Lesung im Dunkeln: Wie man blind zuhört - und dabei isst

Zum Krimifestival: Im Vinorant wurden drei Gänge in völliger Finsternis aufgetischt, als Zwischengang gab es Auszüge aus einem Roman. Es ist eine außergewöhnliche Erfahrung - AZ-Reporterin Laura Kaufmann hat es ausprobiert.
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Autorin Katrin Askan und Schauspieler Hans-Jürgen Stockerl - ausgerüstet mit Nachtsichtgerät.
Laura Kaufmann Autorin Katrin Askan und Schauspieler Hans-Jürgen Stockerl - ausgerüstet mit Nachtsichtgerät.

MÜNCHEN - Zum Krimifestival: Im Vinorant wurden drei Gänge in völliger Finsternis aufgetischt, als Zwischengang gab es Auszüge aus einem Roman. Es ist eine außergewöhnliche Erfahrung - AZ-Reporterin Laura Kaufmann hat es ausprobiert.

„Das ist eine Autorin, die ich gerne zu einem Seitensprung verführen habe“ sagt Herausgeber Thomas Kraft. Katrin Askan hat sich für seine Reihe „Die dunklen Seiten“ in das Metier des Krimis gewagt. Herausgekommen ist „Aufs Spiel gesetzt“ (LangenMüller), und Auszüge daraus lernen wir jetzt bei einer etwas anderen Lesung mit Menü im Rahmen des Krimifestivals kennen.

Die Augen gewöhnen sich nicht an die Dunkelheit

Alles Warten ist vergebens. Die Augen gewöhnen sich nicht an das pechschwarze Dunkel, in das der Raum im Vinorant im Alten Hof getaucht ist. An die Schulern eines Kellners mit Nachtsichtgerät geklammert haben wir ihn betreten, jetzt taste ich unbeholfen den Tisch vor mir ab, stoße dabei mit der Hand meines Nachbarn zusammen, von dem ich nicht weiß, wie er aussieht und jetzt erfahre, dass er Christian heißt.

Der Raum ist gefüllt mit lärmigem Stimmengewirr – weil man den Gesprächspartner nicht orten kann, macht man sich sehr laut verständlich. Das Wasserglas, das wurde uns mit auf den Weg in die Finsternis gegeben, füllt man, in dem man einen Finger reinhält, um so abzuschätzen, wann es voll ist.

Der erste Gang kommt mit Strohhalm

Der erste Gang, ein Süppchen, kommt im Glas mit Strohhalm – was drin ist, wissen wir nicht. Beim Hauptgang wird es komplizierter: Messer und Gabel tasten sich durch Fleisch und Beilagen. Wie die Hinterwäldler machen wir uns über die Teller her. Zu große Fleischbissen landen, halb abgeschnitten, halb abgerissen, in meinem Mund, es ist zart und schmeckt sehr gut, aber definieren kann ich es nicht.

Das Kartoffelgratin lässt sich erstaunlich schwer auf die Gabel schieben, aber ich erkenne es am Geschmack, die Gemüsebeilage bleibt ein Rätsel. Die Finger halte ich am Tellerrand, noch ist nichts in meinen Schoß gefallen.

Manieren haben keine Chance

Kichernd gesteht Petra von gegenüber, dass sie ihr Essen mit der Hand abtastet. Tischmanieren helfen hier nicht weiter. Nach dem Hauptgang werden wir aufgeklärt, Schweinefilet, Süßkartoffelgratin und Mangold zierten unsere Teller.

Jetzt liest Schauspieler Hans-Jürgen Stockerl mitreißend aus „Aufs Spiel gesetzt“ – mit Hilfe eines Nachtsichgeräts. Auch weil die Nebengeräusche ungewohnt laut erscheinen, ist es erstaunlich schwierig, sich im Dunkeln zu konzentrieren, eine Herausforderung, Protagonist Bertram im Wühlen seiner familiären Vergangenheit zu verfolgen.

Die Schamgrenze sinkt, es wird gekichert

Langsam wird auch klar, warum Vinorant-Geschäftsführer Peter Kinner vor Beginn eines jeden Dunkel-Dinners darauf hinweist, das Werfen mit Brot sei verboten: Im Finsteren ist die Schamgrenze niedriger, noch dazu ist man hilfloser als ein Kindergartenkind. Vielleicht wandert deswegen während der Lesung das ein oder andere alberne Kichern durch den Raum.

Der Nachtisch ist mit dem Löffel zu bewältigen, die Kellner bringen Licht ins Dunkel und stellen Kerzen auf den Tisch. Der Raum ist kleiner als gedacht, ich begrüße meinen Sitznachbarn nochmal mit Augenkontakt.

Das Auge isst mit

Draußen sind die drei Gänge zum Ansehen drappiert, und ich staune, weil ich die Portionen bedeutend größer geschätzt hätte. Sehr appetittlich sieht aus, was ich blind gegessen habe, und meine Augen fühlt sich um den Abend betrogen.

Es ist eine außergewöhnliche Erfahrung – besser genießen lässt es sich jedoch mit allen Sinnen.

Laura Kaufmann

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