Mädchenmörder-Anwalt: "Auch Mörder haben Rechte"

Der Münchner Anwalt Adam Ahmed (43) verteidigt den Mann, der die kleine Franziska grausam getötet hat. Hier erklärt er, wie es dazu gekommen ist.
München - Nach dem Prozessauftakt gegen den Mädchenmörder Stefan B. hat Adam Ahmed (43) wieder E-Mails von Fremden bekommen. „Wie kann man sich nur für so jemanden einsetzen?“ Für jemanden, der eine Zwölfjährige vom Rad gezerrt, verschleppt, missbraucht und erschlagen hat. „Liegt dieser Kerl Ihnen so sehr am Herzen?“
Darauf käme es gar nicht an, sagt der Strafverteidiger, der Stefan B. diesen Mittwoch erneut vor dem Landgericht Ingolstadt zur Seite stehen wird. Der Rechtsstaat liege ihm am Herzen, „und in einem Rechtsstaat hat jeder Anspruch auf einen Verteidiger. Sonst bräuchten wir keine Gerichte und keine Prozesse.“
Auf dem Fensterbrett wacht eine silberne Playmobil-Justitia
Ahmed sitzt in seiner Kanzlei in der Rumfordstraße am Schreibtisch – ein Stapel Leitzordner droht auf eine Metallminiatur der Justitia zu kippen – und erklärt, warum gerade er so oft Menschen verteidigt, denen Bestialisches vorgeworfen wird. Menschen, die Kinder getötet haben oder Polizisten – oder eben ein skurriles Münchner Original.
Denn begonnen hat dieser Teil seiner Karriere mit Rudolph Moshammer. Der Modezar wurde 2005 von dem irakischen Kurden Herisch A. erdrosselt, den er am Hauptbahnhof aufgegabelt hatte. Der eine wollte Sex, der andere hatte Spielschulden, es gab Streit ums Geld.
Der Bruder des Mörders wandte sich an Adam Ahmed. Dass der bis zu diesem Zeitpunkt vor allem Mediziner in Zivilrechtsstreitigkeiten vertreten hatte, störte den Bittsteller nicht. „Er hat gewusst: Da gibt’s einen Anwalt in München, dessen Vater aus dem Irak kommt – das war das Entscheidende.“ Herisch A. wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, das Gericht erkannte zudem eine besondere Schwere der Schuld. Vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren: unmöglich.
„Ich bin mir sicher, dass ich kein einziges Mandat bekommen habe, bloß weil ich Herisch A. vertreten habe – sondern durch Qualität“, sagt der Jurist in der Rückschau. Ursache dafür, dass er mittlerweile zu den gefragtesten Strafverteidigern Süddeutschlands gehört, sei vielmehr der „Flurfunk“ in den Justizvollzugsanstalten.
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„Jeder Mandant merkt, ob Sie ehrlich zu ihm sind und bereit, sich für ihn einzusetzen. Ich bin authentisch und geradlinig, egal, was derjenige gemacht hat.“ Außerdem verspreche er nichts, was er nicht halten könne. Das habe sich herumgesprochen. Wenn jemand dann einen Pflichtverteidiger brauche, könne er innerhalb einer Frist einen Rechtsanwalt vorschlagen. „Sonst sucht das Gericht einen aus – in der Regel jemanden, der keinen Ärger macht und nicht ständig Anträge stellt, in der Regel nicht mich“, sagt Adam Ahmed.
Denn der Münchner ist ein unbequemer Gegner. Einer, der sich als Kämpfer für das Recht sieht. „Wir haben tolle Gesetze, die bestmöglich umgesetzt werden müssen. Und wir haben gute Richter – aber leider auch schlechte, die nicht ergebnisoffen und ohne Bezug zum Menschen urteilen.“
Auf dem Fensterbrett neben seinem Schreibtisch steht ein Playmobil-Arrangement, das eine Gerichtsszene nachstellt. Im Zentrum: eine weitere Justitia, diesmal aus Plastik. Ein Mandant hat die Figur mit Augenbinde und Waage versehen und silbern bemalt, weil der Hersteller keine Mini-Gerechtigkeit im Programm hatte.
