Mietpreisbremse in München: Kein Mieter zieht sie – aus Angst

In fast anderthalb Jahren ist in München nur ein einziger Fall vor Gericht gelandet. Niemand traut sich, sich mit seinem Vermieter anzulegen und in München die Mietpreisbremse zu ziehen.
Von Florian Zick |
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Wer in München eine neue Wohnung hat, der ist darüber erst einmal froh – völlig egal, wie viel diese kostet.
dpa Wer in München eine neue Wohnung hat, der ist darüber erst einmal froh – völlig egal, wie viel diese kostet.

Das Urteil vom Amtsgericht mit dem Aktenzeichen 422 C 6013/16 ist ein besonderes: Auch fast anderthalb Jahre nach Einführung der sogenannten Mietpreisbremse ist es bislang das einzige in München, das zu diesem Thema gefällt worden ist. Und selbst dieses Urteil streift die Mietpreisbremse nur indirekt.

Wie die Mietpreisbremse in München versagt

Irgendwie ist das schon erstaunlich. Schließlich hat der bayerische Landtag das entsprechende Gesetz am 1. August 2015 mit großer Hoffnung in Kraft gesetzt. In Kommunen mit angespanntem Wohnungsmarkt sollte Mietern endlich ein Instrument in die Hand gegeben werden, um sich gegen Wucherpreise zu wehren. Ein Werkzeug, wie maßgeschneidert für die Situation in München.

Was also ist los in dieser Stadt? Warum nutzt die Mietpreisbremse niemand? Sind die Münchner einfach nur klagefaul?

Dass sich die Vermieter seit Neuestem in Mäßigung üben würden, kann man angesichts der Angebote, die in den einschlägigen Immo-Portalen gehandelt werden, jedenfalls nicht behaupten: 740 Euro kalt für 32 Quadratmeter nördlich vom Olympiapark. 725 für 25 Quadratmeter in Thalkirchen. Dagegen, würde man meinen, muss doch jemand etwas unternehmen.

Mietpreisbremse? Viele Leute haben einfach „Schiss vor dem Vermieter“

Dorothee Schiwy (SPD), Münchens neue Sozialreferentin, hat eine klare These, warum das nicht geschieht: Wer in München eine neue Wohnung hat, der ist darüber erst einmal froh – völlig egal, wie viel diese kostet. Gleich nach dem Einzug erst einmal den Vermieter verklagen? „Da braucht man schon verdammt gute Nerven“, sagt die 44-Jährige. Beim Münchner Mieterverein sieht man das ähnlich. Viele Leute hätten einfach „Schiss vor dem Vermieter“, sagt Sprecherin Anja Franz.

Fälle, in denen es angezeigt wäre, gegen den Vermieter vorzugehen, gibt es allerdings mehr als genug: Göran Kauermann, Statistikprofessor an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, geht davon aus, dass bei fast jeder vierten Neuvermietung der Mietpreis mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt – und damit gegen die Mietpreisbremse verstößt.

In der SPD wird inzwischen intensiv über eine Gesetzesänderung diskutiert. Man müsse das Verhältnis umdrehen, sagt der Schwabinger Bundestagsabgeordnete Florian Post. Bei Verstößen gegen die Mietpreisbremse müsse man dem Mieter erlauben, die Miete eigenhändig zu kürzen. Dann müsse der Vermieter vor Gericht ziehen, wenn er seine Preise durchdrücken möchte. So wie es jetzt laufe, funktioniere die Mietpreisbremse jedenfalls nicht.

Mietrecht-Fall vor Gericht: Verwandte dürfen wohnen bleiben

Es ist allerdings nicht nur das Abhängigkeitsverhältnis, dass eine Klage unwahrscheinlich macht, es gibt auch strukturelle Probleme. So sieht die Mietpreisbremse eine ganze Reihe von Ausnahmen vor. Wenn es sich um einen Erstbezug handelt, das Haus kürzlich umfangreich modernisiert worden ist oder die Mieten dort schon immer sehr hoch waren, greift das Gesetz nicht.

Vor allem größere Vermieter behelfen sich inzwischen auch oft, indem sie ihre Wohnungen nur noch möbliert vermieten. Auch die beiden genannten Beispiele am Olympiapark und in Thalkirchen sind solche. Wer soll schon nachprüfen, ob das eingebaute Regal oder der bereitgestellte Fernseher auch wirklich diesen absurden Mietpreis wert sind?

Insgesamt kann man also sagen: Vermieter sind sehr findig, wenn es darum geht, die Mietpreisbremse zu umgehen. Entsprechend groß ist auch die allgemeine Verwirrung.

Die Zahl der Nachfragen beim Mieterverein nimmt zu

Zuletzt habe die Zahl der Nachfragen aber erheblich zugenommen, heißt es beim Mieterverein. Während es in den gesamten zehn Monaten nach Einführung der Mietpreisbremse gerade einmal zwei bis drei Beratungsgespräche gab, schlage mittlerweile jede Woche ein neuer Fall auf.

„Man muss ja nicht gleich alles durchprozessieren“, sagt Sprecherin Anja Franz. Gut möglich aber, dass Aktenzeichen 422 C 6013/16 nicht das einzige zum Thema bleibt. Die gestiegenen Fallzahlen wertet der Mieterverein jedenfalls als klares Zeichen, dass die Münchner sich in Zukunft nicht mehr so viel von ihrem Vermieter gefallen lassen wollen.


Das einzige Mietpreis-Urteil in München

Das Amtsgericht München hat einer Mieterin Recht gegeben, die sich gegen ihre zu hohe Miete gewehrt hat. Es ist erst das erste Urteil zur Mietpreisbremse in München. Die ganze Geschichte lesen Sie hier.

 

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