Lesbisches Paar feiert Taufe ihrer Tochter in München: "Familie ist so viel mehr als Gene"

Sie hat sich die ganze Schwangerschaft über vorgefreut und mitgefiebert – und während der Geburt sowieso. Hanna Gruber aus Oberbayern (Name geändert) ist vor 15 Monaten Mama einer Tochter geworden. Die Kleine ist "ein großes Wunschkind", schwärmt die 32-Jährige.
Der erste gemeinsame Urlaub, das Mädchen mit anderen Kindern beobachten und sich erste Freundschaften ausmalen – sie genießt all das sehr. Als die AZ mit ihr spricht, hat sie gerade die Fürbitten für die Taufe in der Hand.
Doch Realität und Recht, Gefühl und Gesetz prallen im Leben der Familie aufeinander wie die Fäuste zweier Gegner: Rechtlich gesehen ist die Oberbayerin keine Mutter.
Im April 2021 bekamen die beiden ein Baby
Wie kann das sein? Die 32-Jährige liebt eine Frau (32). Seit 14 Jahren schon. 2017 haben sie sich versprochen, ihren Lebensweg gemeinsam zu gehen. Durch Höhen und Tiefen, gute und schlechte Zeiten. Und vor allem: ganz offiziell. Erst als eingetragene Lebenspartnerinnen, seit der Ehe für alle als Ehepartnerinnen.
Im April 2021 haben die beiden ein Baby bekommen. Nach Kinderwunschbehandlung und Samenspende. Zur Welt gebracht hat das Kind Grubers Partnerin. Und ab da wird es kompliziert. Das Bundesjustizministerium führt für die AZ aus: "Wenn ein Kind in eine Ehe von zwei Frauen geboren wird, hat es nach geltendem Recht bei Geburt nur eine rechtliche Mutter: Das ist die Frau, die das Kind geboren hat."
Die Ehefrau der leiblichen Mutter müsse das Kind erst adoptieren, bestätigt das Familienministerium.
Das hat Konsequenzen im Alltag: Gruber darf etwa kein Bankkonto für ihre Tochter eröffnen. Auch keinen Kindergarten- oder Krippenplatz beantragen. Und eigentlich auch nicht mit ihrem Kind zum Arzt gehen. "Ich merke es an Dingen wie dem Bankkonto. Dann kommen mir die Tränen, weil es mich so wahnsinnig wütend macht." Sie bekräftigt: "Familie ist so viel mehr als Gene." Und: "Ich bin der arbeitende Elternteil, ich bin finanziell und emotional für unser Kind da."
Adoption: "Man muss so viel Privates offenlegen"
Das Paar hat sich für den Weg der Adoption entschieden. Das Prozedere läuft. Doch diese Reise war – freundlich formuliert – seltsam. "Man muss so viel Privates offenlegen. Es ist wirklich unangenehm."
All das wäre nicht notwendig, wenn das Gesetz lesbische Eltern wie heterosexuelle behandeln würde. In einer heterosexuellen Ehe ist der Ehemann automatisch der Vater des Kindes. Ohne Adoption, ohne unangenehme Fragen, ohne Nachweis. BGB, Paragraf 1592, Artikel 1.
Die Ampel-Koalition will das Abstammungsrecht zwar zugunsten lesbischer Eltern ändern. Im Koalitionsvertrag steht als Ziel formuliert: "Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist." Bisher ist das aber nur ein Plan.
Das Bundesjustizministerium teilt der AZ mit, dass die Behörde gerade am Gesetzentwurf arbeitet. Die "zügige Umsetzung der vereinbarten Reform" sei dem Ministerium ein "wichtiges Anliegen". Zügig bleibt aber vage – einen Zeitplan könne man nicht nennen. Ähnlich klingt die Antwort aus dem Familienministerium.
Bundesjustizminister Marco Buschmann sagte am Wochenende, er sei "zuversichtlich", dass es den Gesetzentwurf noch in diesem Jahr geben werde. Zunächst solle "für die unkompliziert gelagerten Fälle" ein Rechtsrahmen geschaffen werden – damit meint er Geburten nach einer registrierten Samenspende. "In diesem Fall ist völlig klar: Der Samenspender möchte nicht an der Erziehung teilhaben." Für andere Fälle gebe es noch Diskussionsbedarf in der Bundesregierung.
Das Formular zur Taufe sieht nur Vater und Mutter vor
Zurück nach Oberbayern. Die nächste Hürde für das Paar wartete am Samstag: die Taufe in einer katholischen Kirche in München. Vorab wollten sie das nicht in der Zeitung stehen haben – um nicht mögliche Gegner auf den Plan zu rufen.
