rechtsstaat“ über die Einrichtung der Fachstelle gegen Rechtsextremismus bis hin zur finanziellen Förderung einer Opfer-Beratungsstelle.

Die Handlungsstrategie beschreibt nun Möglichkeiten, wie das Netzwerk noch engmaschiger werden könnte: etwa durch die Einbindung von Sportvereinen oder „Mobile Beratungsteams“, die über Extremismus informieren.

Um die Effizienz des Konzeptes zu prüfen und es weiterzuentwickeln, will die Stadt für 50 000 Euro eine wissenschaftliche Auswertung ausschreiben. Zudem soll bei der Fachstelle ein Fonds von jährlich 100 000 Euro eingerichtet werden, aus dem Zuschüsse für Aktionen gegen Rassismus gezahlt werden.

 

„Als würde man mir die Hose ausziehen“

Büsra E. (23), Vorstandsassistentin: „Dumme Sprüche, dumme Blicke, vor allem wegen des Kopftuchs, das erlebe ich beinahe jeden Tag. Das merke ich schon fast gar nicht mehr. Mei, ich bin mit der ganzen Situation aufgewachsen, seit ich in München geboren wurde. Man kann das nicht alles so nah an sich heranlassen. Das beeinflusst das Leben sonst zu sehr.

Schlimm ist es nur, wenn Leute handgreiflich werden. Vor zwei Wochen wollte meine Schwester gerade in einen Bus einsteigen, da hat eine Frau ihr von hinten das Kopftuch heruntergezogen. Das ist, als würde man jemandem ein Kleidungsstück runterreißen. Das Tuch ist ein Teil von mir. Wenn es mir jemand wegnimmt, ist es, als würde man mir die Hose ausziehen.

Im Bus hat niemand etwas gemacht, alle haben nur geguckt. Da hat meine Schwester sie angesprochen und gefragt, warum niemand reagiert oder ihr hilft. Der Busfahrer hat die Frau schließlich rausgeworfen und gesagt, wenn sie nicht geht, ruft er die Polizei.

Meine Schwester ist stark und selbstbewusst, aber einige meiner Freundinnen sind nicht so und tragen ihr Kopftuch nicht, obwohl sie es gern würden. Sie haben Angst davor, dass man sie in eine Schublade steckt oder ihnen etwas tut deshalb. Man muss schon einen dicken Pelz haben. Ich habe mich als Jugendliche auch manchmal gefragt, ob ich das schaffe.

Inzwischen freue ich mich, wenn mich Menschen offen auf mein Kopftuch ansprechen. Dann kann ich auch was erzählen. Um Vorurteile abbauen zu können, muss man sich doch besser kennenlernen.“

 

„Wie lange bleibst du?“

 

Wayan K. (19), FSJ’ler: „Als ich mich um ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Altenheim beworben habe, war die erste Frage: ,Wie gut können Sie Deutsch?’ Danach ging es darum, wie lange ich schon hier lebe – dabei steht in meinem Lebenslauf, dass ich aus Vietnam komme, aber auf deutschen Schulen gewesen bin. In manchen Gesprächen heißt es auch plötzlich, nicht mal in bösem Tonfall: ,Und wie lange bleibst du noch hier?’ Das kann ich manchmal mit einem guten Spruch kontern, zum Beispiel: ,So lange ich Lust habe’.

Und wenn ich mit meiner weißen Mutter unterwegs bin, die mich adoptiert hat, gibt es oft blöde Blicke. Das wäre ja fast noch okay. Schlimmer wird es aber, wenn sie gar nicht in Betracht ziehen, dass ich ihr Sohn bin, und meine Mutter fragen: ,Hey, ist das nicht ein viel zu junger Typ für Sie?’“

 

„Kein Arbeitsloser, sondern Arbeitgeber“

 

Dr. Mohammed Rihani (58), Apotheker: „Ich habe ja eine helle Hautfarbe, da sieht man nicht sofort, dass ich einen arabischen Hintergrund habe. Weil meine Frau aus freiem Willen ein Kopftuch trägt, ist es für sie viel schwieriger: Da sieht man es sofort und da fährt schon mal ein Bus einfach weiter. Und natürlich merkt man den Hintergrund am Namen.