„Das Kämpfen, das Nichtaufgeben, aber auch das Menschliche habe ich von meiner Mutter“
„Auch Mörder haben Rechte“, sagt Adam Ahmed. Deshalb hat er gegen die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung gekämpft – und einiges bewegt. 2009 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass diese Art der späten Strafe nicht zulässig ist. Das Bundesverfassungsgericht folgte der Straßburger Marschroute. Von 21 Sicherheitsverwahrten, die Adam Ahmed vertritt, kamen mittlerweile 13 frei. „Von diesen ,Schlimmsten der Schlimmen’ ist keiner einschlägig rückfällig geworden“, sagt er zufrieden. Vielleicht noch nicht. „Aber wenn man davor Angst hat, dann muss es eine Rechtsgrundlage geben, nach der so jemand weggesperrt werden kann. Da ist der Gesetzgeber gefragt.“
„Das Kämpfen, das Nichtaufgeben, aber auch das Menschliche habe ich von meiner Mutter“, sagt der 43-Jährige. Sie war mit einem einzigen Koffer nach Deutschland gekommen und hatte sich in einen Maschinenbau-Studenten aus dem Irak verliebt: in Adam Ahmeds Vater.
Der Bub und sein knapp vier Jahre älterer Bruder wuchsen in Moosach auf. Allerdings hatten die beiden – wie ihr Vater – einen irakischen Pass. „Wenn wir nach Griechenland gefahren sind, war klar, dass wir an jeder Grenze rechts raus müssen – wegen der Ausweise.“ Das sei extrem belastend gewesen. „Einmal sind wir in Patras von der Fähre gerollt und von Polizisten mit Maschinenpistolen empfangen worden. Irgendetwas hat mit unseren Visa nicht gestimmt – wir mussten mit der nächsten Fähre zurück.“ Ein Botschaftsangehöriger in München hatte vergessen, eine Nummer in die Reisedokumente einzutragen. „Angeblich hat die 13 irgendwo gefehlt.“ Heute kann Adam Ahmed darüber lachen.
Brenzlig wurde es für die Familie auch, als der Vater sein Studium beendet hatte. „Er sollte wieder ausreisen. Alles war schon gepackt. Aber meine Mutter hat sich durchgesetzt, wir sind geblieben.“ Mit Hilfe eines Experten erkämpften sich Ahmeds die deutsche Staatsangehörigkeit.
„Natürlich beschäftigt das einen, das können Sie nicht ausschalten“
Adam Ahmed hat die Hauptschule besucht und später die Realschule. Er hat eine Ausbildung zum Werkzeugmacher absolviert und gemerkt: „Das ist nichts für mich. Ich bin oft morgens aufgewacht und hab nur gedacht: Oh mein Gott, nicht schon wieder.“ An der Abendschule legte er das Abitur ab, wofür er innerhalb weniger Monate Französisch lernen musste. Heute erzählt er manchmal den Kindern an seiner ehemaligen Schule von seinem Werdegang, um sie zu motivieren. Tritt er öffentlich auf, spendet er die Gage, „immer an verschiedene Projekte, nie zweimal an dasselbe“.
Als Bub hat er beim FC Bayern gekickt – natürlich als Verteidiger –, später in einer Justiz-Mannschaft. Mittlerweile hat er auf Squash umgesattelt. Doch im Moment hat er eigentlich nicht einmal Zeit für die Sportschau. Auch seinen Lieblingsfilm, „Die zwölf Geschworenen“ aus dem Jahr 1957, hat er lange nicht mehr gesehen.
Schließlich seien da noch die anderen Mandanten, über deren Verbrechen nicht in den Zeitungen berichtet werde. „90 bis 95 Prozent meiner Fälle spielen in der Öffentlichkeit keine Rolle“, sagt er. „Erst letzte Woche habe ich in Stadelheim drei Leute aus der U-Haft geholt.“
Doch es sind die prominenten Fälle, die besonders grausamen Verbrechen, die auch einen abgeklärten Juristen wie Adam Ahmed nicht automatisch loslassen, wenn er die Kanzleitür hinter sich ins Schloss zieht. „Natürlich beschäftigt das einen, auch in der Nacht. Das können Sie nicht ausschalten. Sonst wäre ich ja abgestumpft, eine Maschine“, sagt er. „Aber genau so berührt es mich, wenn ein Richter meinen Mandanten in seinen Rechten beschneidet. Da reg ich mich auf!“