Der Priester, der die Frauen und ihre Tochter bei diesem wichtigen Schritt begleitete, war Wolfgang Rothe. Er ist ein Kämpfer für queere Rechte, will überholte Strukturen in der Kirche aufbrechen.
Am Samstag lief er also erst beim CSD mit ("null negative Reaktionen, ich habe so viel Schönes erlebt"). Am Nachmittag taufte er das Mädchen. Die Mutter berichtete gestern: "Rundum war es eine sehr schöne, wohlwollende, offene Atmosphäre." Rothe habe betont, dass die Türen der Kirche immer weit offen stünden für sie. Auch aus Rothes Sicht war es eine berührende Feier, "vollkommen normal für eine vollkommen normale Familie". Auch wenn die Verletzlichkeit im Hintergrund spürbar war.

Denn auch hier gab es einen Stolperstein: Das Online-Formular zum Eintrag ins amtliche Taufbuch des erzbischöflichen Ordinariats, das Rothe nach der Taufe übermitteln muss, sah vor: Mutter und Vater. Nicht zwei Mütter. Eine händische Änderung beim Ausfüllen war nicht möglich, so Rothe.
Was tun? Die Frauen füllten den Antrag aus, die biologische Mutter trug sich in der Zeile des Vaters ein, Gruber als Mutter. Wird das so akzeptiert werden? Rothe sagte der AZ vor der Taufe: "Wir warten neugierig ab, ob das Ordinariat darauf reagiert." Er befürchtete jedoch, dass zwei Mütter nicht bereitwillig ins Taufbuch eingetragen werden. "Die katholische Doktrin ist ganz klar: Ein Kind kann nur Vater und Mutter haben."
Er hält dagegen: "Wir wissen auch nicht, ob die Väter, die wir normalerweise eintragen, die leiblichen sind. Wir verlangen ja keinen DNA-Test." Der Rückzug auf das rein biologische Argument trägt für Rothe daher nicht. "Mein Ziel ist ganz klar, dass die Kirche die Realität dieser Familie anerkennt und zwei Mütter ins Taufbuch einträgt." Die Taufe jedenfalls ist nun vollzogen, niemand könne sie mehr rückgängig machen.
Abgesehen von staatlichen und kirchlichen Hürden sind auch alltägliche Gespräche für das Paar oft anders als für heterosexuelle Eltern. "Ich habe oft das Gefühl, dass bei gleichgeschlechtlichen Paaren die Grenze ins Private wahnsinnig schnell überschritten wird. Es wird alles gefragt und vorneweg gestellt: ‚Es ist aber nicht böse gemeint.’ Damit ist aber nicht jede Frage legitim", sagt Gruber. "Die kränkendste Frage in meinem ganzen Mamasein war bisher, ob ich mich wirklich als Mutter fühle oder nur als Partnerin meiner Frau."
"Wir wissen sehr wohl Details über den Spender"
Oftmals schwinge in Gesprächen auch mit, dass man ja gar nicht wisse, wie das Mädchen einmal aussehen werde. Dieses Ominöse, Unbekannte ist unangebracht, findet Gruber. "Wir wissen sehr wohl Details über den Spender. Und wie sie sein und aussehen wird, prägt zum einen meine Frau, und ihre Art prägen wir."
Spielt der biologische Vater eine Rolle? "Wir sagen nur Spender", erklärt die 32-Jährige. "Wir haben uns für eine Spende über eine Samenbank in Deutschland entschieden. Mit dem 16. Lebensjahr hat unsere Tochter die Möglichkeit, den Spender kennenzulernen."
Letztlich zählt für sie ohnehin nur: "Unsere Tochter hat zwei Mütter. Und einen tollen Menschen, der die Samenspende möglich gemacht hat."
Versöhnlich sagt sie am Ende: "Es ist noch viel zu tun, aber wir wissen auch, wie toll es ist, dass unser Kinderwunsch in Erfüllung gegangen ist." Ob sie noch mehr Kinder wollen? "Auf jeden Fall!" Und vielleicht ist bis dahin auch der neue Paragraf fertig, der Gefühl und Gesetz, Recht und Realität nicht mehr wie Fäuste sein lässt, sondern wie Hände, die ineinander greifen.
Wolfgang Rothe hat über queere Liebe ein Buch geschrieben: "Gewollt. Geliebt. Gesegnet. Queer-Sein in der katholischen Kirche"; Herder; 18 Euro.