Lindner: "Schwul? Arzt hat mich für krank erklärt"

Gerade ist Christopher Street Day in München – aber mit dem hat der Sänger eher Probleme. Hier erklärt er die Gründe dafür – und wie schwer er es selbst als junger Homosexueller gehabt hat
von  Jasmin Menrad
Schlagerstar Patrick Lindner nutzt seine Bekanntheit und setzt sich für Toleranz ein.
Schlagerstar Patrick Lindner nutzt seine Bekanntheit und setzt sich für Toleranz ein. © Jan Weskott

Gerade ist Christopher Street Day in München – aber mit dem hat der Sänger eher Probleme. Hier erklärt er die Gründe dafür – und wie schwer er es als junger Homosexueller gehabt hat

AZ: Herr Lindner, Münchner gelten als aufgeschlossen und tolerant. Braucht’s da eine Stiftung, die homosexuelle Jugendliche unterstützt?

PATRICK LINDNER: Natürlich, da liegt noch vieles im Argen. „Du schwule Sau“ hörst du in vielen Klassenzimmern, und wenn zu Hause am Esstisch nicht offen über Homosexualität geredet wird, überträgt sich das auf die Kinder. Die haben in der Pubertät sowieso mit ihrem Körper zu kämpfen. Wenn sie dann noch merken, dass sie nicht gesellschaftskonform lieben... Nur eine Zahl: Die Selbstmordrate von schwulen und lesbischen Teenies ist sechsmal höher als bei heterosexuellen Teenagern.

Wie haben Ihre Eltern auf Ihr Schwulsein reagiert?

Da war ich 18, das war vor über 30 Jahren, das ist eine ganz andere Zeit gewesen. Meine Eltern waren überfordert, hilflos und haben mich zum Arzt geschickt. Der hat dann ein Buch aus dem Schrank geholt und mir vorgelesen, warum das Schwulsein eine Krankheit ist. Eine Therapie hatte er nicht. Später habe ich mit meinen Eltern sprechen können – und irgendwann war es alltäglich.

Sie haben Ihr Schwulsein versteckt, bis eine Zeitung Sie geoutet hat. Warum?

In meinem Freundeskreis war bekannt, dass ich schwul bin, und in der Branche auch. Aber als Schwuler ist vieles mühsamer, das wollten meine Berater mir ersparen. Und wir wissen alle, dass ich ein eher konservatives Publikum anspreche, für das Homosexualität nicht unbedingt normal ist.

Was war nach dem Outing?

Einerseits war ich erleichtert, weil ich ab da richtig leben konnte ohne schlechtes Gewissen. Aber eine Zeit lang war jeder Schritt auf die Bühne ein Spießrutenlauf, ich war sehr unsicher.

Man warf Ihnen vor, Sie hätten Ihre Fans belogen.

Ja, ich musste mir mühsam das Vertrauen meiner Fans zurückerobern. Einige haben sich abgewandt, was ich zum Teil verstehen konnte. Dennoch war und bin ja noch derselbe Mensch, aber das Schwulsein hat mich in meiner Karriere zurückgeworfen. Aber es gab auch einen Moment, da wusste ich, dass es sich gelohnt hat, mit meiner Homosexualität so in der Öffentlichkeit zu stehen.

Was für ein Moment?

Da hat mich ein 18-Jähriger angeschrieben und erzählt, dass ich den Anstoß zu seinem Outing gegeben habe. Er hat mit seiner Mutter meine Sendung gesehen. Sie hat gesagt, dass es ihr egal sei, dass ich schwul bin. Da wusste er zum ersten Mal, wie seine Mutter über das Thema denkt – und hat sich getraut, es anzusprechen. Das hat mich bewogen, die Stiftung ins Leben zu rufen.

Was macht die Patrick-Lindner-Stiftung konkret?

Momentan erarbeiten wir ein Projekt, bei dem ich an die Eltern herantrete. Wir organisieren Elternabende, bei denen sie mir Fragen stellen können und ich informiere. Heute tut jeder so, als sei Homosexualität kein Problem. Aber wenn es das eigene Kind ist, wird es plötzlich zum Problem.

Was sagen Sie den Eltern?

Ihr Kind ist das Allerwichtigste und Tollste, was sie haben. Es ist deshalb egal, was die Nachbarn denken. Hauptsache, das Kind ist glücklich. Und das es so viel leichter ist, wenn sie zu ihrem Kind stehen. Eltern erleben ja auch ein Outing und müssen auch damit fertig werden. Doch sie sind oft zu uninformiert.

Fehlen homosexuelle Idole?

Ja, viele leben mit einer Lüge, um ihre Karriere nicht aufs Spiel zu setzen. Ich will keinen zwingen, sich zu outen. Nehmen Sie den Fußball: Das interessiert die jungen Leute, da sind ihre Vorbilder. Aber im Fußball outet sich keiner, die Fans würden einen schwulen Fußballer nicht akzeptieren, die Sponsoren abspringen. Da geht es um viel Geld. Ich als homosexueller Prominenter kann da mehr ein Bindeglied zwischen Erwachsenen und Jugendlichen sein. Leider wird in Medien nur der extreme Homosexuelle dargestellt.

Also für Sie kein schrilles Halli-Galli-Schwulsein?

Nein! Ich kann auch verstehen, wenn manche verstört reagieren, wenn beim Christopher Street Day die Männer mit dem nackerten Arsch rumlaufen. Damit erreichen wir nicht unbedingt Akzeptanz und Toleranz. Der CSD ist vom Ursprung her eine politische Demonstration, der sich jetzt als Karnevalsveranstaltung darstellt. Wir laufen nicht alle mit Stöckelschuhen und Federboa herum, sondern sind Rechtsanwälte, Metzger und Schlagersänger

 

 

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