Lech Walesa: Der Mann aus Hoffnung kommt nach München

Am Sonntag spricht der legendäre Solidarnosc-Führer und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa (73) in den Kammerspielen. Ein Porträt des Mannes, der das totalitäre kommunistische System zu Fall brachte.
von  Carolina Zimmerman
„Ich will nicht, aber ich muss“: Arbeiter tragen den Streikführer Lech Walesa im Sommer 1980 auf ihren Schultern zur Lenin-Werft in Danzig.
„Ich will nicht, aber ich muss“: Arbeiter tragen den Streikführer Lech Walesa im Sommer 1980 auf ihren Schultern zur Lenin-Werft in Danzig. © dpa

München - Er müsse mal „frische Luft schnappen“ - mit diesen Worten verließ der damals 24-jährige Lech Walesa 1967 seinen Heimatort Popowo. Seine damalige Freundin hatte die Beziehung beendet und die Zukunftsaussichten als Elektromechaniker in dem kleinen polnischen Dorf stellten ihn nicht zufrieden. Die frische Meeresluft in Danzig gefiel dem jungen Lech dann wohl ganz gut, denn am Bahnhof angekommen, beschloss er zu bleiben.

Er heuerte als Elektriker auf der Lenin-Werft an. Weil er sich 1970 an einem illegalen Streik beteiligte, wurde Walesa zum ersten Mal verhaftet. Zehn Jahre später sollte sich dieses Szenario wiederholen, nur, dass er sich dieses Mal nicht so schnell unterkriegen ließ. Zu diesem Zeitpunkt hatte der kaltschnäuzige und pragmatische Arbeiter viel über Menschen gelernt und sein größtes Talent bereits voll entfaltet: Menschenmassen zu fesseln. Das konnte er wie kein anderer.

"Er hat das Richtige zur richtigen Zeit getan"

Wenn sich Zeitgenossen über den Anführer der polnischen Solidaritätsbewegung und Gründer der Gewerkschaft Solidarnosc äußern, dann nennen sie Charaktereigenschaften wie Kompromisslosigkeit, Geradlinigkeit, Besonnenheit und Kampfgeist. Im Sommer 1980 wird Lech Walesa als Streikführer zum Symbol des Arbeiterwiderstands. Ihm folgten viele mutige und kluge Menschen, aber er stand an der Spitze der Bewegung, die neun Jahre später den Kommunismus in Polen zum Einsturz bringen sollte.

 

Walesa zu Gast bei der AZ-Podiumsdiskussion "Last Exit, Europe" - Sie können dabei sein!

Kein Geringerer als Friedensnobelpreisträger Lech Walesa wird den Eröffnungsvortrag halten: Bereits zum dritten Mal bitten die Abendzeitung und die Allianz Kulturstiftung in Kooperation mit den Münchner Kammerspielen und Parlavent zur "Last Exit Europe-Debatte". Die Veranstaltung findet am 23. Oktober um 11 Uhr statt. Hochkarätige Diskussionsteilnehmer dabei sind: Gisela Stuart, Abgeordnete der britischen Labour Party und Brexit-Befürworterin, DGB-Chef Reiner Hoffmann, Basil Kerski (Präsident des Europäischen Solidarnósc-Zentrums in Danzig) sowie Grünen-Abgeordnete Claudia Stamm. Moderiert wird die Veranstaltung von AZ-Chefredakteur Michael Schilling.

Gerne können auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, dem legendären Lech Walesa zuhören und die anschließende Podiumsdiskussion live und vor in den Münchner Kammerspielen mitverfolgen.
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Diese Jahre waren Walesas Zeit. Er wurde gebraucht und er war da. Ohne dass er das vorher gewusst hätte und ohne dass irgendjemand benennen könnte, warum ausgerechnet dieser schnauzbärtige 37-Jährige das Geschick eines ganzen Landes mit einem heftigen Ruck in Richtung Demokratie zum Besseren wenden konnte. Der erst vor ein paar Tagen verstorbene polnische Filmregisseur Andrzej Wajda bezeichnete Walesa als den „Mann für einen bestimmten Augenblick“. Damit bezieht er sich vor allem auf die Tatsache, dass der ehemalige polnische Präsident während und nach seiner Amtszeit mit Schmutz beworfen wurde – nachdem man ihn in den 80er Jahren zum Nationalhelden erhoben hatte.

