Long Covid, das neue Volksleiden? Münchner Patienten berichten

München - Extremsport wie Triathlon und Eisklettern gehörten zu seinem Leben. Der Münchner Matthias Bonigut (31) war topfit und äußerst sportlich – bis ihn die Omikron-Variante von Corona niederstreckte. Obwohl er drei Mal geimpft war und einen sogenannten milden Verlauf ohne Klinikaufenthalt hatte, leidet er unter Spätfolgen.
Einige Wochen nach überstandener Infektion wagte sich Bonigut wieder auf eine Bergtour – und bekam prompt eine Herzmuskelentzündung. Obwohl seitdem Monate vergangen sind, ist er von seiner alten Leistungsfähigkeit noch weit entfernt. Der 31-Jährige muss Beta-Blocker nehmen, sich nachmittags oft hinlegen, bekommt immer wieder Fieberschübe. "Meine Freizeitgestaltung hat sich gnadenlos geändert", berichtet er der AZ.

Eigentlich wollte er auf elf Viertausender - abgeschrieben
Etwa jeder zehnte Erwachsene, der sich mit Corona infiziert hat, kämpft mit Langzeitfolgen, so die Schätzung von Fachleuten. In Bayern entspricht das aktuell etwa 60.000 Menschen. Bei Kindern geht man von etwa fünf Prozent aus. "Post-Covid-Langzeitfolgen haben das Potenzial zur Volkskrankheit", sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) gestern bei einem Besuch im LMU-Klinikum Großhadern.
Dort gibt es seit September 2021 eine interdisziplinäre Post-Covid-Ambulanz für Erwachsene, die der Freistaat mit fast 580.000 Euro unterstützt. 220 Patienten wurden und werden hier seitdem ganzheitlich und interdisziplinär behandelt. Seit Ende April gibt es noch eine zweite Anlaufadresse im Klinikum Innenstadt, dort werden derzeit 20 Post-Covid-Patienten behandelt. "Corona-Langzeitfolgen können jeden Erkrankten treffen, unabhängig vom Verlauf der Infektion", betont Gesundheitsminister Holetschek.

Viele Betroffene, die in die Ambulanz der LMU-Klinikum kommen, haben eine Arzt-Odyssee hinter sich. Denn oft werden Patienten nach überstandener Infektion nicht richtig ernst genommen mit ihren Beschwerden. Dazu gehören extreme Erschöpfung, Lungenfunktions-, Seh- und Konzentrationsstörungen, Depressionen oder Angstzustände. Ambulanz-Ärztin Kristina Adorjan: "Es ist ein enorm komplexes Krankheitsbild." Klar sei jedoch: "Post-Covid führt häufig zu einer deutlich verminderten Lebensqualität und oft zu Arbeitsunfähigkeit." Dies bedeute auch einen volkswirtschaftlichen Schaden." Klinikdirektor Prof. Markus Lerch betont: "Post-Covid-Erkrankungen sind ein richtig großes Problem. Das wurde unterschätzt."
In der Spezial-Ambulanz bekommen die Patienten eine ganzheitliche Diagnose und eine maßgeschneiderte Therapie, die auch die Psyche miteinbezieht. Der Weg führt immer über den Haus- oder Facharzt.
Die meisten Patienten, die derzeit im LMU-Klinikum behandelt werden, sind Berufstätige – "darunter viele in extrem anspruchsvollen Berufen wie Rechtsanwälte, Richter und Ärzte", sagt der Arzt Hans Stubbe aus dem Ambulanz-Team. "Wir versuchen, ihre Leistungsfähigkeit zu steigern."

Begleitet werden die Therapien von einer Studie. Zwischen Einheiten im Klinikum mit Physio-, Ergo- und anderen Therapien werden die Patienten zudem regelmäßig per Video-Sprechstunde betreut. Darüber hinaus tragen sie ständig eine Smart-Watch am Handgelenk, die Körperfunktionen wie den Puls oder den Blutdruck messen.
Patient Matthias Bonigut hatte dieses Jahr eigentlich vor, elf Viertausender im Schweizer Wallis zu erklimmen. Doch daran ist nicht zu denken. "Dieses Jahr habe ich abgeschrieben", sagt er. "Ich darf grad nicht mehr als 12.000 Schritte am Tag machen. Das belastet und nagt schon, grad wenn man sich über Sport definiert hat." Er ist trotzdem optimistisch: "Ich denke, das wird schon wieder. Andere hat es viel schlimmer getroffen."
"Ich kämpfe mich zurück in mein altes Leben"
Vor einem Jahr hat sich Regina Straub aus Garmisch mit der sogenannten britischen Variante angesteckt. Ihre Leistungsfähigkeit ist noch immer stark eingeschränkt. Die 33-Jährige hat Lungenprobleme, ist sehr schnell erschöpft. Ärzte haben bei ihr unter anderem das Fatigue-Syndrom diagnostiziert. "Ein Spaziergang ist schon eine Herausforderung", sagt die junge Frau. Regina Straub ist eine von bislang 220 Patienten, die im LMU-Klinikum Großhadern in der Post-Covid-Ambulanz behandelt wurden und werden.

Mitte Mai 2021 hatte die Verwaltungsangestellte ihre erste Biontech-Impfung bekommen. Doch da war sie wohl schon infiziert mit dem Coronavirus. Drei Tage nach der Impfung bekam sie Symptome, es folgten 14 extreme Tage. "Ich dachte oft, jetzt ersticke ich. Eigentlich hätte ich ins Krankenhaus gemusst."
Nachdem die Virusinfektion überstanden war, ging es Regina Straub zunächst allmählich besser. Im Sommer ging sie wieder arbeiten. Ans Schwimmen und Bergtouren – so wie früher – war aber nicht zu denken.
Im November dann aus heiterem Himmel ein neuer Tiefpunkt: "Ich bekam extremes Herzklopfen, hab keine Luft mehr bekommen." Ihr Hausarzt überwies sie in die Spezial-Ambulanz nach Großhadern. "Von Garmisch ist das die nächstgelegene Adresse für Post-Covid-Patienten", sagt sie. Hier nimmt die junge Frau derzeit an einem Therapie-Programm und einer Studie teil. Alle zwei Tage trainiert sie unter Aufsicht: Muskulatur stärken, Atemübungen, Physio, Ergotherapie, auch psychologische Beratung ist dabei. "Es hat mir schon was gebracht", sagt sie. Ich kämpfe mich zurück in mein altes Leben."