Legastheniker klagen wegen Zeugnis-Vermerk

Müssen Legastheniker akzeptieren, dass ihre Rechtschreibschwäche im Zeugnis erwähnt wird? Das wird vorm Verwaltungsgerichtshof verhandelt.
München - Vier Prozent der elf Millionen Schüler in Deutschland leiden nach Schätzungen an Legasthenie, der Lese- und Rechtschreibschwäche. Für diese rund 440.000 Kinder und Jugendlichen wird in diesen Tagen in München eine wichtige Sache verhandelt.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) setzt sich mit der Klage dreier Ex-Abiturienten aus dem Münchner Umland auseinander. Diese gehen gerichtlich gegen Vermerke im Abiturzeugnis über ihre Rechtschreibschwäche vor.
Der Hintergrund: In den drei Zeugnissen aus dem Jahre 2010 stand, dass die Abiturienten unter einer „fachärztlich festgestellten Legasthenie“ leiden und dass ihnen ein „Nachteilsausgleich“ gewährt wurde. Der Ausgleich bestand darin, dass die Kläger bei schriftlichen Prüfungen mehr Zeit zugestanden bekamen als ihre Mitschüler.
Außerdem wurde ihnen Notenschutz zugestanden; das heißt: Rechtschreibleistungen flossen nicht in die Note ein. Anwalt Thomas Schneider nannte es ein „einzigartiges Phänomen“, solche Bemerkungen im Abiturzeugnis zu finden.
Die Kläger – sie studieren inzwischen Maschinenbau beziehungsweise Psychologie – berufen sich auf das Diskriminierungsverbot. Die Bemerkungen würden nach ihrer Auffassung ein Geheimnis im Sinne des Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetzes verraten. Es handele sich um höchstpersönliche, intime Daten. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz werde verletzt, da andere Behinderungen in Zeugnissen nicht erwähnt würden.
Die Schulträger, der Freistaat und ein privater Schulverbund, wehren sich gegen die Vorwürfe und machen ebenfalls den Gleichbehandlungsgrundsatz geltend. Die Legastheniker seien durch Nachteilsausgleich und Notenschutz bevorzugt worden. Um andere Schüler bei der Job- und Studienplatzsuche nicht zu diskriminieren, müsse dieses Privileg im Zeugnis vermerkt werden.
In der ersten Instanz setzten sich die Schüler teilweise durch. Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, dass der Hinweis auf die fachärztlich festgestellte Legasthenie die Kläger in ihren Rechten verletzte. Die Bemerkung über die nicht bewerteten Rechtschreibleistungen sei aber rechtmäßig. Das Urteil des VGH soll am Freitag bekannt gemacht werden.