Leerstehende Büros: Homeoffice als Chance für mehr Wohnraum

Viele Münchner sind in der Pandemie auf Homeoffice umgestiegen. Nun sind etliche Büros ungenutzt. Das wäre die Chance, glaubt Architekturstudentin Antonia Cruel, Tausende Wohnungen zu schaffen.
von  Christina Hertel
Ins Siemens-Hochhaus in Obersendling kommen nach der Sanierung wieder Büros.
Ins Siemens-Hochhaus in Obersendling kommen nach der Sanierung wieder Büros. © Visualisierung: Henn Architekten

München - Zumindest theoretisch könnte jeder, der in München auf Wohnungssuche ist, schnell fündig werden: In der Stadt stehen schätzungsweise rund 980.400 Quadratmeter an Büroflächen leer. Das ist so viel, dass man dort Wohnraum für 25.138 Menschen schaffen könnte.

Masterarbeit: "Zahlen zeigen, was für Chancen in diesen Flächen liegen"

Das hat die Architekturstudentin Antonia Cruel ausgerechnet. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich damit, wie sich leere Büros mit Wohnungen wiederbeleben lassen könnten. Natürlich weiß sie, dass nicht in jede verwaiste Bürolandschaft Menschen einziehen können. "Doch diese Zahlen zeigen, was für Chancen in diesen Flächen liegen", sagt Cruel.

Die Versorgungskammer Bayern zieht in dieses Gebäude am Arnulfbogen.
Die Versorgungskammer Bayern zieht in dieses Gebäude am Arnulfbogen. © Foto: Art Invest

Tatsächlich ist der Büroleerstand in München derzeit so groß wie seit sieben Jahren nicht mehr. Zu dem Ergebnis kam auch der Immobilienberater Colliers. Er ermittelte, dass im Großraum München 1.061.400 Quadratmeter einen neuen Mieter suchen. Das entspreche einer Leerstandsquote von 4,7 Prozent - etwa 1,6 Prozent mehr als im Vorjahr.

Büros zur Spekulation gebaut - Mietverträge noch nicht in Sicht

Der größere Teil der ungenutzten Büros liegt hinter der Stadtgrenze: Im Nordosten Münchens stehen elf Prozent der Flächen leer. Gleichzeitig kommen dort immer mehr Büros hinzu: Zum Beispiel sollte in Aschheim eine riesige, neue Zentrale für Wirecard entstehen.

Der Deal platzte, als herauskam, dass mutmaßlich Betrüger den ehemaligen Dax-Konzern führten. Doch da war die Baustelle bereits angefangen. Nun tut sich der Eigentümer schwer, Mieter für die knapp 42.000 Quadratmeter Bürofläche zu finden - obwohl es nicht weit bis zur Messe ist.

Aber auch in Bogenhausen und Schwabing liegt der Leerstand laut Colliers bei acht Prozent. Auch hier wird in den nächsten Jahren eifrig an neuen Bürowelten gebaut.

Zum Beispiel entstehen an der Richard-Strauss-Straße zwei neue bis zu 98 Meter hohe Bürotürme. 1.900 Menschen sollen dort einmal arbeiten. Zumindest ist klar, für wen: Die Bayerische Versorgungskammer will dort ihre Zentrale einrichten.

Auch auf dem Paketposthallen-Areal entstehen Büros.
Auch auf dem Paketposthallen-Areal entstehen Büros. © Visualisierung: Herzog de Meuron

"Hufeland-Areal": Büro- und Gewerbestandort  im Münchner Norden

In anderen Fällen ist das noch offen: An der Landsberger Straße in Laim wurden 51.00 Quadratmeter Büros aus reiner Spekulation gebaut. Die Fassade steht schon, doch Mietverträge seien noch keine unterzeichnet worden, heißt es.

Trotzdem wird immer weiter gebaut: Gerade arbeitet das Planungsreferat unter anderem an einem Bebauungsplan für das "Hufeland-Areal" im Münchner Norden. Dort soll ein Büro- und Gewerbestandort mit etwa 2.400 Arbeitsplätzen entstehen. Auch ein Supermarkt, Gastronomie und ein Hotel sind geplant.

Bis das fertig ist, kann es noch Jahre dauern, aber bald kommen neue Arbeitswelten dazu. Colliers geht davon aus, dass im nächsten Jahr im Raum München knappe 560.000 Quadratmeter an Büroflächen fertig werden.

Hufeland-Areal.
Hufeland-Areal. © Visualisierung: Morris + Company, Kirchberger & Wiegner Rohde/Forbes Massie

Stadt spricht von "Erholung eines angespannten Marktes"

Doch erst ein Drittel davon hat einen Mieter. "Angesichts der derzeit geringeren Nachfrage" sei davon auszugehen, dass "die Vermarktungszeiträume von Neubauten wieder länger werden", heißt es.

Ein Problem sieht die Stadt darin nicht: Der Leerstand bewege sich in keinem kritischen Rahmen, sondern könne als "Erholung eines angespannten Marktes beschrieben werden", schreibt die Pressestelle des Planungsreferats.

Auch Christian Müller, Chef der SPD im Stadtrat, hält es für falsch, Büroflächen zu verknappen. Dann könnten sich, sagt er, kleinere Unternehmen die Mieten nicht mehr leisten.

Die Architekturabsolventin Antonia Cruel, die seit ein paar Monaten Mitglied der Grünen ist, ärgert das. Sie findet: "Es sollten nur dann neue Büros gebaut werden dürfen, wenn die bestehenden genutzt werden."

Warum nicht ein Wohn-Büro für Kreative - wie in Offenbach?

Sie hält es für bedenklich, dass sich die Stadt so wenig mit dem Leerstand auseinandersetzt. In Offenbach wurde etwa aus einem Bürokomplex aus den 1970ern ein Wohn-Büro, also eine Mischung aus Wohn-, Arbeits- und Veranstaltungsraum für Künstler, Grafiker und Designer.

In München scheiterten solche Experimente: Die Idee, ins Siemens-Hochhaus 270 Wohnungen zu bauen, verwarfen die neuen Eigentümer. Stattdessen arbeitet die Stadtverwaltung einen Bebauungsplan für 1.600 Arbeitsplätze aus.

Wenn der BR-Turm am Hauptbahnhof neu gebaut wird, kommen die Menschen dort wohl auch eher zum Arbeiten als zum Wohnen hin. Zwar gibt es Ideen, Gästewohnungen für BR-Musiker oder Apartments zu schaffen. Doch dass dort mal Familien einziehen, kann sich Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher nicht vorstellen. Schließlich fehle es in der Gegend an Grünflächen.

Hilft ein pragmatischeres Baurecht? 

Auch wenn die Großmarkthalle überplant wird, sind Wohnungen dort aus Bickelbachers Sicht nicht realistisch. Grund ist der Lärm - und die Bürokratie. Denn während Verkehrslärm für eine Baugenehmigung hinter den Fenstern gemessen werde, geschehe das bei Gewerbelärm vor den Scheiben, sagt Bickelbacher.

Das Baurecht müsste aus seiner Sicht an vielen Stellen pragmatischer sein - und den Städten mehr Handlungsspielraum geben. "Denn oft kann die Stadt nur mit den Eigentümern verhandeln", sagt Bickelbacher.

Und das klappt nicht immer. Denn trotz Homeoffice und Corona sind die Renditen für Büros besonders hoch: Für ein neues zahlt man im Schnitt 28,20 Euro pro Quadratmeter.

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