Mann fast verhungert

In Haidhausen wird der 69-jährige Manfred M. aus seiner Wohnung geborgen. Er ist stark unterernährt und kann nicht mehr gehen
von  Abendzeitung

In Haidhausen wird der 69-jährige Manfred M. aus seiner Wohnung geborgen. Er ist stark unterernährt und kann nicht mehr gehen

MÜNCHEN Der Briefkasten von Manfred M. quillt über. Das konnte jeder seiner Nachbarn sehen. Und trotzdem ahnte niemand, was sich hinter der Wohnungstür des 69-Jährigen abspielte. Oder wollte es nicht ahnen.

Manfred M. wäre fast gestorben. Verhungert. Mitten in Haidhausen. Erst als er schon so schwach war, dass er nicht mehr alleine aufstehen und gehen konnte, kam Hilfe.

Bereits seit Februar hatte der Mann keine Miete mehr für die Wohnung in der Sedanstraße bezahlt. Vorher kam sie immer pünktlich. Die Hausverwaltung versuchte ihn zu erreichen – vergeblich. Die Monate vergingen. Irgendwann schaltete sie die Polizei ein.

Als die Einsatzkräfte am Mittwoch die Tür des 69-Jährigen öffneten, bot sich ihnen ein schauriges Bild. Müll, überall Müll. Und in einem der verwahrlosten Zimmer lag Manfred M. auf einer Matratze am Boden. „Er war stark abgemagert und bestand nur noch aus Haut und Knochen“, berichtet ein Polizeisprecher. Der Mann erzählte den Beamten, er habe seit Wochen nichts gegessen. Weil er kein Geld mehr gehabt habe, um sich Lebensmittel zu kaufen. An seinem Bein: eine alte, unverheilte Wunde.

Manfred M. wollte nicht ins Krankenhaus: „Weil sich ohnehin niemand für mich interessiert.“ Trotzdem wurde er mit einem Rettungskorb aus seiner Wohnung geborgen und in eine Klinik gebracht.

Schon einmal waren in Haidhausen zwei Menschen in ihrer Wohnung verhungert. Zwei Schwestern (65 und 67), die im Jahr 2004 tot aufgefunden worden waren. Wie kann so etwas geschehen?

Das Haus in der Sedanstraße ist gepflegt, im Erdgeschoss ein kleiner Shop mit Café. Die Mieter sind bunt gemischt – auch junge Leute wohnen dort. Wie Marlene R. (Name geändert). Sie hatte bemerkt, dass der Briefkasten von Manfred M. überquillt. Hatte auch einen Zettel vor seiner Türe gesehen, auf dem ein Anwalt um Kontaktaufnahme bat. „Ich habe schon ein schlechtes Gefühl gehabt“, sagt die 29-Jährige. „Aber ich habe jetzt nicht gedacht, dass da einer verhungert.“ Kurz, nur kurz huschte der Gedanke vorbei, es könnte etwas passiert sein. Aber dann überlegte Marlene R., dass der alte Mann wohl doch nur im Urlaub sei – und unternahm nichts. „Gerade in so großen Mietshäusern bleibt das Zwischenmenschliche auf der Strecke. Jeder hat seinen eigenen Stress und rennt seinem eigenen Leben hinterher.“

Gisela S. (61) wohnte Tür an Tür mit Manfred M., seit fünf Jahren. Trotzdem hat sie ihn in all der Zeit nur einmal gesehen – am Briefkasten. Schlank war er da, nicht wirklich gepflegt. „Der ist merkwürdig gewesen“, sagt sie. Tag und Nacht hörte sie ihn in seiner Wohnung laut schimpfen. „Der führt Selbstgespräche.“ Wenn jemand im Flur war, habe er seine Wohnung nicht verlassen. Vor einiger Zeit wurde es dann ruhig nebenan.

Auch Hausmeisterin Konstantine Macango (43) kennt Manfred M. kaum. Sie bedauert, dass es so weit kam. „Wenn er etwas gesagt hätte, hätte er bestimmt Hilfe bekommen.“ J. Lenders, dur, jot

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