Ich habe in Bonn studiert, seit 1995 lebe ich in München. Da habe ich wegen meines Namens nicht viel gespürt. Ich denke, auch weil ich eher in akademischen Kreisen unterwegs bin. Aber als mein Bruder und seine beiden Söhne aus Syrien herkommen wollten, vor einem halben Jahr, als Kontingentflüchtlinge, ganz offiziell, mit Genehmigung des Ministeriums, da wurden wir im Jobcenter sehr schlecht behandelt.

Die Sachbearbeiterin hat immer wieder gesagt: ,Das geht nicht, das geht nicht.’ Erst als ich ihr erklärt habe, dass ich kein Arbeitsloser bin, sondern Arbeitgeber und ich weiß, dass es im deutschen Gesetz steht, hat sie einmal wirklich nachgeschaut. Und gesehen, dass es wirklich geht.“

 

„Manche sind überrascht, wenn ich lese“

 

Shai G. (34), Eventmanagerin: „Ich bin in München geboren, bin ein richtiges Münchner Kindl. Ich merke aber seit meiner Kindheit, dass das für viele nicht ausreicht.

Mein Vater hat dunkelblonde Haare und dunkelgrüne Augen, sehr untypisch für einen Türken – da ist die Überraschung dann immer umso größer, wenn jemand den türkischen Nachnamen hört. Als wir in meiner Kindheit Ende der Achtziger nach Trudering in eine neue Wohnung gezogen sind, haben uns die Nachbarn sehr herzlich aufgenommen. Dann haben wir das Namensschild angebracht. ,Sie sind ja gar nicht deutsch!’, haben sie gesagt. Danach waren sie immer noch nett und freundlich, aber man hat gemerkt: Da ist jetzt was.

Ich merke, dass viele Menschen in ihren Gedanken sehr festgefahren sind und viele Vorurteile immer noch da sind. Ein türkischer Nachname bedeutet für sie: Da kann nicht viel Bildung da sein. Es ist mir zum Beispiel schon passiert, dass jemand, den ich kaum kannte, mich gesehen hat, wie ich ein Buch lese, und gesagt hat: ,Das hätte ich jetzt aber nicht gedacht!’“

 

„Lass mich raten: Japan?“

 

Quynh N. (23), Servicekraft: „Bei meiner Arbeit hinter der Theke und auch in meiner Realschule abends habe ich vor allem mit Menschen zu tun, die auch aus einem anderen Land hergezogen sind wie ich aus Vietnam. Man weiß das voneinander und redet ganz normal.

Man merkt es aber gleich, wenn jemand nicht so viel mit Menschen mit Migrationshintergrund zu tun hat. Es passiert mir immer wieder, dass Leute nicht einfach fragen, woher ich komme. Stattdessen sagen sie: ,Oh, lass’ mich raten! China? Japan? Thailand?’ Einmal fragte mich dann auch jemand: ,Welche Länder gibt’s da noch mal noch so?’ Die meisten sagen dann als Entschuldigung, dass sie wenig Kontakt mit Asiaten haben. Meistens kann ich über so etwas lachen.“

 

„Wir zahlen alles selbst“

Aurea M. (31), Reinigungskraft: „Vor zwei Wochen hat in der U-Bahn ein Mann angefangen, meine beiden größeren Kinder zu beschimpfen, weil sie gespielt haben. Ihm war das zu laut. Deshalb hat er uns gesagt, wir sollen dahin zurückgehen, wo wir hergekommen sind. ,Ich bin Deutscher’, hat er geschrien, ,ich zahle hier Steuern! Ich gehe arbeiten für Sie, weil Sie vom Sozialamt leben!’

Mein Mann und ich wohnen seit zehn Jahren in München und arbeiten, wir zahlen alles für uns selbst und haben noch nie Geld vom Sozialamt bekommen. Zum Glück haben mir viele Leute in der Bahn geholfen und etwas gesagt, ein paar Jungs sind aufgestanden und haben dem Mann gesagt, er soll die Klappe halten.

In den zehn Jahren in München ist das zum Glück das erste Mal gewesen, dass mir so etwas Schlimmes passiert ist.“

 

 

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