Leerstand in der Innenstadt: "Die Fußgängerzone häutet sich"

Die Innenstadt ist im Umbruch. Viele bekannte Läden sind verschwunden, überall wird umgebaut. Ein Streifzug.
von  Nina Job
Verklebte Schaufenster, Bretterwände oder komplette Verhüllungen wie hier am früheren Schuhhaus Thomas zeugen vom großen Umbruch.
Verklebte Schaufenster, Bretterwände oder komplette Verhüllungen wie hier am früheren Schuhhaus Thomas zeugen vom großen Umbruch. © Daniel von Loeper

München - Es tut sich immer noch nichts. Wenn Sonya Beyerlein aus ihrem Kiosk neben dem Karlstor schaut, blickt sie auf meterhohes Blech. Damit sind die Schaufenster verrammelt, in denen Karstadt Sports bis vor einem Jahr Jogginghosen, Turnschuhe oder Skianzüge ausstellte.

Am Karlstor ist es ruhig geworden

"Seit 1. Oktober 2020 sind die weg", sagt die junge Frau. Seitdem steht ihr Kiosk zwar immer noch auf einer der teuersten Flaniermeilen Deutschlands, aber: "Der Winkel ist tot. Es ist sehr, sehr ruhig geworden", sagt sie. Nur wenn es regnet, kämen ein paar mehr Leute vorbei, weil es unter den Arkaden trocken ist. Das nutzen auch gern mal Obdachlose, die hier ihr Lager aufschlagen.

Verrammelte Kaufhäuser, zugeklebte Schaufenster, meterlange Bretterzäune, großflächig verhüllte Häuser, in denen Bauarbeiter alles neu machen: Münchens Innenstadt ist im Umbruch.

"Toter Winkel": Sonya Beyerlein verkauft Zigaretten und Souvenirs. Kunden kommen nur noch wenige, seitdem Karstadt Sports dichtgemacht hat.
"Toter Winkel": Sonya Beyerlein verkauft Zigaretten und Souvenirs. Kunden kommen nur noch wenige, seitdem Karstadt Sports dichtgemacht hat. © Daniel von Loeper

Große Ladenflächen, in denen mal sehr angesagte Marken hervorragende Umsätze machten, warten auf ihre Wiederbelebung, viele bekannte Namen sind sang- und klanglos verschwunden.

Der Strukturwandel ist sichtbar

Die Innenstadt wirkt, als hätte man die Karten einmal kräftig durchgemischt und als seien ganz schön viele dabei aus dem Spiel gefallen. Wer nach einem bestimmten Geschäft sucht, das er von früher kannte, läuft Gefahr, vergeblich zu suchen. Der Strukturwandel ist offensichtlich.

Vor allem die Bekleidungsindustrie hat es arg gebeutelt. Gleich zwei H&M-Geschäfte in der Fußgängerzone existieren nicht mehr, am Eingang zur Hofstatt, wo früher Mango Kleidung anbot, stehen nun teure E-Autos der neuen Firma Polestar Munich in den Schaufenstern.

Kunst statt Dirndl: Trachten Steindl ist ausgezogen, jetzt nutzt Mario Terés die Fläche bis Februar für seinen Kunstsupermarkt.
Kunst statt Dirndl: Trachten Steindl ist ausgezogen, jetzt nutzt Mario Terés die Fläche bis Februar für seinen Kunstsupermarkt. © Daniel von Loeper

Zwischen Färbergraben und Neuhauser Straße, wo der spanische Modehersteller Desigual Farbenfrohes verkaufte, gehen nun Burger über die Theke.

Ketten reduzieren ihre Filialen, Traditionsgeschäfte verschwinden

Andere große Handelsketten wie Douglas haben die Anzahl ihrer Filialen reduziert, Traditionsgeschäfte wie Trachten Steindl sind verschwunden aus der City. Dort nutzt nun Mario Terés mit seinem Kunstsupermarkt die Zeit als Zwischenmieter. Vor dem großen Umbruch wäre so eine Ladenfläche in bester Lage gar nicht zu bekommen gewesen, erzählt er.

