Michael Graeter wird 80: "Ich bin unbestechlich, aber nicht grausam"

München - Der heute 80-Jährige war AZ-Redakteur und -Kolumnist, schrieb für "Bunte" und "Bild", besaß Café Extrablatt und mehrere Kinos und war Vorbild für die Figur des Baby Schimmerlos in Helmut Dietls "Kir Royal".
AZ: Herr Graeter, Sie wollen heute zum 80. abtauchen.
MICHAEL GRAETER: Nach 5.555 Partys will ich keine, die den anderen zeigt, dass ich jetzt auch zum alten Eisen gehöre. Aber ganz klar - um als Atomfan im Vokabular zu bleiben: Ich bin auf Restlaufzeit.
Also keine Feier?
Ein Bekannter wollte mir zum 80. Geburtstag schenken, dass ich 80 Leute zu Käfer einlade. Aber dann hat man irgendeinen doch wieder vergessen, und der ist dann beleidigt. Ich fahre lieber mit meinem Sohn aufs Land.
In der Restlaufzeit kann man auch zurückschauen: Bereuen Sie viel?
Ich hatte viele fette Jahre: drei Kinos, zwei Cafés und den Kultladen Extrablatt. Das war eine Gelddruckmaschine. Dann noch ein fantastisches Monatssalär fürs "Spaltenfüllen" und ein unbegrenztes Spesenbudget. Das ist vorbei. Aber ich bin dankbar, dass ich so ein Leben führen durfte, und auch ein bisschen stolz, dass ich mir das alles erarbeitet hatte.
Haben Sie nach Ihren Sünden Angst vor dem Jüngsten Gericht?
Ich gehe jeden Sonntag in die Messe in Sankt Peter - wegen Gott und nicht wegen dem Bodenpersonal. Es ist auch die einzige Zeit, wo dann nichts auf mich von außen einströmt. Ich bin ein faustischer Typ und hoffe - trotz mancher Gretchentragödien - auf Erlösung.
Wahrscheinlich haben Sie mit Ihren Kolumnen viele verletzt. Sind Sie selbst verletzlich?
Nicht besonders, und das darf ich auch gar nicht sein.
Keinen Groll?
Nein.
Aber vor einigen Jahren - kurz vor seinem Tod, hat Helmut Dietl plötzlich behauptet, "Kir Royal" und Baby Schimmerlos hätten nicht den Graeter zum Vorbild gehabt, sondern Hunter, Ihren Vorgänger bei der AZ.
Da war ich dann schon erst einmal fassungslos: Ich war bei der Ideen- und Drehbucharbeit wochenlang mit dem Dietl in L.A., hab' ihm die Storys erzählt, war dann auch bei den Dreharbeiten dabei - und der WDR hat mich dafür auch bezahlt.
Vom Hunter wird erzählt, dass er sich die Geschichten im Bayerischen Hof an der Falks Bar hat erzählen lassen und vielleicht noch hinterhertelefoniert hat.
Ich habe das ganz neu und anders angepackt: Hingehen, dranbleiben - notfalls bis zum Morgengrauen. Und immer den Fotografen dabei, anfangs immer den Franz Hug, den im Film der Hildebrandt spielt. Das war meine Idee vom Leute-Journalismus: täglich Frischfleisch für die Spalten, frisch geschlachtet in der letzten Nacht.

Klingt blutig…
… ist aber auch beim Steak die beste Form, aber ich habe immer alles fein mit dem Florett zubereitet.
Und selbst ohne Koks und Alkohol durchgehalten?
Koks nie, Alkohol schon, aber ich musste ja letztlich als einziger klaren Kopf behalten.
Was zur Frage nach Nähe und Distanz im Journalismus führt: Nähe bringt Authentizität, aber Distanz braucht man, um sich nicht gemeinzumachen.
Das ist kompliziert. Vor allem aber muss man sich Promis erarbeiten, sie notfalls auch selbst formen, wie den Friedrich Karl Flick, den Mister Mercedes. Der war eigentlich, wie Düsseldorfer halt so sind, aber er hat mir vertraut und es dann auch genossen, nicht nur reich, sondern auch Teil der Hautevolee zu sein. Und wenn seine Entourage eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hatte, brachte er diskret alles wieder in Ordnung.
