Markus Söder im AZ-Interview: "Für München wird es Verbesserungen geben können"
München - AZ-Interview mit Markus Söder: Der 54-Jährige ist seit 2018 Bayerns Ministerpräsident und seit 2019 CSU-Chef.
AZ: Herr Söder, die Temperaturen steigen, der Durst nach mehr Freiheiten nimmt zu. Wann dürfen wir wieder in den Biergarten?
Markus Söder: Das wird noch dauern. Wir sind derzeit in einer gemischten Stimmungslage: Wir können für die bisherige Virusvariante eine gewisse Entwarnung geben. Doch leider kommt nun die Gefahr der Mutationen hinzu, was dazu führt, dass wir aktuell leider keinen Rückgang der Inzidenzen mehr haben, sondern wieder nur eine Seitwärtsbewegung. Bayern gehört derzeit zwar zu den fünf Bundesländern mit der niedrigsten Inzidenz, München hat sogar unter den Millionenstädten in Deutschland die niedrigste Inzidenz. Insofern kann man vorsichtig öffnen und Perspektiven aufzeigen - aber vor allem mit Vorsicht. Das Schlimmste wäre, wenn wir in drei Wochen wieder alles zurückdrehen müssten. Entscheidend sind daher Daten der Inzidenz und nicht das Datum einer Öffnung.

Wird es zu Ostern weitere Öffnungen geben?
Ihr Stellvertreter, Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, fände Ostern einen geeigneten Termin für die Öffnung von Gastronomie und Hotels.
In der Vergangenheit haben sich gerade die optimistischen Prognosen als nicht allzu belastbar erwiesen. Da gab es von einigen sogar Skepsis, ob es überhaupt eine zweite Welle geben könnte. All das wurde widerlegt. Dagegen waren meine vorsichtigen Einschätzungen meist richtig. Wir müssen daher jetzt eine intelligente Öffnungsmatrix entwickeln: Bei niedrigen Inzidenzen geht mehr, bei schlechten weniger - und bei sehr schlechten müssen wieder Einschränkungen erfolgen. Die Bereiche Impfen und Testen müssen wir dabei klug integrieren.
Markus Söder begrüßt einen europäischen Impfpass
Was heißt das?
Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass uns einerseits Impfstoff fehlt - und der vorhandene von Astrazeneca nicht vollständig akzeptiert und genutzt wird. Deshalb sollten wir nicht ständig neue Priorisierungsdiskussionen führen. Besser wäre es, den Hausärzten die Möglichkeit zu geben, dieses Vakzin zu verimpfen. Das spart Zeit und sorgt für eine schnellere Verimpfung von allem vorhandenen Impfstoff. Und je mehr wir impfen, desto klarer müssen wir machen, dass es zwar keine Impfpflicht gibt - aber dass es auch nicht sein kann, dass diejenigen, die sich impfen lassen, weiter die gleichen Grundrechtseinschränkungen haben wie diejenigen, die sich dem Impfen verweigern. Ein europäischer Impfpass ist sehr zu begrüßen. Es ist doch einfach: Ein kleiner Piks und die Freiheit ist da. Impfen ist die einzige Langzeitstrategie. Zudem müssen wir auf Bundesebene rasch ein zuverlässiges Schnelltest-Konzept etablieren.
Wie könnte das aussehen?
Wir müssen genau überlegen, wie viele Tests verfügbar sind und wo sie eingesetzt werden können. Wir haben in Bayern schon über fünf Millionen bereitgestellt, die nächste Woche ausgeliefert werden können - vor allem an Schulen und Kitas. Familie und Kinder haben Vorrang. Zudem könnten Pilotprojekte in den Kommunen für einzelne Öffnungen starten, zum Beispiel ein Schnelltest-Zentrum der Stadt vor dem Tierpark, um diesen schneller öffnen zu können. Solche Modelle muss man klug abwägen. Das ist die Arbeit, die bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch zu leisten ist.
Wissen Sie schon, wann Sie geimpft werden können?
Nein. Ich würde mich aber sofort impfen lassen, um zu zeigen, dass es nicht gefährlich ist. Natürlich auch mit Astrazeneca. Diese Impfungen sind eine große Chance. Deshalb bin ich auch dafür, die Hersteller in die Pflicht zu nehmen, dass sie rasch Impfstoffe für Kinder und Jugendliche entwickeln. Schul-Impfungen wären eine schnelle Variante, um in den wichtigen Bereichen Familie und Schule eine Entlastung zu bewirken. So wie früher, als der Schularzt alle geimpft hat.
Markus Söder: "Bei niedriger Inzidenz sind mehr Kontakte verantwortbar"
Zurück in die Gegenwart: Am Montag werden in Bayern Blumenläden, Baumärkte und einiges mehr geöffnet. Allerdings stellen sich bei der Auswahl Fragen: Warum dürfen die Menschen zur Fußpflege - aber keine Schuhe kaufen?
