Mega-Streik: Wie die Münchner den Tag erlebt haben

Durch den Streik kommt der Nahverkehr am Montag fast komplett zum Erliegen. Lange Staus und Chaos bleiben trotzdem aus – so wie die Kunden in der Innenstadt.
Julia Wohlgeschaffen,
Carmen Merckenschlager
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In der Sendlinger Straße ist am Montagvormittag nichts los.
In der Sendlinger Straße ist am Montagvormittag nichts los. © Carmen Merckenschlager

München - Der Marienplatz ist fast leer. Der Himmel ist wolkenbedeckt, und nur ein paar einsame Touristen huschen über den Platz.

Mega-Streik am Montag: Leergefegter Marienplatz

Kein Wunder, denn das Stadtzentrum ist an diesem Tag nur schwer zu erreichen. Der Grund: der 24-stündige "Megastreiktag" der Gewerkschaften Verdi und EVG. Für die Münchner bedeutet das am Montag also kein Zug, keine Tram und kaum ein Bus.

Wer dennoch in der Stadt weiterkommen will, hat nicht mehr viele Möglichkeiten.

Option 1: auf dem Rad gegen Wind und Regen anstrampeln.

Option 2: zu Fuß, mit Regenschirm durch die Kälte stapfen.

Option 3: mit dem eigenen Pkw fahren oder mit viel Glück ein Taxi erwischen.

Mega-Streik: Stau und Hupkonzerte am Morgen

Offenbar entscheiden sich viele Münchner für die letzte Option, denn der Verkehr staut sich am Morgen vor 7 Uhr an mehreren Stellen auf dem Mittleren Ring, in der Stadt immer wieder Hupkonzerte.

Zwischenzeitiger Stillstand also, für einen Montag aber auch nicht unbedingt ungewöhnlich. Dafür fahren morgens tatsächlich die ersten Busse durch die Stadt. Laut MVG sei jedes zweite Fahrzeug unterwegs. Infotafeln kündigen an, dass ab 15 Uhr die S-Bahn wieder fahren soll.

Lydia verkauft Backwaren zwischen den Gleisen der U3 und U6 am Marienplatz. Gestern Vormittag kam kein einziger Kunde.
Lydia verkauft Backwaren zwischen den Gleisen der U3 und U6 am Marienplatz. Gestern Vormittag kam kein einziger Kunde. © Daniel von Loeper

Lydia versucht es mit Humor zu nehmen. "Sonst wäre das schon sehr traurig heute", sagt sie. Sie verkauft Backwaren an einem Kiosk am Marienplatz direkt unten bei den U-Bahngleisen. Gegen 10 Uhr war noch kein einziger Kunde bei ihr. "Ich bin heute mit dem Taxi in die Stadt gefahren. Gegen 7 Uhr war ich hier, habe geputzt. Jetzt lese ich, weil niemand kommt", sagt die 32-Jährige.

Barista Peter Wirsching hat mittlerweile wenig Verständnis für die Streiks. Er rechnet mit 1000 Euro Umsatzeinbußen.
Barista Peter Wirsching hat mittlerweile wenig Verständnis für die Streiks. Er rechnet mit 1000 Euro Umsatzeinbußen. © Daniel von Loeper

Ganze vier Kunden hat Peter Wirsching (67) am späten Vormittag bedient. Er arbeitet als Barista in der Chocolaterie Beluga im Sperrengeschoss am Marienplatz. "Uns werden sicher so um die 1.000 Euro Umsatz heute verloren gehen", spekuliert er. Langsam habe er kein Verständnis mehr für die Streiks.

"Die Frage ist: Was bringt's? Freilich sollen die Leute in den Kitas oder Altenheimen mehr verdienen. Aber das bisschen frisst die Inflation ohnehin auf", findet er.

MVG-Fahrer: "Wir sind kampfbereit und guter Dinge"

Richard Antesberger (v.l.), Jaqueline Filipovic, Dieter Joszek, Heinrich Antesberger und Clemens Groß arbeiten als U-Bahnfahrer. Sie sind zufrieden mit dem Streiktag. Sie fordern: "Man muss von seinem Gehalt in München leben können!"
Richard Antesberger (v.l.), Jaqueline Filipovic, Dieter Joszek, Heinrich Antesberger und Clemens Groß arbeiten als U-Bahnfahrer. Sie sind zufrieden mit dem Streiktag. Sie fordern: "Man muss von seinem Gehalt in München leben können!" © Daniel von Loeper

Ganz anders sehen das wiederum die U-Bahnfahrer, die am Montag Vormittag von der Kundgebung vom Stachus Richtung Marienplatz laufen. "Wir sind kampfbereit und guter Dinge", sagt Dieter Joszek (51). Er und seine Kollegen wollen zusammenhalten, denn: "Man muss von seinem Gehalt in München leben können", so Joszek. Sein Kollege Richard Antesberger ergänzt: "Viele haben eine falsche Vorstellung von unserem Job. Die denken, wir sitzen einfach den ganzen Tag da. Wir tragen eine große Verantwortung. Teils haben wir 1.000 Leute hinten drin. Der Job ist anstrengend und anspruchsvoll!"

Mega-Streiktag: Wo sind die Münchner?

Wenn die Münchner nicht in den Öffis sitzen, wo sind sie? Wer kann, bleibt am Montag wohl im Homeoffice. Laut Polizei war nur etwas mehr Verkehr auf den Straßen als an einem Nicht-Streiktag. Auch die Unfallzahlen seien kaum gestiegen. Auch an sonst gut frequentierten S-Bahnhöfen im Umland, etwa in Holzkirchen: alles wie leer gefegt.