Sie behaupten, dass man sich auf die Eitelkeit der Menschen immer verlassen kann?
Klar, wie eben bei der Figur des Klebstofffabrikanten Haffenloher in "Kir Royal", der in Wirklichkeit ein Lackfabrikant war und die Schauspielerin Christine Kaufmann unterstützt hat. Oder ein anderes Beispiel: Da war einer mal wieder sauer über irgendwas, was ich geschrieben hatte, und sagte: "Jetzt schreibst bitte nix mehr über mich!" Ich habe das lachend sofort so gemacht. Einige Wochen später bin ich beim Boettner essen. Der saß einige Tische weiter. Als ich an seinem Tisch vorbeikam, raunte er mir zu: "Du, Michi, schreibst mal wieder was über mich?"
Sie waren also der große Influencer der 70er bis 90er?
Ich hasse diesen Begriff: Er ist eine Digitalscheiße, oft genug mit gekauften Klicks und völlig korrupt.
"Ich bestimme, wer drin ist", sagt Kroetz als Baby Schimmerlos in "Kir Royal" und meint damit nicht nur die Clubs, die High Society, sondern auch die Klatschkolumne. Graeter als "Gatekeeper"?
Sagen wir so: AZ, "Bild" und "Bunte" - wer drin sein wollte, hatte mit mir zu tun.
Außer man war schon wer - wie Gunter Sachs und Brigitte Bardot, Steve McQueen oder Grace Kelly - alles Personen, die Sie kannten.
Eben erarbeitet! Beispiel Steve McQueen: Der sollte den Rennsportfilm "Le Mans" drehen und wurde in Paris am Flughafen erwartet. Nur: Die Kollegen warteten am falschen Flughafen. Ich hatte die englische Produktionsfirma angerufen, die mich für den Abholer hielt. Ich hatte so erfahren, dass die ihm ein Taxi von München her schicken wollten. Ich war also am richtigen Ort - und wirklich stand da ein Taxi mit Münchner Nummer. Und hinterher ging's, obwohl die versuchten, uns abzuhängen. Ihm wurde das zu dumm und er hat wohl dem Fahrer gesagt: Nächste raus! Er stieg also aus, und ich dachte, jetzt gibt's 'ne Schlägerei. Aber ich fing das irgendwie ab, weil wir schnell auf meinen BMW, einen Glaserati, zu sprechen kamen. Er schlug vor, kurz zu tauschen. Er hat dann den Motor so hochgejagt, dass es rauchte und es einen Motorschaden gab. Er rief in Hollywood an, und die organisierten einen Austauschmotor, und als alles wieder flott war, waren wir bereits Freunde. Er hat mich noch Jahre lang ohne Rücksicht auf die Zeitverschiebung angerufen und mir nachts seine Ehe- und Frauenprobleme geklagt.

Und Grace Kelly?
Die war mit ihrem Fürsten und Caroline bei einem Bierkönig nach Berchtesgaden eingeladen und ich auch. Grace hat das alles auch auf Super-8 gefilmt.
Gunter Sachs und Brigitte Bardot…
Dass die zusammengekommen waren, wusste ich als erster, weil ich einen Zöllner am Flughafen Riem kannte, der mich anrief und sagte: "Ich habe gerade die Pässe von Gunter Sachs und Brigitte Bardot abgestempelt." Die beiden wurden der Mittelpunkt der High Society und haben aus dem Fischerdorf Saint Tropez einen Jetset-Ort gemacht. Da gab es zum Beispiel das Voile Rouge am Strand. Der erste Club mit Gesichtskontrolle und die Frauen drin oben ohne, die auf dem Tisch getanzt haben - aus Spaß an der Freud.
Beim Wort "Spaltenfüllen" haben Sie vorhin etwas doppeldeutig gelacht…
Es waren einfach libertinärere Zeiten, völlig unideologisch, versaut, aber eben nicht von Kampf-Emanzen. Man hat gearbeitet, um zu leben, und nicht gelebt, um zu arbeiten. Bei mir war das eh völlig eins. Discos und Clubs hatten jeden Tag offen, nicht nur spießig am Wochenende.
