Lebenskrise: Münchner Insel bietet Hilfe für Menschen in seelischer Not
München - Marienplatz in München, Tiefgeschoss: Hier, im Trubel zwischen Bäckereien, U- und S-Bahn-Stationen, Souvenirläden und Kaffeeshops befindet sich die Münchner Insel. Dort kümmern sich seit 45 Jahren Psychologen und Seelsorger um Menschen in aktuen Lebenskrisen. Getragen wird die Einrichtung von katholischer evangelischer Kirche in München. Die Münchner Insel nimmt in Bayern eine Sonderstellung ein. Sie ist – als ökumenisch getragene Beratungseinrichtung – die einzige im Land, die man ohne Termin besuchen kann. In Schweinfurt und Würzburg gibt es ähnliche Einrichtungen, allerdings alleine in katholischer Trägerschaft.
Gründungsjahr: 1972, das Jahr der Olympischen Spiele in München. Einen Bezug zum Sport-Weltereignis gibt es nicht. Wohl aber zu der ganz besonderen Zeit, sagt Sybille Loew, katholische Leiterin der Insel: "Es war die Flower-Power-Zeit, da war viel im Umbruch. Und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche gemerkt, dass sie sich öffnen muss." Der katholische Weihbischof Ernst Tewes und der evangelische Dekan Theodor Glaser, die beiden Gründerväter der Münchner Insel, hätten das – unabhängig voneinander – erkannt. Und dann gemeinsam die Idee geboren: "Die Kirche muss dahin gehen, wo die Menschen sind", sagt Loew. Also an einen hoch frequentierten Ort wie den Münchner Marienplatz.
Von außen sieht man diesem hell erleuchteten Ort im Tiefgeschoss des Marienplatzes nicht an, dass hinter der Glasfront ernste Themen behandelt werden. Auch nicht, dass es sich dabei um eine kirchliche Einrichtung handelt. "Das ist Absicht, das gehörte von Anfang an zum Konzept", sagt Tilmann Haberer, der evangelische Leiter, der im Duo gemeinsam mit Loew die Münchner Insel verantwortet. Keine Kreuze, keine kirchlichen Symbole – dafür aber: offene Türen und offene Ohren. Für alle Art von Problemen, für alle Menschen. Gleich welcher Konfession und Herkunft.
Auch Top-Manager suchen Zuflucht
"Das sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, wie Sie und ich", sagt Haberer. Menschen, die durch die Lebensumstände unvermittelt in eine Krise geraten sind – durch den Verlust eines Partners, einen Todesfall oder wenn jemand seine Existenz gefährdet sieht. Während der Finanzkrise habe beispielsweise mal ein Top-Manager Zuflucht in der Insel gesucht, weil er von Heute auf Morgen mehrere Millionen Euro verloren hat. "Der wusste nicht mehr, wo unten und wo oben ist", sagt Loew.
Etwas Orientierung geben, die richtigen Fragen stellen; Dinge, die sich dramatisch anfühlen, aus einer anderen Perspektive sehen – um vielleicht eine neue Perspektive zu erkennen. Darum geht es in den Insel-Gesprächen. Und damit leistet die Einrichtung eine Art Erstversorgung bei akuten Krisen. Eine wichtige, mitunter vielleicht sogar lebensrettende Maßnahme, wie Ulrike Hess, Vorsitzende vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, sagt. "Es geht darum, den ersten Druck abzubauen. Das ist in dieser Situation enorm wichtig." Die Insel mache das möglich. Denn für den Besuch braucht es keine Termine, keine Anmeldung, keine Krankenversicherung. Die Besucher müssen nicht einmal – wie sonst bei Psychotherapeuthen üblich – lange Wartezeiten einplanen. "Innerhalb von wenigen Minuten kommt eigentlich jeder Besucher bei uns dran", berichtet Sybille Loew.
Die Kosten für die Münchner Insel – der Jahresetat beträgt rund 722.000 Euro – bestreiten die katholische und evangelische Kirche. Es scheint gut angelegtes Geld zu sein. Denn die Jahresstatistiken weisen, wie Johannes Minkus, Pressesprecher der evangelischen Kirche in Bayern, sagt, eine stetig steigende Besucherzahl auf. "Im Jahr 2016 haben 7617 Menschen die Münchner Insel aufgesucht", berichtet Minkus, hinzu kämen 3.854 Anrufe. In 7,7 Prozent der Fälle kamen die Ratsuchenden gar in akuten, lebensbedrohenden Krisensituationen. Für sie war die Insel vielleicht buchstäblich eine Rettungsinsel.
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