Manfred Nötzel: Staatsanwalt für die Wiesn

MÜNCHEN - Am Montag wird Manfred Nötzel offiziell ins Amt eingeführt, aber bereits seit 9. März ist der 59-Jährige Chef der Staatsanwaltschaft München I. Bei seinem Besuch in der AZ wird er begleitet von den Presseprechern der Staatsanwaltschaft Anton Winkler und Thoams Steinkraus-Koch.
AZ: Ihre erste Bilanz nach 123 Tagen als Leiter der Staatsanwaltschaft?
MANFRED NÖTZEL: Wir sind gut aufgestellt als Behörde. Wir haben sehr gute Mitarbeiter. Mit 150 Staatsanwälten sind wir die größte Staatsanwaltschaft in Bayern und die zweitgrößte in Deutschland. Von der Größe ist das vergleichbar mit einem mittelständischen Betrieb. Ein Drittel meiner Mitarbeiter beschäftigt sich mit Wirtschaftsstrafsachen. Es gibt wenig andere Staatsanwaltschaften, die da mithalten können. Wir ermitteln gleichzeitig gegen mehrere Dax-Konzerne.
Stichwort Wiesn-Schlägereien. Wird es hier mit ihnen ein schärferes Vorgehen geben?
Ein Staatsanwalt vor ORt auf der Wiesn - das wünscht sich Nötzel
MANFRED NÖTZEL: Man muss abwägen, was sind gefährliche Körperverletzungen, was sind bereits versuchte Tötungsdelikte. Wir wollen erreichen, dass der Bereich von vorneherein präziser erfasst und bearbeitet wird. Wir wollen die Geschäftsverteilung umstrukturieren, um diesen Bereich an den bekanntermaßen exzellenten Standard bei der Ermittlung von Tötungsdelikten heranzuführen.
Wie schnell kann das umgesetzt werden?
MANFRED NÖTZEL: Ich wünsche mir, dass wir in Abstimmung mit der Polizei bereits bei diesem Oktoberfest einen Staatsanwalt vor Ort haben, der beurteilt, ob es sich bei solchen Angriffen um eine schwere Straftat handelt oder nicht.
Ist ein Schlag mit dem Maßkrug dann automatisch ein versuchtes Tötungsdelikt?
NÖTZEL: Wenn ich einen Maßkrug auf den Schädel Kopf oder ins Gesicht bekommen, dann würde ich das schon so sehen. Es gibt da keine große Toleranz.
Korruption wird in Österreich und andernorts nicht so scharf verfolgt wie bei uns. Werden Ihre Ermittlungen wie im Fall Siemens da nicht als Wettbewerbsnachteil gewertet?
"Bei Siemens wird jetzt sauber gearbeitet."
NÖTZEL: Natürlich ist das eine Belastung für solch ein Unternehmen. Aber es ist durchaus strittig, ob das ein Wettbewerbsnachteil ist. Siemens steht heute fast besser da als vorher, soweit man das von außen beurteilen kann. Da weiß der Investor jetzt, hier wird sauber gearbeitet. Die Korruptionsverfolgung ist in Europa unterschiedlich. Hier sollte eine Vereinheitlichung angestrebt werden.
ANTON WINKLER: Korruption hemmt Innovation. Wer für den Absatz seiner alten Produkte schmiert, steckt sein Geld nicht in neue Produkte.
Der „Deal“ im Strafprozess: Bei einigen entsteht durch eien solche Absprache – vor allem bei Wirtschaftsstrafsachen – der Eindruck, dass man die großen laufen lässt und die kleinen hängt. Bereitet ihnen das Bauch- oder Kopfschmerzen?
NÖTZEL: Wenn der Eindruck entsteht, dass dem so wäre, würde es bei mir beides verursachen. Der Deal ist ein Mittel der täglichen Praxis, um die Verfahren in angemessener Zeit abzuschließen. Ich spreche hier von „Verständigung“. Es gibt tatsächlich viel Widerstand. Entscheidend für mich ist aber, dass der Deal transparent ist, dass das Strafmaß nachvollziehbar ist.
Die Prozesse gegen die mutmaßlichen Kriegsverbrecher Scheungraber und Demjanjuk: Warum erst jetzt?
NÖTZEL: Wir konnten von uns aus das Verfahren Demjanjuk keinesfalls früher eröffnen. Die zentrale Stelle in Ludwigsburg musste erst die Beweismittel aus Polen, Russland bekommen und an uns weitergeben. Das ist noch nicht so lange her, dass das geschehen ist.
THOMAS STEINKRAUS-KOCH: Im Fall Scheungraber haben wir erst durch das italienische Ermittlungsverfahren Anfang 2005 von den Anschuldigungen erfahren. Die Akten lagen jahrelang dort ungeöffnet im „Schrank der Schande“ in Rom.
"Ich muss mir keine Gedanken mehr über die Tagesplanung machen."
Macht es Sinn, so alte Männer noch vor Gericht zu stellen?
Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet. Mord verjährt nicht.
Chef der Münchner Staatsanwaltschaft - ein Traumjob?
NÖTZEL: Ich muss mir jedenfalls keine Gedanken mehr über die Tagesplanung machen. Sie tragen die Verantwortung für die Arbeit von 150 Akademikern, für jede Öffentlichkeitsarbeit, für das Erscheinungsbild nach außen. Viele schauen auf uns. Da kann man nicht nein sagen, wenn man das angeboten bekommt. Es gibt viele kitzlige Fälle. Auch von globaler Bedeutung. Vom Fall Klatten habe ich im Urlaub durch eine Schlagzeilen-Geschichte der Bangkok Post erfahren.
Ist die Staatsanwaltschaft mit jährlich bis zu 200000 Verfahren überlastet?
NÖTZEL: Ich hätte nichts gegen mehr Personal einzuwenden. Wir bekommen aber jetzt schon zu besonderen Zwecken Verstärkung. Ich bin aber sehr stolz, dass die Behörde so gut funktioniert. Dass trotz dieser Zahlen wenig Probleme auftreten. Hat aber mit den sehr, sehr guten Staatsanwälten zu tun, die hier arbeiten, sehr motiviert sind und viel Energie mitbringen.
Wo hakt’s noch?
Was wir dringend brauchen, sind Regelungen, um im Bereich Internet tätig zu werden, um Auswüchsen entgegentreten zu können. Es darf nicht passieren, dass Täter in diesem Medium ruhigen Blutes agieren können, weil es an Mitteln der Strafverfolgung fehlt.
Interview: John Schneider, Nina Job, Torsten Huber