Story

Männerwohnheim in München: Das Haus der Hoffnung an der Pilgersheimer Straße

Seit 70 Jahren werden an der Pilgersheimer Straße obdachlose Männer aufgenommen. Was das Heim so besonders macht und warum es heute genauso benötigt wird wie früher.
von  Conie Morarescu
Stefanie Kabisch leitet das Wohnheim in der Pilgersheimer Straße. Sie stellt fest, dass sich die Situation in der Stadt verschärft hat.
Stefanie Kabisch leitet das Wohnheim in der Pilgersheimer Straße. Sie stellt fest, dass sich die Situation in der Stadt verschärft hat. © Daniel von Loeper

München - Krokusse blühen im Innenhof. Sie verheißen Hoffnung an diesem Ort, der seit 70 Jahren Anlaufstelle für Menschen ist, die in großen Schwierigkeiten stecken. Zwischen dem massiven Altbau des Obdachlosenheims an der Pilgersheimer Straße und seinem modernen Anbau liegt der Eingangsbereich. Gelbe Pinselstriche auf den nackten Betonwänden bringen etwas Wärme in den grauen, amtlich anmutenden Bau. Der erste Schritt zu Hilfe führt hier an die Pforte.

Seit mehr als 70 Jahren gibt es die Unterkunft

Für viele kein leichter Schritt. Das weiß die Einrichtungsleiterin Stefanie Kabisch. Als Streetworkerin an der Wittelsbacherbrücke hat sie jahrelang obdachlose Männer hierher begleitet, oft nach langer Überzeugungsarbeit. "Umso wichtiger, dass sich unsere Klienten willkommen und angenommen fühlen."

Der katholische Männerfürsorgeverein München kümmert sich seit 1950 um wohnungslose, arbeitslose, suchtkranke und straffällig gewordene Männer. 1952, vor genau 70 Jahren, übernahm der Verein die Verwaltung der damals von der Stadt neu gebauten Obdachlosenunterkunft.

Das Männerwohnheim ist in den 50er Jahren gebaut worden.
Das Männerwohnheim ist in den 50er Jahren gebaut worden. © Daniel von Loeper

Männer ohne ein Zuhause ab 18 Jahren finden in dem Haus an der Pilgersheimer Straße seitdem 365 Tage im Jahr ein Bett, Essen und Kleidung. 179 Schlafplätze stehen heute zur Verfügung.

Die "Pille" bietet mehr als nur einen Schlafplatz

Es handelt sich aber nicht nur um ein städtisches Unterkunftsheim, das macht das Pilgersheim, oder auch "Pille", wie es von den Bewohnern genannt wird, so besonders. Es geht nicht nur darum, die existenziellen Grundbedürfnisse zu decken. Die Männer sind verpflichtet, beim Sozialdienst vorzusprechen, wenn sie hier übernachten wollen. Sie sollen dabei unterstützt werden, eine Perspektive für ihr Leben zu entwickeln.

Im Pilgersheim wird niemand dauerhaft untergebracht. Man kann es als erste Auffangstation bezeichnen. Bei jedem Ankömmling wird geprüft und überlegt, wohin es gehen könnte. In eine dauerhafte Obdachlosenunterkunft zum Beispiel, und von dort aus vielleicht in eine eigene Wohnung.

Stefanie Kabisch zeigt es an: Es handelt sich um ein Wohnheim für Männer.
Stefanie Kabisch zeigt es an: Es handelt sich um ein Wohnheim für Männer. © Daniel von Loeper

In den 70er Jahren wurde das Heim um einen sozialen Beratungsdienst ergänzt. Jeder wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Mensch ist hier willkommen, auch wenn er oder sie kein Bewohner des Heims ist.

Auch für medizinische Versorgung ist gesorgt

1987 eröffnete eine hauseigene Arztpraxis, auch hier wird jeder Mensch behandelt, ob versichert oder nicht. Die Praxis wurde 2004 um eine psychiatrische Betreuung erweitert. Seit 25 Jahren gibt es außerdem die Münchner Straßenambulanz, die obdachlose Menschen draußen auf der Straße medizinisch versorgt.

"Viele unserer Klienten kommen mit Vorerkrankungen zu uns. Sie wurden oft lange nicht behandelt, das Leben auf der Straße setzt der Gesundheit ziemlich zu", erzählt Stefanie Kabisch. "Unsere Ärzte kümmern sich zum Glück um sie."