"Die Fußgängerzone häutet sich gerade", sagt Makler Manfred Schalk, Geschäftsführer der Comfort München. Die Gesellschaft hat sich auf Immobilien und Gewerbeflächen "in den Top 1A-Lagen" spezialisiert. "Wir haben gerade eine ultraspannende Zeit, in der viele neue Konzepte entstehen", sagt er. Bis der Prozess abgeschlossen sei, würden noch ein paar Jahre vergehen, prophezeit er. Eine Chance für kleinere Start-ups oder Kreative ist der Umbruch aber wohl nicht, jedenfalls sind sie bislang in der City nicht zu sehen.

Mieten für große Flächen sind gesunken, für kleine Läden nicht

Nicht weit von Sonya Beyerleins Kiosk entfernt macht Johanna Hager gerade Räumungsverkauf. Fast 50 Jahre hatte die Familie ein Juweliergeschäft am Stachus, seit 33 Jahren ist sie unter den Arkaden. Nun gibt die 73-Jährige auf. Corona hat sie in die Miesen gestürzt. Sie hatte nicht das Glück wie Mieter der Stadt München oder des Freistaats, die monatelang weniger zahlen mussten. "Ich musste in die Privatkasse greifen", sagt die studierte Kunsthistorikerin. Bis Dezember läuft ihr Räumungsverkauf.

Abschied nach 50 Jahren: Johanna Hager (73), deren Familie seit vier Generationen am Stachus ein Juweliergeschäft betreibt, hört auf.
Abschied nach 50 Jahren: Johanna Hager (73), deren Familie seit vier Generationen am Stachus ein Juweliergeschäft betreibt, hört auf. © Daniel von Loeper

Dass ihr Nachmieter - wieder ein Juweliergeschäft - weniger Miete zahlen muss als sie, kann sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. "Die Leute rennen mir die Bude ein", das Interesse an dem kleinen Laden sei sehr groß.

Sogar Banken verlassen die Innenstadt

Makler Manfred Schalk bestätigt das: "Ebenerdige Läden mit 100 bis 200 Quadratmetern bekomme ich nach wie vor gut vermietet." Ganz anders die großen Gewerbeflächen: "Hier haben die Preise in der Fußgängerzone um 20 bis 30 Prozent nachgegeben", sagt er.

Sogar Banken, die immer als Garanten für das große Geld galten, ziehen sich zurück aus der Innenstadt. Die Deutsche Bank hat ihre große Filiale am Marienplatz geschlossen, auch in der Maximilianstraße wird sie bald nicht mehr sein.

Statt Läden kommen jetzt Unternehmen mit Büros

Dafür macht sich in der Fußgängerzone nun die Pharmaindustrie breit. Wie die Immobilienabteilung Signa Real Estate des österreichischen Milliardärs René Benko diese Woche bekanntgab, wird Novartis in der Alten Akademie langfristig 9350 Quadratmeter mieten. Bis zum Einzug dauert es aber noch. Momentan ist hier Großbaustelle. "Wo sich München neu erfindet", steht an den Absperrungen. Was das wohl für die gesamte Innenstadt bedeuten könnte? Momentan lässt sich nicht erkennen, wo die Reise hingeht.

Sonya Beyerlein hat sich derweil ein wenig ausgebreitet: Sie hat Verkaufsständer mit Mützen und Handschuhen vor das ehemalige Karstadt Sports gestellt - ein schönerer Anblick als die kalten Blechwände. Im kommenden Jahr will das Immobilienunternehmen Accumulata im Auftrag der Unternehmensgruppe Wilhelm von Finck mit dem großen Umbau beginnen.

Das denkmalgeschützte Haus soll wieder eine echte Attraktion werden. Ein Kaufhaus soll nicht erneut einziehen. Das Gebäude wird künftig gemischt genutzt werden.

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