Merk: Opferfamilien bekommen Entschädigung

Der Beschluss des OLG, das Verfahren zu verschieben, hat die Hinterbliebenen kalt erwischt – Bayerns Justizministerin verspricht ihnen jetzt Hilfe.
von  Natalie Kettinger
Semiya Simsek und ihr Bruder Kerim sind Nebenkläger im NSU-Prozess. Ihr Vater Enver Simsek (†39) war das erste von zehn Opfern der rechten Terror-Organisation.
Semiya Simsek und ihr Bruder Kerim sind Nebenkläger im NSU-Prozess. Ihr Vater Enver Simsek (†39) war das erste von zehn Opfern der rechten Terror-Organisation. © Daniel von Loeper, Polizei

Der Beschluss des OLG, das Verfahren zu verschieben, hat die Hinterbliebenen kalt erwischt – Bayerns Justizministerin Beate Merk verspricht Hilfe.

München - Semiya Simsek war stark. Sie hat Reden gehalten, Interviews gegeben und ein Buch geschrieben, um an ihren Vater zu erinnern: Enver Simsek wurde am 9. September 2000 in der Nähe von Nürnberg an seinem Blumenstand erschossen. Er war das erste Opfer des NSU.

Während andere Hinterbliebene schwiegen, hat Semiya Simsek von ihrem Vater erzählt. Immer wieder. Jetzt ist die 26-Jährige verstummt. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG), den Prozess gegen die Täter zu verschieben, hat sie sprachlos gemacht. Mit ihrer Fassungslosigkeit ist die junge Frau nicht allein.

Immerhin: Justizministerin Beate Merk will die Opfer-Familien entschädigen. „Die Verschiebung bedeutet eine zusätzliche psychische Belastung und neues Ungemach für die Opfer, die sich auf den 17. April vorbereitet hatten“, sagt Anwalt Bernd-Michael Manthey, der die Witwe von Habil Kilic vertritt, der 2001 in seinem Münchner Gemüseladen ermordet wurde.

„Meine Mandantin war sehr überrascht über die Entscheidung des Gerichts. Sie hat sie hingenommen – was soll sie auch anderes tun?“ Im Prozess wird die Rentnerin nur erscheinen, wenn sie als Zeugin geladen ist. Bernd-Michael Manthey: „Sie glaubt, dass sie es nicht schafft, jeden Tag dort zu sitzen.“

„Ich will in München dabei sein“, sagt hingegen Gamze Kubasik in einem Interview mit den „Ruhr Nachrichten“. Ihr Vater wurde 2006 vom NSU in Dortmund umgebracht. „Ich habe mich intensiv auf den Prozess vorbereitet.“ Gerade deshalb sei die Termin-Verlegung „ein Schlag ins Gesicht“.

Der Münchner Anwalt Stephan Lucas, der Semiya Simsek vertritt, beschreibt die Verfassung seiner Mandantin so: „Ihr ist klar, dass sie im Prozess alles noch einmal durchlebt – die Ermittler kommen zu Wort, die Tat wird rekonstruiert, es wird jede Sekunde um die Ermordung ihres Vaters gehen.“ Es habe Semiya Simsek viel Kraft gekostet, zum Prozessauftakt stark zu sein. „Und am Montag hat sie dann erfahren, dass sie diese Stärke erst in drei Wochen hätte aufbringen müssen. Das hat sie in ein tiefes Loch gestürzt.“ Diesen emotionalen Schaden könne niemand wieder gut machen.

Barbara John, die Ombudsfrau der NSU-Opfer, mahnt deshalb an, wenigstens für die Auslagen der Angehörigen aufzukommen. „Ich wäre dem OLG sehr dankbar, wenn es den Hinterbliebenen die Kosten erstatten würde, die durch die Stornierung entstanden sind, zum Beispiel für Bahnfahrkarten und Flugtickets.“

Die Erzdiözese München-Freising und die Evangelische Kirche Bayern hatten jeweils 20 000 Euro zur Verfügung gestellt, um den Familien die Teilnahme am Verfahren zu ermöglichen. „Aber es leuchtet mir überhaupt nicht ein, warum aus diesen Spenden zwei Mal Reisekosten bezahlt werden sollen. Das wäre Spendenbetrug“, sagt John. „Außerdem brauchen wir dieses Geld im Verlauf des Prozesses.“

So übt sich Justizministerin Beate Merk schließlich in Schadensbegrenzung. Die Entscheidung des Gerichts sei zu akzeptieren, sagt sie. Wichtig sei aber auch, dass den Opfern und ihren Angehörigen „Hilfe auch für die finanziellen Folgen der Entscheidung angeboten wird.“ Sie verspricht: „Einen finanziellen Ausgleich wird es in jedem Fall geben.“

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.