Lustpark und Luftschlösser: Das blieb von Olympia

Vom 26. August bis zum 11.September 1972 wurden die Spiele der XX.Olympiade in München, Kiel (Segeln) und Augsburg (Wildwasser) ausgetragen. Welchen Herausforderungen sich die Landeshauptstadt stellen musste und was dann in der City los war, lesen Sie in dieser AZ-Serie. Teil 6
Streichelzoo, Gondelbahn oder doch lieber ein Seehotel? Nach den Spielen haben die Münchner viele Ideen für die Sportanlagen – dabei sind der Park und das Sportler-Dorf marode und teuer.
München - Ein heiteres München, friedlich-entspannt, weltstädtisch, ein „Swinging Munich“? Oder eher der Terror des „Schwarzen Septembers“ – was bleibt unter dem Strich als Erinnerung stärker haften?
Was in jedem Fall weiter besteht, ist ein grandioses architektonisches Werk: Ein Volkspark, Sportanlagen vom Feinsten und ein flächendeckendes Schnellbahnnetz. All das muss allerdings unterhalten, bespielt und finanziert werden. Und da stellt sich für die Folgejahre eine Fülle von Fragen.
HUNDE UND LIBERALE
Aus den „olympischen Ruinen“ soll der „größte lebendigste Sport- und Erholungspark Europas“ auferstehen. Mit diesem vollmundigen Versprechen übernimmt der Direktor der Olympia GmbH, Werner Göhner, die über 1100 Schlüssel für die Sportstätten, Veranstaltungshallen, gastronomischen Betriebe, Büros und Werkstätten.
Sechs Tage nach der Schlussfeier am 17. September startet das nacholympische Programm mit der Auftakt-Show zur neuen Fernsehserie „Ein Platz an der Sonne für jung und alt“. Dann erscheinen zweihundert Rassehunde zur Prämierung und daraufhin die Delegierten der FDP zu ihrem Parteitag.
Im November liefern sich 14 europäische Spitzenmannschaften das erste Münchner Sechs-Tage-Rennen seit 18 Jahren. Eingebaut wurden dafür eine 200 Meter lange Radrennpiste aus nordischer Kiefer, mehrere Schießbuden und ein Podium für ein Show-Orchester. Inmitten des Ovals sollen danach vier Tennisplätze entstehen.
Die größte Mehrzweckhalle der Bundesrepublik, eben noch Arena für Turnen und andere Disziplinen, ist bis Ende Januar ausgebucht. Sie kann, etwa für Boxkämpfe, bis auf 14267 Plätze erweitert werden. In der Olympiapark GmbH, nunmehr der größte Veranstalter Münchens, erwägt man, die Halle auch für die Eishockey-WM 1975 anzubieten. Auch an Stallungen für Reitturniere und an Hallenfußball ist gedacht.
Etwas länger dauert es, bis das Olympiastadion wieder in Betrieb gehen kann. Der beim Preis der Nationen von den Pferden zertrampelte Rasen soll völlig neu angepflanzt und künftig nicht nur automatisch beheizt und berieselt, sondern auch gegen Wetterunbilden automatisch abgedeckt werden können. Außerdem will man die Osttribünen überdachen, so dass rund 60000 von 80000 Zuschauern ein Zeltdach über dem Kopf haben. Die Fußball-WM 1974 wurde nur unter dieser Voraussetzung nach München vergeben.
MUSEUM UND BIERGARTEN
Die Aufwärmhalle neben dem Stadion soll ein Leichtathletikzentrum werden. Außerdem ist eine ständige Ausstellung geplant. Die Porträts und Signaturen aller Medaillengewinner, Pläne, Plakate, Fahnen, Wimpel, Abzeichen, Sportgerät, Trikots und Maskottchen Waldi sollen Olympia ’72 dokumentieren.
Auf dem Forum zwischen Stadion, Sport- und Schwimmhalle möchte Großwirt Hermann Haberl einen Biergarten bauen und „in lauen Sommernächten venezianische Atmosphäre bei Seefesten auf dem Olympiasee verbreiten“. Ein Hubschrauberlandeplatz soll nebenan bis zur Fußball-WM planiert werden.
Die Schwimmhalle steht der Bevölkerung und Vereinen zur Verfügung. Allerdings muss dafür erst eine riesige Glaswand anstelle von Tribünen eingesetzt werden. Für deren Gestaltung versucht man vergeblich Popkünstler Andy Warhol zu gewinnen. Durch diese Wand wird man „auch beim Schwimmen das Panorama des Olympiaberges und Münchens größte Liegewiese sehen und erleben können“, verheißt Chefarchitekt Behnisch.
Ausschließlich für die Bevölkerung wird auch der eigentliche, der grüne Olympiapark geöffnet. Die zwölf Gärtner, die dort ständig arbeiten werden, müssen allerdings erst einmal die 85 Hektar großen Blumenwiesen mit ihren 12000 Büschen und Bäumen von den Spuren des Massenbetriebs der 16 Tage befreien. Komplett verwüstet ist das Rosenbeet vor dem Olympischen Dorf, wo Journalisten und Kameraleute am Schwarzen Septemberdienstag standen. Nach Vorstellung des Landschaftsplaners Günther Grzimek soll ein „zweiter Englischer Garten“ erblühen. Mit Spielplätzen, kleinen Bühnen und Tieren wie Schafe, Zwergziegen und Ponys.
