Interview

LMU-Professor über Vogelgrippe-Ausbrüche: "Wahrscheinlichkeit hat sich erhöht"

Überall auf der Welt treten derzeit Vogelgrippe-Fälle auf. Der Virologe Oliver Keppler sagt: Solche Zoonosen dürfte es künftig häufiger geben – und Schuld hat vor allem der Mensch. Warum er dennoch keinen Grund zur Panik sieht.
von  Lisa Marie Albrecht
Enten schwimmen auf einer Farm in Kambodscha. Dort hat es kürzlich einen Todesfall in Zusammenhang mit der Vogelgrippe gegeben.
Enten schwimmen auf einer Farm in Kambodscha. Dort hat es kürzlich einen Todesfall in Zusammenhang mit der Vogelgrippe gegeben. © picture alliance/dpa/AP

AZ-Interview mit Oliver Keppler: Der 55-jährige Virologe ist seit 2015 Vorstand des Max von Pettenkofer-Instituts der LMU. Er forscht unter anderem über das Zusammenspiel von Viren mit ihren Wirten.

AZ: Herr Professor Keppler, die Corona-Pandemie und ihre Folgen stecken vielen noch in den Knochen. Kürzlich wurde auf einer Nerzfarm in Spanien das Vogelgrippe-Virus in Nerzen nachgewiesen, es tauchen vermehrt Meldungen über Fälle von Vogelgrippe auch in Bayern auf. Droht bald eine neue Pandemie?
OLIVER KEPPLER: Es gibt Kollegen, die sagen, dass wir im Zeitalter der Pandemien leben. Man muss aber natürlich dazu sagen, dass es Pandemien in der Menschheitsgeschichte schon immer gegeben hat. Das geht zurück bis zu Pest, Pocken und Cholera. Letztere hat ja besonders auch in München im 19. Jahrhundert gewütet – und übrigens auch dreimal zur Absage des Oktoberfests geführt. Seit der großen Spanischen Grippe haben wir, die Spanische Grippe mitgerechnet, insgesamt vier große Influenza-Pandemien gehabt. Die letzte war die sogenannte Schweinegrippe 2007. Es geht also eher um die Frage, warum Pandemien häufiger werden könnten.

Faktor Klimawandel

Und warum?
Das hat vor allem mit Effekten zu tun, die vom Menschen selbst erzeugt werden. Ein großer Faktor ist der Klimawandel. Dadurch verschieben sich Lebensräume von Tieren und insbesondere auch von Stechmücken, die ja Überträger von Erkrankungen sein können, Stichwort: Malaria, Dengue-Fieber, Zika-Virus-Infektionen oder Chikungunyafieber. Und da ändert sich natürlich etwas, wenn zum Beispiel Mücken, die solche Erreger übertragen, zunehmend in den mitteleuropäischen Raum kommen. Das ist das eine. Das andere ist die höhere Bevölkerungsdichte.

Je mehr Menschen aufeinander leben, umso leichter haben es Pathogene, sich rasch auszubreiten. Dann spielt natürlich die Globalisierung eine Rolle: Man reist einfach schnell von A nach B, die Welt ist ein Dorf geworden, und die Pathogene reisen als blinde Passagiere. Und auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von Mensch auf Tier, also das, was man als Zoonose bezeichnet, hat sich erhöht, da die beiden häufiger eng zusammen leben.

Die Frage ist nicht ob, sondern wann

Das heißt also, die Frage ist nicht, ob die nächste Pandemie kommt, sondern wann?
So kann man es sagen. Aber das ist wie gesagt nichts Neues. Nur was die Frequenz und die Heftigkeit angeht, da gibt es eben diese menschgemachten Katalysatoren, die Ausbreitung und Wahrscheinlichkeit des Auftretens erhöhen. Die gute Nachricht ist: In den allermeisten Fällen schlagen die Versuche der Pathogene, also der Krankheitserreger, Speziesgrenzen zu überschreiten, fehl.

Warum ist das so?
Viren sind sehr häufig hochspezialisiert auf ihren einen Wirt. Viren sind an sich ja insgesamt eher hilflose Dinger, sie brauchen immer eine Wirtzelle, in die sie eindringen und in der sie sich vermehren können. Wenn diese Zelle warum auch immer nicht ganz passt, war's das. Wenn ein Virus also zum Beispiel in einem Tier unterwegs ist und dann gibt es Kontakt mit dem Menschen, dann hat das Virus in den meisten Fällen nicht den richtigen Rezeptor auf der Oberfläche der menschlichen Zellen, um diese überhaupt zu infizieren.