Was hat sich seitdem am Beruf des Klatschreporters geändert?
Alles und nichts! Nichts, weil es immer Menschen mit Geld und Macht gibt. Alles aber, weil viele sogenannte Promis sich über Social Media selbst inszenieren, Agenturen und Agenten zwischenschalten. Und wenn ich dann sehe, wie Kollegen sich am Roten Teppich "akkreditieren" - wie Hündchen, die einen Platz zugewiesen bekommen, um dann oberflächliche Fragen und PR-Häppchen zu apportieren. Das ist kein Journalismus. Wer nicht eingeladen ist, drinnen dabei zu sein, sollte nicht hingehen.
Haben Sie immer alles geschrieben, was Sie erfahren oder erlebt haben?
Nein, mein Spitzname "Indisgraeter" ist nur die halbe Wahrheit. Ich bin unbestechlich, aber nicht grausam, und meine Mutter hat mir Fingerspitzengefühl anerzogen. Und wenn ich am Brett des Familiengerichts "Scheidung" bei jemand Interessanten gelesen habe, habe ich das auch oft für einen Deal genutzt. Ich schreibe nix, dafür krieg ich die neue Liebesgeschichte.

Kann man heute noch genauso frei schreiben wie früher?
Aus einem Zitat von mir hat man kürzlich das Wort "Hasen" gestrichen, weil die Chefredaktion zum Redakteur gesagt hat: "Das schreiben wir nicht mehr!" Das ist doch Wahnsinn: Wenn ich das sage, ist das doch meine Sache! Ich sage auch "Neger", weil das im Bairischen nie einen negativen Touch hatte und wir politisch doch eh alle schwarz sind. In München steht übrigens eine Statue von einem großen Vorbild und Mentor von mir: vom Sigi Sommer am Roseneck. Wenn man dem damals so genanntes "politisch Unkorrektes" rausredigiert hätte, wäre der in die Chefredaktion geschritten und hätte denen eine Watschn verpasst.
Wieviele Ehen haben Sie als "Indisgraeter" geliefert?
Keine, die nicht schon vorher morsch gewesen wäre. Ehen sind Arrangements, wo die meisten wissen, was der Deal ist.
Was also sind für Sie als Menschenkenner die Grundsäulen des Lebens?
Sex und Geld - habe ich immer gedacht. Aber letztlich ist es Geld, weil man ohne Geld keinen Sex kriegt.
Ist Freundschaft nicht eine weitere Säule?
Sicher. Aber wer ehrlich ist, weiß, dass man nicht mehr Freunde hat, als man an seinen Fingern abzählen kann.
Haben Sie das selbst gemerkt, als Sie nach Monaten 2008 aus dem Gefängnis gekommen sind?
Ich kenne die Reaktion von Leuten, wenn man für sie plötzlich nicht mehr wichtig ist. Aber die habe ich dann halt aus meinem inneren Adressbuch gestrichen.
Sie reden ungern über ihre Landsberg-Erfahrung?
Weil sowas traumatisch ist. Ich schau mir auch keine Knastfilme mehr an. Wenn mein Sohn zu mir damals nicht gesagt hätte, "Papa, du schaffst das", hätte ich vielleicht Schluss gemacht.
Umso lustiger der Entlassungscoup.
Es waren fünf Reporterteams platziert worden, bei mir zu Hause, vor Käfer und natürlich auch vor der "staatlichen Fürsorge" in Landsberg. Aber die waren kooperativ und haben mich in einem Kartoffelwagen um vier Uhr früh unter einer Decke rausgefahren - in ein nahe gelegenes Dorf, wo meine Frau wartete. Am Vormittag bin ich dann von hinten in die Redaktion in der Sendlinger Straße: Gefängnistür hinter mir zu, AZ-Pforte wieder auf!
Wenn einem einmal alle Türen offenstanden, Geld keine Rolle spielte - wie ist es dann, kein Millionär mehr zu sein?
Ich bin noch Millionär. Ich habe noch Millionen Ideen.