"Letzte Generation" protestiert in München: So aggressiv war die Stimmung gegen die Klima-Kleber

München - Die Polizei ist in Habacht-Stellung. Etwa alle zwei Minuten fährt an diesem Donnerstagmorgen ein Streifenwagen am Haus der Kunst vorbei. Fünf junge Männer tauchen wie aus dem Nichts auf und nutzen die Gelegenheit, als gerade keines der blau-gelben Autos zu sehen ist. Es ist 8.35 Uhr. Und die Ampel an der Von-der-Tann-Straße schaltet auf Grün.
Die fünf Männer schlendern gelassen auf die Fahrbahn, bleiben mitten auf der Straße stehen und kramen in ihren Rucksäcken. Spätestens als sie die orangenen Warnwesten herausziehen, ist wohl vielen Verkehrsteilnehmern klar: Es sind Klima-Aktivisten der Letzten Generation, die hier nun die Straße blockieren wollen. Ein Hupkonzert beginnt.
"Protesthochburg" München: "Letzte Generation" sorgt für zwölf Straßenblockaden
Die "Letzte Generation" hatte in den vergangenen Tagen bereits angekündigt, München wochenlang zur "Protesthochburg" machen zu wollen. Und die Klima-Aktivisten halten sich an ihre Ankündigung: Am Donnerstag startet der große Protest, bereits ab 8 Uhr blockieren sie mehrere Straßen in der Stadt, zunächst am Stachus, danach an der Prielmayerstraße, Trappentreustraße Ecke Landsberger Straße, am Friedensengel, am Altstadtring auf Höhe der Königinstraße, am Thomas-Wimmer-Ring sowie an der Friedenheimer Brücke Ecke Landsberger Straße.
Insgesamt zwölf Straßenblockaden zählt die Polizei, sowie etwa 80 Aktivisten, deren Personalien die Beamten festgestellt haben. Die Kriminalpolizei ermittelt inzwischen wegen Nötigung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Etwa 200 Beamte sind insgesamt im Einsatz.
"Letzte Generation" blockiert Straßen in München: Einem LKW-Fahrer platzt der Kragen
Die Aktivisten auf der Von-der-Tann-Straße haben sich die Westen inzwischen übergezogen, jetzt setzen sie sich im Schneidersitz auf den Boden, mitten auf der Fahrbahn. Einer der Beteiligten klebt seine Hand mit Sekundenkleber sofort auf dem Asphalt fest – eigentlich machen das die Aktivisten der "Letzten Generation" erst, sobald die Polizei auftaucht, erklären sie der AZ später.

Einem Lkw-Fahrer langt's. Zusammen mit einem Bauarbeiter von der Baustelle unmittelbar neben dem Proteststandort und einer Frau reden und schimpfen sie auf die sitzenden Demonstranten ein. Doch die zeigen sich davon unbeeindruckt. Dann eskaliert die Situation.
Die Frau und der LKW-Fahrer packen die beiden sitzenden Aktivisten am Arm und schleifen sie von der Fahrbahn. "Ich fahr dich mit dem LKW platt!", droht der Lastwagenfahrer dem Aktivisten, den er gerade auf den Gehsteig befördert hat – zumindest soweit es möglich war, mit der einen Hand klebte der Aktivist ja bereits auf der Fahrbahn.
Polizei München ruft zu Gelassenheit auf: "Unsere Aufgabe, die Blockaden zu räumen"
Die Münchner Polizei weiß von dem Vorfall am späten Donnerstagnachmittag nichts. Andreas Franken, Chef der Polizeipresse, sagt aber: "Ich rufe die Verkehrsteilnehmer zu Gelassenheit auf. Es ist Aufgabe der Polizei, die Blockaden zu räumen."
Und natürlich werde gegen Personen ermittelt, sobald Hinweise bestünden, dass sie eigenmächtig Demonstranten von der Straße ziehen. "Es ist erschreckend, wie viel körperlicher Gewalt man ausgesetzt ist und wie viele Menschen sich damit im Recht fühlen", sagt ein Sprecher der "Letzten Generation" der AZ.