Unterwegs waren also wirklich wenige, die Münchner haben sich vorbereitet. In der Innenstadt sind ein paar Rentner und Touristen unterwegs. "Es ist Chaos, aber einen Tag geht das schon", heißt es am Marienplatz. "Ich bin heute halt mit dem Radl unterwegs", heißt es am Sendlinger Tor.

Hendrik und Jatte schießen indes Fotos am Hauptbahnhof von den Anzeigetafeln bei den Gleisen. "Wir wollten heute zurück nach Dänemark. Jetzt hoffen wir, dass das morgen klappt", sagt er. Aber es helfe ja nichts. Es scheint, als würde es der Großteil gelassen nehmen.

Hier geht noch was: der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB).
Hier geht noch was: der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB). © jw

Während der Marienplatz, der Bahnhof und die U-Bahnstationen lockdownähnlich leer gefegt sind, geht es am Zentralen Omnibus Bahnhof (ZOB) an der Hackerbrücke lebendiger zu. Hier tummeln sich einige wartende Busreisende an den 29 überdachten Terminals, vereinzelte grüne Flixbusse sind um 8 Uhr in der Früh auf der großen Busahnhofsfläche zu sehen. Immer wieder hält ein Taxi und entlässt einen voll beladenen Passagier an den Busbahnhof. In der Einkaufspassage des ZOB sitzen viele Reisende mit ihrem Gepäck auf dem Boden und warten.

Unter ihnen sind einige Reisende, die ursprünglich gar nicht den Bus nehmen wollten, denen jetzt aber nichts anderes übrig geblieben ist. Engelbert Pilshofer (58) ist auf dem Weg in seine Heimat, nach Salzburg. Eigentlich wollten er und seine Frau mit dem Zug nach Österreich fahren, sie hätten sich ein Bayern-Ticket gekauft. Aber der Streik macht ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Hana Fialová und Jan Hlavín mussten auf den Fernbus umsteigen.
Hana Fialová und Jan Hlavín mussten auf den Fernbus umsteigen. © jw

"Wir haben zum Glück noch die letzten beiden Plätze im Bus nach Salzburg bekommen", sagt er. Das Verständnis für den Streik hält sich bei ihm in Grenzen. "Ich finde ihn zu hart." Auch viele andere Busreisende erzählen der AZ, dass sie eigentlich mit dem Zug gefahren wären. Und eine junge Familie aus Tschechien würde jetzt eigentlich sogar im Flugzeug nach Prag sitzen. Doch Hana Fialová (33) und Jan Hlavín (34) geben sich gelassen: "So lange unsere Tochter zufrieden ist, sind wir's auch", sagt die Mutter.

Nachgefragt: Haben Sie Verständnis für den Streik?

Stephanie Mayr
Stephanie Mayr © Daniel von Loeper

Stephanie Mayr (39), Bühnenbildassistenz: "Ich habe Verständnis für den Streik. Die meisten können offensichtlich nicht von ihrem Gehalt leben. Dann muss sich etwas für sie ändern. Ich bin heute mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren - privat mache ich das in der Innenstadt immer. Beruflich bin ich oft mit dem Auto unterwegs. Doch momentan habe ich frei und ich verstehe, warum gestreikt wird."

Matthew Kohli und Monelle Benjamin
Matthew Kohli und Monelle Benjamin © Daniel von Loeper

Matthew Kohli (26), Geologe: "Durch den Streik entstehen uns Zusatzausgaben von über 1000 Euro, die wir sicher nicht zurückerstattet bekommen. Wir hängen in München fest, wollten heute nach London fliegen, müssen einen Bus nach Zürich nehmen und dann von dort aus nach London fliegen. " Monelle Benjamin (25) Krankenschwester: "Ich verstehe, dass gestreikt wird - doch uns trifft es hart."

Tobias Faul
Tobias Faul © Daniel von Loeper

Tobias Faul (31), Fachingenieur: "Aus solidarischen Gründen bin ich beim Streik dabei, weil es angemessen ist, dass auch Arbeitnehmer besser bezahlt werden. Eine gesellschaftliche Spaltung ist aufzuhalten. Ich bin heute mit dem Auto unterwegs und komme vom Ammersee in die Innenstadt. Ich hatte keinen Stau und habe volles Verständnis für den Streik."

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3 Kommentare
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  • Kaiserin am 28.03.2023 08:37 Uhr / Bewertung:

    Da es bei der MVG 50% Subunternehmer gibt bei den Bussen, bin ich gestern morgen reibungslos und nur 13 min. später als sonst in die Behörde gekommen und bin einen Bus später gefahren, so hatte ich nur etwas 3-4 min. weniger die ich Plus gemacht habe in der Gleitzeit. Die beiden Lininien die ich brauche fallen unter die Subunternehmer daher war es morgens ok. Nachmittags war es allerdings schon grauslig über eine halbe Stunde an einer Bushaltestellle zu stehen die kein Bushäusl hat bei dem furchtbaren Wind weil die MVG App nicht wirklich richtig anzeigte wann der Bus kommt, kaut jener wäre in 2-3 min. einer gekommen....aber das sind Kleinigkeiten.

  • SL am 28.03.2023 15:25 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Kaiserin

    Na da sehen Sie dass Sie trotz Streik der Staatsbediensteten mit den privaten Subunternehmern doch noch pünktlich in Ihre Behörde gekommen sind. Schön wäre es wenn die Busfahrer der privaten Unternehmen auch so viel verdienen würden wie die Kollegen im ÖD

  • Largo am 27.03.2023 23:09 Uhr / Bewertung:

    Positiv überrascht.
    Im Münchner Norden war gegen 17 Uhr problemloses Autofahrem möglich.
    Weniger Verkehr als sonst, und die Verkerhshindernisse ÖNVP Busse waren auch verschwunden.
    ;-)

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