„Er hat das Richtige zur richtigen Zeit getan“, davon war der Filmemacher überzeugt, auch wenn das vielen Polen nicht gereicht habe. Wajda setzte dem nicht unumstrittenen Freiheitskämpfer ein filmisches Denkmal: „Walesa – Der Mann aus Hoffnung“ (2013) folgt auf „Der Mann aus Marmor“ (1976) und „Der Mann aus Eisen“ (1981) und ist der dritte Teil der Trilogie über den Kampf eines Mannes gegen das totalitäre kommunistische System.

Er fuhr nicht nach Oslo – aus Angst, Polen ließe ihn nicht zurückkehren

Es sei sein schwierigster Film gewesen, sagt Wajda, da der „Held noch am Leben und die Kritik unerbittlich“ gewesen sei. Der Film erfüllte in Polen anscheinend ein großes Bedürfnis, denn die Resonanz war sehr positiv, in manchen Kinos wurde er täglich zehn Mal hintereinander gespielt. Der Porträtierte selbst war nicht ganz so glücklich mit dem Ergebnis: „Ich war neugierig, wie Leute wie Wajda mich sehen. Er meinte, dass ich es wegen meines Hochmuts geschafft habe. Nur, wenn ich so hochmütig wäre, wie er findet, hätten mich die Arbeiter kaum auf den Schultern getragen.“

Robert Wickiewicz verkörpert den fast krankhaft stolzen Choleriker, der sich ständig verhaspelt, aber eben auch geradeaus denkt, geerdet ist und als Solidarnosc-Chef bedingungslos seine Mitstreiter verteidigt und für sie einsteht. „Ich will nicht, aber ich muss“, war ein bezeichnender Satz, der Walesa antrieb und keine weitere Erklärung verlangte. Am Ende des entscheidenden Streiks soll der Anführer, dessen siebtes Kind damals gerade auf die Welt gekommen war, sich vor die Massen gestellt und gesagt haben: „Ich danke euch, geht jetzt nach Hause! Sorgt für Nachwuchs! Habt Dank!“

Walesa und seine Frau Danuta haben acht Kinder, unter ihnen Jaroslaw Walesa, der Abgeordneter im Europäischen Parlament ist. Aus Angst, nicht wieder ins eigene Land gelassen zu werden, wollte Walesa den Friedensnobelpreis, der ihm 1983 verliehen wurde, nicht persönlich entgegennehmen und schickte seine Frau und einen Sohn nach Oslo. Die Gewerkschaft war zu der Zeit bereits verboten, Walesa war 1981, als in Polen der Kriegszustand ausgerufen wurde, verhaftet worden.

Der erste frei gewählte Staatspräsident Polens

Erst 1989 konnte der ehemalige Gewerkschaftsführer in Verhandlungen zur Demokratisierung Polens die Wiederzulassung der Solidarnosc erwirken. Ein Jahr später wurde er polnischer Staatspräsident – der erste frei gewählte. Am Ende dieser Periode, 1995, hatte er zu einem Großteil den anfänglichen Zuspruch der polnischen Bevölkerung verloren, sein größter Verdienst aber wird ihm nicht abgesprochen: der Abzug der sowjetischen Truppen von polnischem Staatsgebiet.

Wie er Boris Jelzin überzeugt hat? Angeblich mit Wodka

Außerdem hatte er den damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin dazu gebracht, ein Protokoll zu unterzeichnen, in dem stand, Russland habe nichts gegen Polens Plan, der Nato beizutreten. Angeblich, indem er einfach genug Wodka in ihn reingeschüttet hatte. Mit 52 trat Lech Walesa bereits in den politischen Ruhestand. Die Frage, ob er gern noch mal eine aktive Rolle in der Politik einnehmen würde, verneint er. Er habe, sagt er, all seine Ziele erreicht.

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