Im Speisesaal gibt es täglich zwei warme Gerichte. Besonders beliebt ist Schnitzel.
Im Speisesaal gibt es täglich zwei warme Gerichte. Besonders beliebt ist Schnitzel. © Daniel von Loeper

Die Wände in ihrem Büro sind bunt behangen, mit eingerahmten Bildern und Leinwänden, auf denen Landschaften und Stadtkulissen abgedruckt sind, mit vielen Fotos und Postkarten. Lebendigkeit inmitten einer Welt voller schwieriger Schicksale.

Betreuungsassistenten haben "einen sehr guten Draht zu den Bewohnern"

"Die Arbeit ist nicht immer leicht, ich habe größten Respekt vor all unseren Mitarbeitenden, die teilweise schon sehr lange bei uns sind. Vor den Ärzten und ihrem Team, vor den Beratern im Sozialdienst, der Hauswirtschaft, auch und besonders vor den Betreuungsassistenten." Das seien die "Erstansprechpartner für alles", wie Kabisch erklärt. Sie geben frische Wäsche aus, sie wecken die Bewohner, die einen halben Tag lang die Zimmer für die Reinigung verlassen müssen. "Nicht immer eine angenehme Aufgabe", weiß die Leiterin. Die Betreuungsassistenten erledigen zudem dringende Besorgungen oder fahren Klienten ins Amt. "Sie haben einen sehr guten Draht zu den Bewohnern und manchmal mehr Erfolg, wenn es darum geht, sie von etwas zu überzeugen."

Einmal am Tag müssen die Bewohner ihr Zimmer verlassen, dann wird geputzt. Aber es gibt Aufenthaltsräume wie diesen.
Einmal am Tag müssen die Bewohner ihr Zimmer verlassen, dann wird geputzt. Aber es gibt Aufenthaltsräume wie diesen. © Daniel von Loeper

Joao Batista arbeitet seit vier Jahren als Küchenhelfer im Pilgersheim. Mit einer großen Kelle rührt der gebürtige Portugiese gerade in der Soße. Täglich werden viele Hundert Mahlzeiten zubereitet. Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Zweimal am Tag gibt es etwas Warmes. Das Heim beliefert auch andere Einrichtungen. Es ist viel zu tun.

Monatelange Wartezeiten sind fast die Regel

"Am meisten mögen die Leute Schnitzel mit Pommes", weiß Batista. Normalerweise steht die Kantine nicht nur den Bewohnern offen. Sie ist auch Anlaufstelle und Treffpunkt für Männer und Frauen, die auf eine günstige Mahlzeit angewiesen sind. Doch wegen Corona gibt es das Essen momentan für Externe nur zum Mitnehmen.

Kabisch schätzt die aktuelle Entwicklung nicht nur wegen der Pandemie als besorgniserregend ein: "Wenn es darum geht, die Klienten weiterzuvermitteln, stockt es in den vergangenen Jahren zunehmend. Manche müssen monatelang warten, um in eine dauerhafte Obdachlosenunterkunft zu kommen." Die Langzeitunterkünfte seien lange belegt, weil die Weitervermittlung in eigene Wohnungen sehr schwierig sei. Die Wohnungsknappheit sei ein großes Problem.

Joao Batista arbeitet als Koch im Wohnheim. Gekocht wird viel.
Joao Batista arbeitet als Koch im Wohnheim. Gekocht wird viel. © Daniel von Loeper

Auch immer mehr Menschen mit Arbeit werden obdachlos

Das sei an einer weiteren Entwicklung deutlich zu spüren: Erwerbstätige wohnungslose Menschen, auch Paare, gebe es immer häufiger. Oft verlieren sie unverschuldet ihre Wohnung, zum Beispiel, weil der Vermieter wegen Eigenbedarf gekündigt hat.

Mit einem geringen Verdienst stehen die Chancen äußerst schlecht, in München eine Wohnung zu finden. "Viele werden auch wegen ihrer Herkunft diskriminiert", erklärt Kabisch. Auch sie finden in dem Männerwohnheim in der Pilgersheimer Straße Unterstützung und Beratung.

Der Betreuungsbedarf, der während der Nachkriegszeit so groß war, ist in den letzten 70 Jahren nicht wesentlich geringer geworden. Heute liegt das nicht an zerbombten Gebäuden und durch den Krieg zerstörten Schicksalen, sondern an den teuren Mieten und der Wohnungsnot, vor allem, wenn es um bezahlbaren Wohnraum geht.

"Es gibt viel zu wenige Sozialwohnungen", bedauert Stefanie Kabisch. "Pille" bleibt also damals wie heute eine wichtige Institution für die wohnungslosen Münchner.

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