Mieter in Angst: „Wir sollen zermürbt werden“

Das Ehepaar Hilkinger lebt seit 52 Jahren in seiner Wohnung. Die meisten anderen Mieter haben bereits die Flucht ergriffen. Ein Fall aus der Fraunhoferstraße
Seit sie zwölf Jahre alt ist, wohnt Sylvia Berger (Name geändert) in ihrer Wohnung in der Fraunhoferstraße 10. Mit den Eltern und der Schwester ist sie 1958 hier eingezogen, später hat sie die Wohnung übernommen.
Auch ihre Nachbarn sind alteingesessene Mieter. Hugo und Christa Hilkinger zogen 1960 ein, Danica Prakaj und ihre Familie 1972. Sie alle leben gerne hier, sind fest im Viertel verwurzelt. Sie sind die letzten verbliebenen von zehn Mietparteien im Haus Fraunhoferstraße 10.
Vor vier Jahren wechselte das Mietshaus den Besitzer. Seitdem ist es ungemütlich geworden im Haus, die meisten Mieter haben nach und nach die Flucht ergriffen.
Schon kurz nach dem Verkauf bekamen die Mieter regelmäßige Überraschungsbesuche von Mitarbeitern des neuen Eigentümers, Rainer Beck. Sie kündigten Sanierungen an. „Das wird laut und gibt viel Dreck“, hieß es.
Und sie fragten auch ganz direkt: „Wann ziehen sie endlich aus?“ Die Mieter sollten Mietaufhebungserklärungen unterschreiben, es wurde auch über Abfindungen gesprochen.
Was seitdem in der Fraunhoferstraße passiert, deuten die Mieter als „Zermürbungstaktik“. Für den Mieterverein grenzt das Vorgehen des Hausbesitzers an Entmietung, wenn auch mit subtilen Mitteln.
In den Räumen einer ehemaligen Pension im Haus begannen die ersten, massiven Sanierungsmaßnahmen. Bis heute geht es in den nach und nach frei gewordenen Wohnungen weiter. Im Haus wurden Elektro- und Heizungsleitungen verlegt, Keller einfach ausgeräumt. Die Mieter leiden unter Lärm, Staub und Dreck. „Wir haben hier seit fast zwei Jahren Baustelle, das geht an die Nerven“, sagt ein Mieter.
Was der Eigentümer mit dem Haus vor hat, wissen die Mieter nicht: „Es gibt nichts schriftlich, wir haben nie erfahren, was wann geplant ist. Ich habe den Eindruck, wir sollen zermürbt werden“, sagt Hugo Hilkinger.
Danica Prakaj traf es besonders hart. Während sie im Urlaub war, brachen Bauarbeiter aus der Nachbarwohnung in ihr Bad durch, natürlich nur ein Versehen. Zwei Monate dauerte es, bis der Schaden provisorisch behoben wurde.
Dazu kommt: Die renovierten Wohnungen wurden an die Agentur Isar WG vermietet, die die Zimmer einzeln untervermietet. Fast das ganze Haus ist mittlerweile voller WGs, an manchen Briefkästen stehen 10 Namen, Hinterhof, Keller und Treppenhaus stehen immer wieder voller Sperrmüll – Hinterlassenschaften von WG-Bewohnern, die häufig wechseln. Fast jedes Wochenende sind Partys im Haus.
„Ich könnte mir gut vorstellen, dass in solchen Häusern gezielt die feierlustigen Leute untergebracht werden. Das ist auch eine Art der Entmietung“, sagt Anja Franz vom Mieterverein. Tatsächlich füllen Interessenten bei der Agentur ein Online-Formular aus, indem sie unter anderem angeben können, ob sie gerne feiern.
„Diese Mietverhältnisse sind immer zeitlich befristet“, sagt Anja Franz. „Das ist eine beliebte, weil lukrative Möglichkeit, mit unkomplizierten Mietern Einnahmen zu erzielen, beispielsweise bis man irgendwann komplett saniert.“
Rainer Beck und seine Firma Haus von Beck sind in München nicht unbekannt. Schon vor Jahren wurde über seine Praxis berichtet, alte Häuser mit geringen Mieten in den begehrten innenstadtnahen Vierteln zu kaufen, zu renovieren und teils weiterzuverkaufen. Und über seine Methoden, Bestandsmieter loszuwerden. Die ähneln auf verblüffende Weise jenen in der Fraunhoferstraße und anderen Beck-Häusern in München.
