Messerstecherin vom Käfer: Die weinende Millionärs-Verlobte

Die 34-Jährige sticht vor Käfers Wiesn-Schänke auf einen 33-Jährigen ein. Vor Gericht sagt sie, sie habe sich von dem Mann angegriffen und bedroht gefühlt
von  Von Sophie Anfang
Die Angeklagte mit ihren drei Verteidigern (v.l.) Steffen Uffer aus München und den beiden Hamburger Anwälten Gerhard Strate und Annette Voges.
Die Angeklagte mit ihren drei Verteidigern (v.l.) Steffen Uffer aus München und den beiden Hamburger Anwälten Gerhard Strate und Annette Voges. © Daniel von Loeper

Die Stimme von Simone V. (34, Name geändert) ist belegt, als sie vom Abend des 19. September 2015 erzählt. Jener Wiesn-Nacht, die so eskaliert ist, dass der 33-jährige Marco Sch. am Ende vor Käfers Wiesn-Schänke mit blutigem Hemd dastand, mit einer Stichwunde im Bauch. Simone V. hatte zugestochen. Völlig unvermittelt, sagt ihr Opfer. Weil sie sich bedroht fühlte und in Panik war, sagt V. Seit Montag steht die 34-Jährige wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht.

Vom einstigen Society-Girl ist nicht mehr viel übrig

Simone V. spricht leise, den Kopf hält die große Frau mit den hohen Wangenknochen leicht gesenkt. Sie erzählt, wie lustig es erst war, in Käfers Wiesn-Schänke. Es gab Bier, Wein, Champagner. „Wir waren fröhlich.“ Mit ihr am Tisch waren der Ex-Bundesliga-Profi Patrick Owomoyela, dessen Freundin Josipa und ihr Mann, ein Hamburger Millionär (64).

V. war ein Society-Girl, auf Fotos von Promi-Events lächelt sie wasserstoffblond mit roten Lippen und viel schwarzem Kajal in die Kameralinse. Die Frau, die nun im Saal 273 des Strafjustizzentrums sitzt, ist kaum mehr wiederzuerkennen. Die Blondierung ist herausgewachsen, strähnig fallen ihre Haare, die Nase rot, die Augen geschwollen vom Weinen.

V. weint viel an diesem Tag, vor allem, als sie in ihrer Erzählung dem Tatzeitpunkt näher kommt. Schon im Zelt waren das Opfer Marco Sch. und sein Spezl Wolfgang S. mit V.s Freunden aneinandergeraten. S. hatte Owomoyela einen Flüchtling genannt.

Simone V. will davon nur am Rande etwas mitbekommen haben. Zeugen und der von ihr verwundete Sch. sagen hingegen, sie hätte sich schon zu diesem Zeitpunkt lautstark eingemischt. V. gibt an, erst kurz danach vor dem Zelt aus dem Augenwinkel gesehen zu haben, wie ein Mann gefallen ist. Es war Sch.s Spezl S.

Sch. sei auf ihre Gruppe zugerannt und völlig aggressiv gewesen. „Der war vollkommen irre“, sagt sie. Er habe sie und ihre Freundin Josipa als Prostituierte und Prostituierte beschimpft, als sie sich zwischen Sch. und Owomoyela stellten.

Sie habe sich kurz weg- und dann noch mal umgedreht, da sei Sch. direkt vor ihr gestanden, habe sie an der rechten Schulter gepackt. Sie habe versucht, sich zu befreien, aber es habe nichts genützt. „Ich weiß nicht, wie ich diese Angst beschreiben soll, aber es war einfach schrecklich.“

Da sei ihr das Messer in ihrer Handtasche eingefallen. Das sei schon länger dort gewesen, seit ihrem Urlaub in London, weil die Stadt ja „ein gefährliches Pflaster“ sei. Es ist ein kleines Messer, dunkel, mit einer acht Zentimeter langen Springklinge. Sie habe es mit einer Hand aus der Tasche geholt und zugestochen. „Meine Hand ging einfach nur seitlich“, sagt V. Sch. konnte das Messer vorher nicht sehen. Für die Staatsanwaltschaft ist das Heimtücke, ein Mordmerkmal. Für V. und ihre Verteidiger der Akt einer Frau in Panik. Sie habe keinen Widerstand gespürt, sagt V., gar nicht gemerkt, dass sie Sch. getroffen habe. Sie sei dann weggelaufen, das Messer habe sie weggeschmissen.

V. schluchzt jetzt so heftig, dass der Vorsitzende Richter die Sitzung unterbrechen möchte. V.s Anwälte wollen, dass es weitergeht.

„Ich würde nie einen Menschen verletzen, es tut mir so leid“, sagt V. Im Zuge eines Täter-Opfer-Ausgleichs hat sie Sch. 80 000 Euro gezahlt.

Nach der Tat ist sie mit ihren Freunden ins P1 gefahren, das mit dem Messer hatte niemand mitbekommen, V. hat es ihren Begleitern auch nicht erzählt. Sie sei eben so ein Mensch, der alles in sich hineinfrisst.

Erst als sie am folgenden Tag durch einen Anruf der Polizei erfuhr, dass Sch. ins Krankenhaus musste, redete sie – und stellte sich der Polizei.

Sch. lag zu diesem Zeitpunkt noch auf der Intensivstation. Der Lkw-Fahrer war sechs Wochen krankgeschrieben, er hat seine Milz verloren. Um zurück in seinen Beruf zu finden, hat er Monate gebraucht.

Er betritt am Nachmittag den Gerichtssaal, ein Mann, nur wenige Zentimeter größer als die Angeklagte, mit Stoppelhaarschnitt. Man hört ihm an, dass er aus Poing kommt. So sehr, dass die Hamburger Anwälte von V. oft nachfragen müssen, was er gesagt hat.

Er bestreitet, V. festgehalten zu haben. Lediglich weggedrückt habe er sie. Dann habe er längst mit anderen Wiesnbesuchern gestritten, als V. noch mal auf ihn zu sei und ihn gefragt habe: „Wieso schubst du mich?“ Dass sie mit dem Messer zugestochen hat, habe er erst gar nicht gemerkt. Er hatte selbst viel getrunken.

Zudem soll er Drogenpilze gegessen haben. Zu Letzterem äußert er sich jedoch nicht.

Er sei nach der Auseinandersetzung mit V. erst weggegangen, habe dann das Gefühl gehabt, dass mit ihm etwas nicht stimmt. „Da hab ich mein Hemd hochgezogen und das war rot.“ Sch. lief wenig später einem Security in die Arme. Der verständigte den Notdienst. Ohne diesen wäre Sch. wohl gestorben. Er hatte zwei Liter Blut im Bauch.

Der Prozess wird fortgesetzt.

 

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