Mein neuer Corona-Alltag: Ich bin beweglicher geworden

Für eine Frau im Rollstuhl bietet die Corona-Krise auch Chancen – mehr Kultur zum Beispiel.
von  Bettina Böck, Protokoll: Paul Nöllke
Bettina Böck mit ihrem Hund Tali. Seit Corona kann sie nicht mehr mit ihm rausgehen.
Bettina Böck mit ihrem Hund Tali. Seit Corona kann sie nicht mehr mit ihm rausgehen. © Petra Schramek

München - Ich bin seit meiner Geburt behindert und sitze im Rollstuhl. Vor der Corona-Krise war ich den ganzen Tag draußen unterwegs, immer mit meinem Hund. Ich hatte mir vorgenommen, einen Flaneur-Roman zu schreiben, doch im E-Rollstuhl ist es wegen der vielen Barrieren für mich sehr kompliziert, sich durch die Stadt zu bewegen.

Das Konzept des Romans hat sich inzwischen weiterentwickelt, und ich arbeite nun an einer "beweglichen Collage". Ich poste Bilder in den sozialen Medien. Welche, die ich selber mache, aber auch viele, die ich mir von anderen Fotografen leihe. Dazu füge ich Hashtags und kleine Texte hinzu, so entsteht dann die Collage. Irgendwann wird diese Collage dann in den Roman einfließen.

Nicht jeder hat dieselben Möglichkeiten

Seit Corona bin ich nur im Haus. Wegen meiner krummen Körperhaltung ist auch meine Lunge geschädigt, da kann ich kein Risiko eingehen. Wenn ich mich durch die Stadt bewege, brauche ich auch manchmal Hilfe und muss Menschen fragen, ob sie zum Beispiel meinen Fuß wieder auf das Trittbrett setzen, wenn er abgerutscht ist.

Das geht natürlich nicht mehr, da ist die Ansteckungsgefahr einfach zu hoch. Mit meinem Hund gehen nun die Nachbarn Gassi, die "bewegliche Collage" mache ich jetzt von Zuhause aus.

Ich glaube, der Blick durch die Linse von Corona schärft für viele den Blick. Denn wer ist von der Krise am meisten betroffen? Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. In meinem Fall körperlich. Aber es gibt ja auch Menschen, die dadurch Machtverhältnisse noch stärker zu spüren bekommen (zum Beispiel Menschen, die schon vor Corona mit häuslicher Gewalt konfrontiert waren oder in finanziell schwierigen Verhältnissen leben). Nicht jeder hat dieselben Möglichkeiten, zu Hause zu bleiben und immer die Hände zu waschen.

Corona-Krise als Chance

Ich habe durch Corona das erste Mal das Gefühl, dass die gesamte Gesellschaft auf eine Weise erlebt, wie es ist, mit einer Behinderung zu leben. Und was es bedeutet, sich zu verlangsamen. Man merkt, was Einschränkungen sind und wie es ist, nicht am sozialen Leben teilhaben zu können.

Ich habe schon immer viel durch das Internet am sozialen Leben teilgenommen. Durch Corona finde ich dort nun ganz viele Dinge, die ich mir immer gewünscht hatte: Es gibt Online-Lesungen und Konzerte, digitale Veranstaltungen und man kann virtuell Museen besuchen. So habe ich jetzt das Gefühl, dass ich durch Corona beweglicher geworden bin und mehr am Leben teilhaben kann. Ich würde mir wünschen, dass sich diese Angebote nach Corona vielleicht sogar weiterentwickeln. Dazu bietet die Corona-Krise ja auch eine Chance.

Ich verstehe, dass viele natürlich volle Veranstaltungsräume brauchen, aber für mich wäre es toll, wenn ich einfach ein Ticket online kaufen könnte und dann digital an den Veranstaltungen teilhaben könnte. Das würde mir das Leben sehr viel schöner machen!

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