Wir haben uns für Friseure entschieden, weil ihr Handwerk für viele Menschen eng mit Körperhygiene zu tun hat und damit auch mit der Würde eines Menschen. Gerade viele Ältere können sich gar nicht mehr selbst die Haare waschen. Ähnliches gilt für die Fußpflege. Im anderen Fall geht es um verderbliche Ware: Pflanzen und Blumen. Deshalb hat auch der Gartensektor eine hohe Dringlichkeit. Und die Baumärkte sind deshalb dabei, weil nahezu jeder Bau- auch ein halber Gartenmarkt ist.
Was kommt als Nächstes?
Wo der Inzidenzwert niedrig ist, sind mehr Kontakte verantwortbar - zum Beispiel, dass sich bei einem Wert unter 35 wieder zwei Haushalte treffen können. Bei sehr niedrigen Inzidenzen könnte man vielleicht auch vom Wechsel- auf den Präsenzunterricht in den Grundschulen mit Schutzkonzepten umsteigen. Und wir werden überlegen, was im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben bei niedrigen Inzidenzen und mit Testkonzepten möglich ist. Dazu gehören der Einzelhandel, die Gastronomie und selbstverständlich auch die Kultur. Aber bei all dem müssen wir die Mutationen im Auge behalten. In München gibt es Einschätzungen, dass ihr Anteil bei den registrierten Fällen bereits um die 40 Prozent liegt.
War das der Grund dafür, dass Münchens OB Dieter Reiter von der Regierung von Oberbayern keine Genehmigung für die von ihm angestrebten Lockerungen erhalten hat?
Wir haben uns abgestimmt. Natürlich ist der Wunsch nach Öffnungen bei allen groß. Keiner will Spaß- oder Spielverderber sein. Die Stimmen, die Öffnungen fordern, sind laut. Aber die vielen leisen Stimmen, die zur Vorsicht mahnen, dürfen nicht überhört werden. Wir müssen alles und alle im Blick haben. Der Oberbürgermeister und die Staatsregierung denken da ziemlich ähnlich. Für München wird es aufgrund der stabilen Werte sicher Verbesserungen geben können. Aber auch hier mit Vorsicht.
"Nicht nur für einige kleinere Läden ist das eine Existenzfrage"
Dass jetzt trotz der Mutationen mehr gelockert wird, könnte auch damit zu tun haben, dass der Unmut auch in Ihrer Partei hörbar wird.
Alle Volksparteien sind im Moment ein Spiegel der Gesellschaft. Die Stimmung ist gedrückt durch zwei enttäuschte Hoffnungen: über die Geschwindigkeit des Impfens und das Ausbleiben der Hilfsgelder. Wenn Novemberhilfen erst im März kommen, ist es halt einfach zu spät. Nicht nur für einige kleinere Läden ist das eine Existenzfrage. Deswegen gibt es da einfach Unmut. Es ist eine doppelte Unsicherheit: Die einen haben Sorge vor der Mutation, die anderen vor den wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Folgen des Lockdowns. Trotzdem dürfen gerade Politiker nicht die Nerven verlieren.
Einer Ihrer CSU-Minister hat jetzt schon zum zweiten Mal gegen die Kontaktregeln verstoßen. Warum muss Bernd Sibler keine politischen Konsequenzen fürchten?
Natürlich war das unglücklich, gerade als Minister hat man eine Vorbildfunktion. Das Landratsamt Deggendorf bewertet den Vorgang. Es sollte nicht mehr vorkommen.
Wie lang bleiben die Grenzen zu Tschechien und Tirol noch geschlossen?
Die Maßnahmen beginnen zu wirken. Die Inzidenz in Tirschenreuth, Wunsiedel und Hof beginnt zu fallen. Bei Tirol ist meine Sorge sehr hoch, denn bei der südafrikanischen Virusvariante wirken möglicherweise Impfstoffe nicht und der Verlauf scheint noch aggressiver zu sein als bei der britischen Mutation. In Tirol selbst tut man sich schwer zu akzeptieren, dass da ein Problem ist. Deswegen bleiben die Grenzkontrollen, solange die Gefahr besteht.
In Österreich wird um ein Vielfaches mehr getestet als hier. Die Leute dürfen zum Beispiel nur mit negativem Test zum Friseur. Das ermöglicht viel weitergehende Öffnungen. Ist das nicht intelligenter als die bayerische Holzhammermethode, alles zuzusperren?
Wir agieren sehr umsichtig und emphatisch. Österreich hat bereits den dritten Lockdown hinter sich. Aber Wien trifft natürlich seine Entscheidungen souverän. Es ist für alle keine leichte Zeit.