Nachdem er die Aktivisten von der Straße gezerrt hat, steigt der Fahrer in seinen Lkw und fährt an ihm vorbei. Der Aktivist zittert. Der Verkehr am Haus der Kunst kommt durch diese Protestaktion nicht vollkommen zum Erliegen. Die Autos können an den festgeklebten Aktivisten vorbeifahren. Auch ein Sanka mit Blaulicht kommt durch.
"Ich finde das sehr gut, was ihr macht": Unterstützung für die Klima-Kleber in München
Erst kurz später ist ein einzelner Streifenpolizist vor Ort und ruft Kollegen zur Verstärkung dazu. Bis die kommen, werden aber noch einige Minuten verstreichen. Der Bauarbeiter, der zuvor noch auf die Sitzenden einredete, ergreift auf einmal eine überraschende Maßnahme, in Eigeninitiative: Er zieht Absperrgitter vor die Aktivisten – zu ihrem Schutz. Das war keine Anordnung des Polizisten, sagt er der AZ.
Nicht alle Menschen, die an diesem Donnerstagmorgen Zeugen der Protestaktionen werden, reagieren so vehement wie der LKW-Fahrer auf die Aktivisten. Viele sprechen ihnen sogar Mut zu: "Ich finde das sehr gut, was ihr macht", sagt ein Radfahrer, der kurz abgestiegen und zu den Sitzenden gekommen ist, um ihnen das zu sagen. Eine Frau klopft einem der Sitzenden ermutigend auf die Schulter. Und manche Passanten bringen den Aktivisten, denen die Hitze zu schaffen macht, sogar Getränke vorbei. Gegen 14 Uhr sagt die Letzte Generation der AZ, dass bereits eine Person mit Kreislaufproblemen behandelt werden muss.
"Das macht mir Angst": Autofahrer fahren Klima-Klebern gegen die Schienbeine
Auch Roman hat heute seine Hand auf der Von-der-Tann-Straße festgeklebt. Autofahrer sind ihm beim heutigen Protest gegen die Schienbeine gefahren, sagt er. "Das macht mir schon Angst."
Trotzdem sitzt er dort in der prallen Sonne, die Hand fest auf dem Asphalt fixiert – und wirkt zufrieden. "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Bürgerrechtsbewegungen unglaubliche Effekte erzielen konnten", sagt der 25-Jährige. "Das macht mir Hoffnung."

"Geht es Ihnen gut?", lautet die erste Frage einer Polizistin an die Aktivisten, die mit einigen Kollegen zur Verstärkung am Proteststandort am Haus der Kunst eingetroffen ist. "Rühren Sie sich, wenn was ist", fügt sie hinzu. Bis die Beamten die Aktivisten von der Straße lösen, vergeht viel Zeit.
Erst um 9.56 Uhr sitzt keiner von ihnen mehr auf der Von-der-Tann-Straße. Die Polizisten haben sie mit Seifenlauge und Speiseöl von der Straße gelöst. Zuerst haben die Beamten verschiedene amtliche Texte vor den Sitzenden verlesen und sie mehrmals dazu aufgefordert, die Straße zu verlassen.
Polizei verteilt Platzverweise an die Klima-Kleber – die halten sich nicht daran
Die meisten von ihnen muss die Polizei später wegtragen. In Gewahrsam nehmen die Beamten aber zunächst keinen der Beteiligten, teilt die "Letzte Generation" mit. Auch nicht an der Kreuzung Donnersbergerbrücke Ecke Trappentreustraße. Später am Tag bekommt die AZ die Info von der "Letzten Generation", dass alle Klimademonstranten von hier in Gewahrsam seien und baldmöglichst dem Haftrichter vorgeführt werden.

An dieser Stelle finden am Donnerstag gleich vier Protestaktionen statt. Die Aktivisten, die sich am Vormittag hier auf die Straße setzten, erhalten von der Polizei einen Platzverweis – und kündigen direkt an, dass sie sich daran nicht halten werden, so die "Letzte Generation".
Und tatsächlich sind sie um 14 Uhr wieder da. Auf der anderen Seite der Trappentreustraße stehen einige Einsatzfahrzeuge und Beamten der Polizei. Dennoch sind sie nicht rechtzeitig an der Kreuzung, um die Aktivisten vom Kleben abzuhalten. Anders ist das an der Landsberger Straße.
"Letzte Generation" in München: Katz-und-Maus-Spiel zwischen Klimaaktivisten und der Polizei
Auch an der Friedenheimer Brücke stehen fünf Protestierende kurz vor Mittag davor, in Gewahrsam zu kommen. Nachdem die Polizei gegen 10 Uhr eine Frau und vier Männer daran hindert, sich festzukleben, werden sie zunächst umstellt und festgehalten, bis ihre Personalien aufgenommen worden sind.
Währenddessen reißen sich zwei von ihnen los und versuchen erneut, die Straße zu blockieren. Einige Beamte packen die beiden Männer am Kragen und ziehen sie zurück zu den anderen. Und das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Aktivisten und Polizei geht weiter. Und das möglicherweise auch am Freitag. "Die nächste Zeit bleiben wir in München", heißt es am Abend von den Protestlern.