Die Volkshochschule hat inzwischen das Grundkapital beisammen, um im VIP-Bereich des Hauptstadions einen „Gesundheitspark“ anzulegen, der außer Breitensport auch vielerlei Kurse anbieten soll. Auf dem angestauten Olympiasee sollen Kähne schaukeln; der Antrag einer Schweizer Gruppe für eine „Gondolettabahn“ wird aber abgelehnt. Das Theatron wird gelegentlich wieder bespielt. Am Westufer möchten Investoren ein Bungalowhotel bauen.
Schöne Zukunftspläne – aber wer soll die bezahlen? Direktor Göhner sagt klar: „Auch bei bester Nutzung wird der Olympiapark immer ein Zuschussbetrieb bleiben." Gutachten rechnen mit einem jährlichen Defizit.
Um die Finanzen durch eigene Einnahmen aufzubessern, will die Olympiaparkgesellschaft „selbstverständlich auch Werbung“ erlauben, was bei der Olympiade streng verboten war. Auch Führungen will man veranstalten, wobei in einem preisgünstigen Arrangement auch der Besuch des Olympiaturms mit Brotzeit eingeschlossen werden soll.
MÄNGEL UND MORMONEN
Ein Jahr danach meldet Göhner: „Jetzt kommt ein negatives Olympia-Image auf uns zu – aber das war ja vorauszusehen." Fast täglich ist von Schäden an den Anlagen zu lesen. Die meisten Beschwerden betreffen das "moderne Weltwunder", das größte und teuerste aller Dächer.
Das Schwimmstadion wird erst Ende Juli 1973 eröffnet. Nicht nur der Einbau der riesigen Glaswand hat den Termin verzögert, auch zeigte der Boden starke Unebenheiten, Kondenswasser schlug sich nieder, die Wasseraufbereitungsanlage funktionierte nicht.
Auch die Betriebskosten, vor allem für Licht und Heizung, liegen mindestens um 20 Prozent über der Schätzung. Anfang August freut man sich deshalb schon auf 80000 Zeugen Jehovas und gleich danach auf Mormonen aus aller Welt. Beide Religionsgemeinschaften wurden als besonders zahlungskräftig ausgemacht.
RATTEN UND RÄUBER
„Die Hälfte des Schadens wird erst in einigen Wochen ermittelt sein," sagt Walther Tröger, der noch bis Ende Oktober 1972 als Bürgermeister des 450 Millionen Mark teuren Olympischen Dorfes amtiert. Nach seinen bisherigen Erkundungen ist der hinterlassene Schaden jedenfalls geringer, als man befürchtet hatte. Dass viele der nach Geschlechtern getrennten 12000 Sportler und Betreuer fast alles, was nicht niet- und nagelfest ist, als Souvenir mitnehmen würden, war von vornherein eingeplant und durchaus geduldet worden.
Mit dem Ausräumen der von der Bundeswehr entliehenen Möbel und der Totalrenovierung des etwas geplünderten Dorfes kann natürlich erst nach dem Auszug der letzten Athleten begonnen werden. Bis zum 18. September haben sie Wohnrecht, und nicht wenige wollen die Frist nützen. Auch der Betrieb im Vergnügungszentrum geht vorerst weiter. Jetzt darf im Bavaria Club, was während der Wettkämpfe streng verboten war, auch Bier ausgeschenkt werden. Bis zum Abzug des letzten Mannes patrouillieren noch Polizisten am Zaun, der von den palästinensischen Terroristen so leicht zu überklettern war.
Kaum sind die letzten Olympiagäste ausgezogen, wobei sie pro Quadratmeter Wohnraum einen Schaden von 15 DM hinterlassen, streitet sich der bayerische Staat, der das Grundstück billig abgegeben hatte, mit den privaten „Maßnahmeträgern“, weil diese plötzlich weit über die ausgehandelten Festpreise hinausgehen. Der Quadratmeter kostet jetzt bis zu 2300 Mark.
So bleiben die fünf Baugruppen lange auf den meisten der 5000 freifinanzierten Wohnungen sitzen. Als schließlich alles renoviert, großenteils verkauft und belegt ist, funktioniert so manches nicht. Zum Beispiel die „modernste Müllentsorgungsanlage der Welt“; Aus dem Musterdorf wird eine Müllhalde. Unrat häuft sich in den Untergeschossen. Ratten tummeln sich überall. Und Gangster.
An den treppenförmigen Fassaden turnen Einbrecher und Sexstrolche, in der unterirdischen Verkehrszone lauern Räuber und Autoknacker. Die Stadt bedauert jetzt, die „Schwarzen Sheriffs“ vertrieben zu haben.
Dafür kommen – wie heute – schon jede Menge Touristen. Jahr für Jahr wandern schätzungsweise 1,2 Millionen durch die verkehrsfreien Gassen. Insbesondere das Haus in der Conollystraße, wo sich das Terror-Drama vom 5. September abgespielt hatte, zählt zu den begafftesten Attraktionen.