Meister im Krötenschlucken: 25 Jahre Grüne im Rathaus
MÜNCHEN - Vor genau einem viertel Jahrhundert: Am 2. Mai 1984 nahmen die ersten grünen Stadträte im Münchner Rathaus ihre Arbeit auf. Ein Blick zurück zu den Anfängen - und wie sich die grüne Fraktion seither verändert hat.
„Bauchzwicken, wenn die Grünen kommen" – das diagnostizierte die Abendzeitung im November 1983 „manch altgedientem Rathaus-Hasen.“ Autor Alois Segerer prophezeite: „Spätestens im Mai nächsten Jahres ist es mit der Bierruhe im Rathaus sowieso vorbei, wenn nämlich, wie zu erwarten ist, fünf bis sechs grüne Neulinge ins Rathaus einziehen." Es waren sechs: Am 2. Mai 1984 nahmen die ersten Stadträte der Grün-Alternativen Fraktion ihre Arbeit auf. Vor genau 25 Jahren.
Zwei Frauen und vier Männer zogen ins Rathaus ein
„Wir waren mit allem unzufrieden und wollten alles ändern und hatten zu allem genaue Vorstellungen", sagt Sigi Benker, heute Fraktionschef der Grünen. Sehr genaue Vorstellungen: 28 Seiten im taz-Format – was sonst? – umfasste das Kommunalwahl-Programm. In 6-Punkt-Schrift. Ohne Fotos oder störende Absätze. Auch wenn sich die wenigsten Wähler durch diesen Riemen gequält haben dürften: Im März 1984 wurden zwei Frauen und vier Männer für die Grünen ins Rathaus gewählt – Georg Welsch, später Kommunalreferent, Sabine Csampai, später Bürgermeisterin, Thomas Ködelpeter, Maya Kandler, Joachim Lorenz, heute Umweltreferent und Gerd Wolter, Schriftsteller und bekennender Schwuler.
Die atomare Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf, Tschernobyl und Waldsterben – von diesen Themen war die Stimmung geprägt, als das Rathaus zur grünen Zone wurde. „Wir haben uns als Opposition zu allem gesehen. Jeder Kompromiss wäre ein Verrat gewesen“, erzählt Sigi Benker, der selbst aus der Hausbesetzer-Szene kam.
Außergewöhnliche Allianz
Doch mit der Zeit lernten auch die Grünen das Spiel um Macht und Posten. 1988 erregte eine außergewöhnliche Allianz bundesweite Aufmerksamkeit: Ausgerechnet eine schwarz-grüne Mehrheit sorgte dafür, dass die Grünen ihren ersten Referentenposten besetzten. Schorsch Welsch wurde Kommunalreferent.
Wohl auch in Folge dessen war 1990 die Zeit reif für Rot-Grün. Alt-OB Georg Kronawitter besiegelte die kommunale Koalition. „Aber damals dachte keiner, dass wir 2009 da sitzen und immer noch das Bündnis haben“, sagt Benker.
Am Anfang krachte es gewaltig
Vor allem, weil es in den ersten Regierungsjahren richtig zur Sache ging. Es gab permanente Richtungskämpfe, die Fraktion war mehrfach am Rande des Bruchs. „Die einen haben gesagt, in der Opposition erreichen wir nichts. Die anderen haben gesagt, wir dürfen unsere Seele nicht verkaufen.“ Der Härtetest war die Wiederwahl von CSU-Mann Hans-Peter Uhl zum Kreisverwaltungsreferenten. „Da waren viele stark gewillt, aus dem Bündnis raus zu gehen“, berichtet Benker. Der „auf Krawall gebürstete“ Uhl sei in allem konträr zu grünen Zielen gewesen. Trotzdem ertrugen sie die Wiederwahl – dank einiger Kompensationsangebote wie etwa dem Aufbau des Flüchtlingsamtes.
Und heute? Nach 25 Jahren Rathaus? „Natürlich sind wir zu Meistern im Krötenschlucken geworden“, sagt Benker. „Ohne je zu behaupten, sie wären eine Delikatesse.“ Von der Meisterschaft im Kröten-Retten zur Meisterschaft im Kröten-Schlucken! In die Opposition wünschen sich die Grünen trotzdem nicht zurück. „Wir fühlen uns als Regierungspartei.“ Nur selten, gesteht Benker, da keimt er kurz auf: Der Wunsch, zu den Wurzeln zurückzukehren.
Interne Diskussionen werden heute weniger emotional geführt als früher, heißt es. Es geht nicht mehr gleich um den Verrat von Idealen, wenn man mal nicht einer Meinung ist. Wie bei der Abwägung Stammstrecke oder Südring. Oder beim Thema Olympische Winterspiele 2018.
Die Grünen haben Geheimnisse
Das vielleicht beste Beispiel, wie sich die Grünen gewandelt haben, liefert Benker selbst. 1984 fanden die Koalitionsverhandlungen öffentlich (!) im Hofbräuhaus statt – auf Wunsch der Grünen. Wäre das keine Idee fürs nächste Mal? „Ich könnte mir das nicht mehr vorstellen", sagt der Chef der jetzt elfköpfigen Fraktion. „Klar haben wir auch Geheimnisse – aber die meisten will die Öffentlichkeit gar nicht wissen.“
Julia Lenders