„Es ist völlig klar, warum die Mieter ausziehen sollen, und dann erst renoviert wird.“ sagt Anja Franz. „Bei den niedrigen Mieten alter Bestandsmieter macht man mehr Profit, wenn man die renovierte Wohnung zum jetzt gängigen Preis neu vermietet oder verkauft, als wenn man die erlaubten elf Prozent der Modernisierung auf die bestehende Miete umlegt.“
Die Mieter in der Fraunhoferstraße haben ihre Wohnungen über die Jahre selbst instandgehalten, Heizung und Warmwasserversorgung selbst oder auf eigene Kosten eingebaut. Deshalb zahlen sie für ihre Wohnungen nur zwischen sechs und sieben Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Die sanierten Wohnungen wurden im Internet zuletzt für bis zu 16,50 Euro angeboten.
Der Mieterverein hatte über die Jahre schon viele Fälle von Mietern aus Beck-Häusern. „Dieser Herr bewegt sich immer knapp an der Grenze des Legalen“, sagt Anja Franz.
Die Mieter stehen den Vorgängen im Haus machtlos gegenüber, dabei haben sie von Anfang an alles versucht.
Mit Hilfe des Mietervereins wandten sie sich an alle zuständigen Stellen, wie die Lokalbaukommission, das Kommunal- und Sozialreferat, das Wohnungsamt und sogar das Bürgermeisterbüro.
Sie wollten wenigstens erreichen, dass bauliche Auflagen eingehalten werden.
Die Fraunhoferstraße liegt im Erhaltungssatzungsgebiet. Viele Baumaßnahmen sind genehmigungspflichtig. Die Mieter hatten bald Zweifel, ob diese Vorschriften eingehalten werden. Tatsächlich wurden durch ihr Drängen Verstöße bei den Modernisierungsarbeiten festgestellt. Es gab ein Bußgeld und einen Baustopp.
Den Mietern ist das zu wenig. „Wir fühlen uns von den Behörden im Stich gelassen“, sagt Sylvia Berger. „Die schieben die Zuständigkeiten nur von einem zum anderen und treffen sehr vermieterfreundliche Entscheidungen.“
Auch Gerhard Metzger vom Bezirksausschuss Isarvorstadt ist mit dem Fall vertraut. „Was Herr Beck in der Fraunhoferstraße macht, ist Grenzen ausloten und Grenzen überschreiten“, sagt er.
Das Problem: Beck habe durch die Aufteilung des Hauses in Wohneigentum zwei wichtige Punkte der Erhaltungssatzung gezielt umgangen: Das Vorkaufsrecht der Stadt und der Mieter, und eine Abwendungserklärung. „Er kennt alle Tricks und er nutzt sie aus“, sagt Metzger. Auch Bernhard Plank vom Planungsreferat bestätigt: „Es gibt leider Lücken im System.“
Mieterin Sylvia Berger ist entsetzt. Sie hat sich schlau gemacht: „Eigentlich hätte die Aufteilung nicht genehmigt werden dürfen. Nur weil die Behörden es solchen Leuten so einfach machen, kann die Verdrängung von alteingesessenen Mietern in München solche Ausmaße annehmen.“
Michael Kramer von der Firma Haus von Beck kann die Vorwürfe der Mieter nicht nachvollziehen. „Ein Eigentümerwechsel löst in der Regel Unruhe, wenn nicht gar Angst aus, auch wenn diese nicht begründet ist“, sagt er.
„Das im Zuge von Renovierungsarbeiten Unannehmlichkeiten auftreten, ist uns bewusst. Auch wir wünschen uns eine reibungslosere Abwicklung.“ Den Vorwurf einer Zermürbungstaktik weist er zurück. Dass man die Mieter mit Aussagen wie, „Wann ziehen Sie endlich aus?“ konfrontierte, sei eine „gezielte Verleumdung seiner Mitarbeiter“.
Dass sich derartige Beschwerden von Mietern aus Beck-Objekten häufen, und das seit Jahren, findet Kramer ganz natürlich: „Bei einem großen Bestand ist eine höhere Mieterresonanz normal.“