Mieter raus - Luxus rein: "So stirbt Schwabing"

Wolfgang Roucka (71) ist in seinem Stadtteil so etwas wie eine Legende. Und er wohnt in einem der schönsten Häuser. Noch. Jetzt muss sogar er weichen.
von  Rudolf Huber
Idylle mit Baum: Bei der Kaiserstraße 4 steht eine Luxussanierung an. Die Lärche ist mittlerweile schon umgesägt.
Idylle mit Baum: Bei der Kaiserstraße 4 steht eine Luxussanierung an. Die Lärche ist mittlerweile schon umgesägt. © ho, hu

 Wolfgang Roucka (71) ist in seinem Stadtteil so etwas wie eine Legende. Und er wohnt in einem der schönsten Häuser. Noch. Jetzt muss sogar er weichen. Das Gebäude wird luxussaniert.

Für Wolfgang Roucka war sie immer ein Traum. Schon als junger Mann schlenderte er oft an dem turmgeschmückten Häuschen in der Kaiserstraße 4 vorbei und dachte: „Einmal hier wohnen – das wird wohl nie was.“ Was der Fotograf und „Mr. Schwabing“ jahrzehntelang als Hirngespinst abtat, ließ sich vor vier Jahren plötzlich doch noch realisieren. Er gab seine Eigentumswohnung im Norden der Stadt auf – und zog in den zweiten Stock, nur ein paar Gehminuten von seiner Poster-Galerie in der Feilitzschstraße entfernt.

Seinen letzten Lebensabschnitt wollte er in seinem Lieblings-Stadtteil verbringen. Ein Traum war wahr geworden. Gerade mal vier Jahre später ist der Traum auch schon wieder geplatzt. Roucka weiß, dass seine Tage in der wunderschönen, aber unrenovierten – und ganz schön teuren – Wohnung gezählt sind. Die Investoren sind da. Sie machen das, was sie immer machen, was sie in angesagten Vierteln am intensivsten machen: Sie ziehen eine Luxussanierung durch. Und verkaufen das Objekt zum Höchstpreis.

Die angestammte Klientel muss gehen. Das Phänomen „Spekulanten-Besichtigungs-Tourismus“ hat Roucka schon gleich nach der Woolworth-Pleite erlebt, als der Verkauf des ehemaligen Geschäftsgebäudes und der dazu gehörigen Kaiserstraße 4 anstand. Was kommt, wie es weiter geht, das kann sich der Schwabinger nur zu gut vorstellen. Der derzeitige Hausbesitzer, der schon in der Türkenstraße einschlägig und nachhaltig in Erscheinung getreten ist, hüllt sich aber in Schweigen.

Wolfgang Rouckas Schicksal ist symptomatisch in einem Stadtteil wie Schwabing. Er fühlt sich geradezu umzingelt von Investoren und Projekten: „Das Schreckgespenst Abrissbagger beherrscht Schwabing immer mehr“, erlebt er Tag für Tag. „Nachdem die alte Post in der Leopoldstraße mit ihrer anmutigen roten Fassade mittlerweile durch einen Neubau ersetzt ist, kommt als nächstes das ehemalige Woolworth daneben dran.“ Dann zieht die Sanierungs-Karawane weiter ums Eck, dann ist Rouckas Bleibe dran. Ein schöner Baum im Vorgarten wurde schon umgeschnitten, die ersten Probebohrungen im Hof durchgeführt. Ein „Freiluftbewohner“, so der Fotograf, hat schon die Konsequenzen gezogen: Der Obdachlose hat sein überdachtes Stammquartier mit seinem gesamten Hausstand geräumt. Dieser schwere Schritt steht dem glühenden Schwabing-Freund Roucka noch bevor – schweren Herzens. Und mit Wut im Bauch. Der 71-Jährige schaut um sich – und bekommt das kalte Grausen. Beispiel ehemalige Schwabinger 7. Der Abrissbagger räumte das umkämpfte Areal im Sommer weitgehend leer, aber noch immer stehen Reste der alten Nachkriegs-Bebauung.

Trotzdem, so hat Roucka bei der Internet-Recherche festgestellt, scheint der Verkauf der künftigen Luxus-Wohnungen zu florieren. „Da steht, dass schon über 50 Prozent verkauft oder reserviert sind – wie ist das möglich“, wundert er sich. „Haarsträubend“ findet er, wie die Immobilie angeboten wird. „Da wird so getan, als sei das Schwabing schlechthin. Das geht gezielt auf Fremde, die die Örtlichkeit nicht kennen. Der Münchner weiß doch, wie es dort wirklich ist.“ „Auf die Weise stirbt das echte Schwabing, es entsteht ein neuer Stadtteil“, prophezeit der 71-Jährige. „Aber nicht für die Münchner.“