Söder will Kinder- und Jugendpolitik zur Chefsache machen
Sehen Sie keine Möglichkeit, mit Selbsttests zu weitergehenden Öffnungen zu kommen?
Natürlich ist das eine denkbare Variante. Das entscheidende Problem ist aber: Wie schaffe ich es, von einem individuellen Schnelltest zu einem beweisbaren Beleg zu kommen, mit dem ich Zugang bekommen kann. Und wie wird bei einem positiven Test das Ergebnis an das Gesundheitsamt übermittelt? Die Aufgabe des Bundes ist jetzt, bis nächste Woche dazu Perspektiven zu erarbeiten.
Im September ist Bundestagswahl. Mit welcher Kampagne, mit welchen inhaltlichen Aussagen tritt die CSU an?
Erstens muss weiter gutes Corona-Krisenmanagement stattfinden. Zweitens wird die Corona-Nachsorge eine große Rolle spielen. Das heißt vor allem: Wir brauchen ein zusätzliches Konjunkturprogramm. Wir stehen besser da als befürchtet, aber wir brauchen einen Neustart für breite Teile der Wirtschaft. Das gilt auch für die Kultur. Drittens müssen wir uns damit beschäftigen, was die Pandemie mit denen gemacht hat, die sie zwar gesundheitlich gut überstanden haben, aber trotzdem davon getroffen wurden - zum Beispiel Kinder und Jugendliche. Das Thema Kinder- und Jugendpolitik mache ich zur Chefsache.
Und darüber hinaus?
Wir brauchen eine Beschleunigung von digitalen Prozessen. Das hat Corona wie ein Brennglas gezeigt. Es dauert unendlich lange, bis wir ein einfaches Computerprogramm für Wirtschaftshilfen starten können. Und weiter: Das Thema strategische Klimapolitik und die Bewältigung des Klimawandels wird auch in Bayern eine große Rolle spielen.
Bis Pfingsten soll das entscheidende Gespräch über die Kanzlerkandidatur zwischen CDU-Chef Armin Laschet und Ihnen stattfinden. Bleibt Ihr Platz in Bayern?
Natürlich hat die CDU als größere Partei das Initiativrecht. Aber wir werden als Parteivorsitzende einen gemeinsamen Vorschlag erarbeiten. Aber klar ist: Es ist für mich eine große Ehre und Freude, für unser Bayern arbeiten zu dürfen. Die eigentlich schönen Momente der Arbeit eines Ministerpräsidenten kamen ja im letzten Jahr viel zu kurz: das Oktoberfest, Volks- und Heimatfeste, die reichhaltige Kultur und die einzigartige bayerische Natur… Bayern ist einfach eine große Pracht. Und es ist das Zukunftsland in Deutschland. Daran zu arbeiten, ist eine faszinierende Aufgabe, die mich mit großer Leidenschaft erfüllt.
Wird das Oktoberfest 2021 stattfinden können?
Stichwort Oktoberfest: Wird es die Wiesn 2021 geben?
Stellen Sie sich selbst die Frage, ob Sie dabei ein gutes Gefühl hätten? Die Gefahr, dass ein solches Fest ein Superspreader-Event wird, ist zumindest theoretisch möglich. Trotzdem: Ich will heute weder was versprechen noch ausschließen, weil ich beides für nicht seriös halte. Wir werden sehen.
Sie haben die Zuschauer am Aschermittwoch gefragt, ob Sie Ihre Haare künftig länger oder wieder kurz tragen sollen. Welche Rückmeldungen haben Sie bekommen?
Ziemlich eindeutig: eher länger. Ich müsste zwar einiges wieder in Form bringen, aber die Haare eher länger lassen. Das habe ich, ehrlich gesagt, auch schon vorher von daheim gehört.
"Neuer Welpe, neues Glück: Molly ist ein Sonnenschein"
Wie geht es Molly, Ihrer kleinen Schäferhündin, die Sie seit ein paar Wochen zu Hause haben?
Super. Sie entwickelt sich prächtig, ist ein Sonnenschein und knabbert aktuell noch alles an. Sie ist natürlich schon fester Bestandteil der Familie: neuer Welpe, neues Glück.
Ist Molly eigentlich aus dem Tierheim?
Aus einem Wurf. Ich bin ja ein echter Hundefan. Ich fürchte aber, dass viele von denen, die sich jetzt während der Corona-Zeit ein Tier angeschafft haben, das bald wieder abgeben werden, wenn zum Beispiel mehr Urlaub möglich ist. Irgendwann werde ich dann wohl wieder im Tierheim - zum Beispiel in Nürnberg - sein und für die armen Tiere werben. Ich übernehme da regelmäßig Patenschaften. Denn mir liegen Tiere sehr am Herzen.