Leiterin der KZ-Gedenkstätte: "Mit 16 das erste Mal in Dachau"

Dachau - Ihre Arbeit ist Erinnerungsarbeit: Den Orden, den sie dafür erhalten hat, das Malteserkreuz mit dem blau-weißen Band, hat sie auf ihre Wohnzimmerkommode gelegt. Die Historikerin Gabriele Hammermann sagt zu ihrem Bayerischen Verdienstorden: ",Ich fühle mich bestätigt und geehrt. Die Auszeichnung nehme ich auch stellvertretend für meine Mitarbeiter entgegen."
Unter der Leitung der 59-jährigen Münchnerin wird die KZ-Gedenkstätte Dachau jetzt erweitert. Drei Gebäude aus der ersten Lagerzeit vor 1939 werden in Zukunft dazugehören: Die sogenannte Kommandantur, ein Transformatorenhaus und ein Werkstattgebäude - drei Bauten von historischer Relevanz, die momentan noch vom medizinischen Dienst der Bayerischen Bereitschaftspolizei genutzt werden.

AZ: Frau Hammermann, seit 2009 leiten Sie das Dachau Memorial, wie die Gedenkstätte auf Youtube und international heißt. Als Schülerin aus Trier kamen Sie auf einer Klassenfahrt zum ersten Mal nach Dachau.
GABRIELE HAMMERMANN: Als 16-Jährige war ich mit der Schule in der KZ-Gedenkstätte. Sehr engagierte junge Geschichtslehrer hatten uns gut auf diesen Besuch und das Thema der Konzentrationslager vorbereitet. In diesen Jahren änderte sich der Umgang in den Schulen mit der NS-Vergangenheit. Trotzdem fehlte damals ein qualifizierter Rundgang vor Ort. Die Schreckensbilder aus dem Einführungsfilm und der Ausstellung haben lange nachgewirkt.
Damals hätten Sie nie gedacht, dass Sie einmal diese Gedenkstätte leiten werden.
Vor vier Jahrzehnten bin ich nach Bayern gekommen. Der Orden, das ist so wie Ankommen.
"Positive Erlebnisse gibt es jeden Tag trotz des negativen Erbes"
Belastet Sie Ihr Arbeitsort, das frühere KZ, über dem ein so dunkler Schatten liegt?
Ich denke, es gibt viele Berufe, die ähnlich herausfordernd sind. Zwangsläufig belasten mich die Schatten der Vergangenheit - natürlich. Doch positive Erlebnisse gibt es jeden Tag trotz der Beschäftigung mit dem negativen Erbe. Die Begegnung mit Überlebenden und ihren Angehörigen bedeutet mir sehr viel. Familien übergeben uns oftmals spannende Nachlässe, mit wichtigen Quellen zur Geschichte ehemaliger Häftlinge. Außerdem ist die Arbeit vielfältig: Die Ausstellung "Zeitspuren" mit archäologischen Funden des ehemaligen Außenlagers Allach in Ludwigsfeld, die wir gerade zeigen, konnte nur entstehen durch die Kooperation mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege.
Wie kommt Ihre Aufgabe im Dachau Memorial im Ausland an, etwa wenn im Urlaub neue Bekannte davon hören?
Irritation und Abwehr habe ich nie erfahren. Sondern ich erlebe eher das Gegenteil: Ein großes Interesse und die Bestätigung, dass es wichtig ist, dass die Erinnerungsarbeit weitergeführt wird.
Hammermann präsentiert Film über Gedenkstätte
Am 20. Juli haben Sie einen neuen Film über das NS-Musterlager Dachau in der Gedenkstätte der Öffentlichkeit präsentiert.
Wir haben den Dokumentarfilm gemeinsam mit einem Filmteam erarbeitet. Der Film folgt dem forschenden Ansatz "Wie können wir uns heute ein Bild von dem machen, was damals geschehen ist." Der Film bezieht sich sowohl auf die KZ-Geschichte, beschäftigt sich aber auch mit dem schwierigen Weg zu einer Gedenkstätte sowie mit ihrer Rolle bis heute.
Sie möchten den frühen politischen Widerstand mehr würdigen?
Es gilt, alle Häftlingsgruppen zu berücksichtigen und dabei auch den europäischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu würdigen. Außerdem beziehen wir uns auf die Geschichte der deutschen Häftlinge, die als Kommunisten, Sozialdemokraten oder Gewerkschafter wegen ihrer Opposition gegen den Nationalsozialismus verfolgt wurden.
"Internationaler Lernort und zeithistorisches Museum zugleich"
Wie entwickelt sich die KZ-Gedenkstätte Dachau weiter?
Die KZ-Gedenkstätte Dachau befindet sich am Beginn einer langfristig angelegten und umfassenden Neukonzeption. Damit weitet sich der Blick auf diesen Ort, der Friedhof, internationaler Lernort und zeithistorisches Museum zugleich ist. Die KZ-Gedenkstätte Dachau ist die meistbesuchte bundesdeutsche Gedenkstätte mit über 900 000 Besucherinnen und Besuchern im Jahr aus aller Welt.
"Das Telefon steht nicht still. Und viele Schulklassen kommen"
Frau Hammermann, Sie sind besorgt über den Rechtsruck in der Gesellschaft. Hat es in letzter Zeit Anfeindungen gegen die Gedenkstätte Dachau gegeben?
Nach dem Auftritt des rechtsextremen "Volkslehrers" Nikolai Nerling vor Schülern an der KZ-Gedenkstätte Dachau sind wir natürlich ganz besonders aufmerksam. Seine Aussagen, das haben die Gerichte bestätigt, haben den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Solche gravierenden Vorfälle gab es in den letzten Monaten nicht. Aber durch die Corona-Pandemie entstand eine neue Qualität der Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen. Ich persönlich kann es nicht ertragen, wenn sich auf Coronaleugner-Demos Impfgegner mit verfolgten Juden gleichsetzen, wenn antisemitische Denkmuster verstärkt und der Nationalsozialismus verharmlost wird.
Seit wenigen Wochen hat die KZ-Gedenkstätte wieder geöffnet. Wie ist das Interesse?
Das Telefon steht nicht still. Viele Schulklassen sind gekommen. Glücklicherweise können auch die Themen-Rundgänge wieder vor Ort stattfinden.
Was war Ihr letzter Erfolg?
Unsere neuen digitalen Zeitzeugengespräche, die in die Klassenzimmer von Schulen gestreamt werden. Der Zeitzeuge Abba Naor, der heute in der Nähe von Tel Aviv wohnt, spricht seit vielen Jahren direkt vor Schulklassen. In den letzten Wochen konnte er von den Räumlichkeiten der Gedenkstätte aus über Streaming in den internationalen Dialog mit Schülerinnen und Schülern und anderen Zuhörerinnen und Zuhörern treten. Abrufbar sind die Zeitzeugengespräche auf unserem Youtube-Kanal unter www.youtube.coml