Er vertrat immer schon die Ansicht, dass erhalten werden muss, wo es nötig ist. Und dass durchaus auch abgerissen und erneuert werden kann, wo es einfach nötig ist. „Aber diese Form der Erneuerung halte ich für eine Stadt wie München für gefährlich“, sagt er. „Das Zugpferd Schwabing wird schamlos ausgenutzt. Da muss sich die Stadt etwas einfallen lassen.“ Denn, so überlegt er sich: „Ob jemand einen Schwabing-Bummel macht, um teure Eigentumswohnungen anzuschauen, das möchte ich aufs äußerste bezweifeln.“ „Ich bin ein Kämpfer“, sagt der Initiator zahlloser künstlerischer und sonstiger Initiativen. „Aber wenn’s so geballt kommt, wird’s schwer.“

Letzter Schlag ins Kontor: Seine Initiative „Traumstadt Schwabing“, eine der letzten Refugien des Künstlerviertels, ist am Ende. Nach eineinhalb Jahren intensiver Bemühungen, trotz eines schon absehbaren Happy-Ends ist alles vorbei. Was steckt dahinter? Klar: eine Immobilien-Spekulation. Und wieder geht ein Licht aus in Schwabing. Eines von vielen. Aus der Traum. „Der Mythos stirbt,“ konstatiert Roucka.

„Das sage sogar ich jetzt, der jahrzehntelang für den Erhalt Schwabings gekämpft hat.“ Er ist angeschlagen, die Nachricht vom Aus für sein derzeit ambitioniertes Projekt hat ihn zu Boden geschickt: „Ich bin zusammengeklappt.“ Inzwischen ist er wieder auf den Beinen, verströmt durchaus auch wieder seine gewohnte Kraft.

Aber der Zweifel nagt an ihm. Er ist unsicher geworden, ob sich der kräftezehrende Kampf um „seinen“ Stadtteil angesichts offenbar übermächtiger Gegner noch Sinn macht. Für den Wedekindplatz hat Roucka große Pläne. Ob er sie jetzt noch verwirklichen kann und mag? Er weiß es nicht. Er sucht jetzt erst einmal eine bezahlbare Wohnung – in Schwabing.

  


 

Wolgang Roucka: 45 Jahre mit Che und Lenin

 

Heute ist die Galerie Roucka sozusagen integraler Bestandteil des Wedekindplatzes. Am 1. April 1966 zog der junge Roucka mit seinem Fotostudio in die Feilitzschstraße 14. Knapp zwei Jahre später eröffnete er im Erdgeschoss seinen legendären Postershop. In den 70ern verkaufte er Poster mit Che Guevara und Lenin, und auch das berühmte Plakat mit Frank Zappa auf der WC-Schüssel.

Ein Dauerbrenner: die Nackte mit dem Schirm. Bekannt ist der Fotograf auch für seine Panorama-Bilder von München. In den 70ern kamen zu Roucka Berühmtheiten wie Udo Jürgens und Bill Ramsey. Und seit vielen Jahren macht er sich um den Münchner Fasching und die Narrhalla verdient.

 

 


Wieder Rekordmieten –Tendenz steigend

 

Immobilien-Verband legt aktuelle Zahlen vor. Es gibt viel zu wenig neue Wohnungen

 

Neuer Immobilienrekord: Laut Immobilien-Verband Deutschland (IVD) sind die Mietpreise in München so hoch wie nie zuvor. So nahmen die Kosten für Altbauwohnungen in der Landeshauptstadt zwischen Frühjahr und Herbst 2011 erneut um 1,5 Prozent zu. Bayernweit hingegen war eine Mietsenkung von 1,7 Prozent zu verzeichnen. Reihenmittelhäuser sind sogar 3,5 Prozent teurer als Anfang des Jahres.

Grund für die stets steigenden Mietpreise sind, so der IVD, das geringe Angebot und der große Bevölkerungszuwachs in der Landeshauptstadt. Um den zu kompensieren, müssten in München jährlich 6000 neue Wohnungen gebaut werden – das wurde aber bei weitem nicht erreicht. Im letzen Jahr waren es beispielsweise nur 2700. Die Durchschnitts-Nettokaltmiete pro Quadratmeter liegt jetzt bei knapp 14 Euro.

Zum Vergleich: In Nürnberg kostet der Quadratmeter 7,80 Euro, in Augsburg sieben, in Hof 4,50 Euro. München hat nicht nur den höchsten Durchschnitts-, sondern auch den obersten Spitzenpreis. Top-Immobilien, etwa am Englischen Garten, kosten bis zu 19,40 Euro pro Quadratmeter. Damit ist München – vor Unterschleißheim und Frankfurt – teuerste Stadt Deutschlands. gesa

 

 

 

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