Hinzu kommen Abwehrmechanismen des menschlichen Immunsystems, die sich Viren in den Weg stellen können. Es braucht also noch mal weitere Faktoren und zufällige Ereignisse, damit ein Virus wirklich auf den Menschen übergeht und sich dort auch ausbreiten kann.

Verstrickte Infektionsketten und kaum Übertragung auf Menschen

Welche Faktoren sind das?
Es gibt seltene Fälle, in denen das Virus auf sogenannte Zwischenwirte überspringt. Und dann kann sich das Virus vielleicht über Tage, Wochen oder Monate anpassen und genetisch noch mal so verändern, um dann eine größere Chance zu haben, zufällig auch beim Menschen Infektionsketten auszulösen. Nehmen wir das Beispiel der Nerzfarm in Spanien, über die zuletzt viel berichtet wurde: Dort wurde H5N1, die sogenannte Vogelgrippe, in Nerzen nachgewiesen. Das sind Viren, die, wie der Name schon sagt, besonders Vögel infizieren.

Oliver Keppler
Oliver Keppler © LMU

Glücklicherweise ist dieses Virus wahnsinnig schlecht an den Menschen angepasst. Es gibt zwar immer mal wieder Übertragungen von Vögeln auf einzelne Menschen. Diese Menschen können schwer erkranken, aber das Virus hatte bisher nicht die Fähigkeit, sich dann von Mensch zu Mensch zu übertragen. Und das braucht es ja für eine Epidemie oder Pandemie. Das heißt, diese zufälligen einmaligen Übertragungen sind eigentlich nichts, wovor wir Angst haben müssen.

Kann auch Vogelgrippe gefährlich werden?

Warum wurde dann gewarnt, dass H5N1 für den Menschen gefährlicher werden kann?
Der Punkt ist: Nerze sind auch Säugetiere. Wir beobachten hier also gerade eine Anpassung des H5N1-Influenzavirus an ein Säugetier. Das erhöht theoretisch die Gefahr, dass, wenn mal ein Übergang vom Nerz auf einen Menschen stattfindet, das Virus dann schon ein bisschen besser angepasst ist an die Vermehrung auch in höheren Säugetieren. Und dadurch hat es vielleicht eine bessere Chance, weitere Veränderungen in seinem Erbgut so aufzubauen, dass es dann auch zunehmend effizienter von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.

Was hat der Mensch falsch gemacht, um im Zeitalter der Pandemien zu landen?
Es gibt diese oben beschriebenen Katalysatoren für Pandemien, die man zur Kenntnis nehmen sollte, ohne, dass man sich deswegen verrückt machen muss. Ich glaube auch, an diesen Stellschrauben kann man wenig machen. Wichtig ist aber, dass wir unseren "Werkzeugkasten" bereit haben, um das Auftreten einer neuen Infektionskrankheit mit pandemischem Potenzial früh zu erkennen. Denn wenn wir sie früh erkennen, können wir das sprichwörtliche Feuer im Idealfall schnell austreten.

Es braucht nötige Vorkehrungen und Schutzmaßnahmen

Wie sieht dieser "Werkzeugkasten" aus?
Wir brauchen zum einen gute Überwachungssysteme für neu auftretende Krankheitserreger und Infektionskrankheiten. Und diese Überwachungssysteme müssen weltweit gespannt sein und miteinander kommunizieren. Das Zweite ist: Die Diagnostik, also das Erkennen des Erregers - wie in der Corona-Pandemie zum Beispiel über PCR-Systeme - muss schnell verfügbar sein. Ganz wichtig ist auch, dass die Pipelines für Impfstoffe und Medikamentenentwicklung zeitnah anspringen. Und natürlich müssen Präventionsmaßnahmen laufen, sprich: Es darf nie wieder zu der fürchterlichen Situation wie in der Corona-Pandemie kommen, dass wir in den ersten Wochen nicht genug Schutzmasken haben. Da hat sich aber bereits sehr viel verbessert.

Wie schnell könnte eine neue Pandemie kommen?
Das kann wirklich niemand vorhersagen. Es kann sein, dass es zu unseren Lebzeiten keine große Pandemie mehr gibt, es kann sein, dass wir in zwei Jahren wieder eine vor der Brust haben. Auf beide Szenarien müssen wir vorbereitet sein. Das ist das Wichtige. Wir stehen aber heute besser da als je zuvor, eine solche Herausforderung zu bewältigen.

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