Leben mit Hartz IV: „Ich spare an mir selbst“

Eine Münchner Alleinerziehende erzählt von ihrem Leben mit Hartz IV. Auch in München gibt es Kinderarmut. Experten sagen: „215 Euro für ein Kind - das reicht hinten und vorne nicht“
Verena Heise* ist keine Frau, die jammert. „Wir kommen schon durch“, sagt die 41-Jährige. Die Münchnerin ist alleinerziehend, ihre Tochter Magdalena ist zweieinhalb. Magdalena ist eines der 19 328 Kinder, die in München HartzIV bekommen, den Regelsatz von mindestens 215 Euro, der jetzt beim Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand steht (siehe unten). Die 215 Euro, das sind 60 Prozent von dem, was die Mutter bekommt. Das allerdings findet Verena Heise absurd. „Meine Tochter braucht mehr als ich. An mir selbst kann ich sparen.“ Zum Beispiel bei der Kleidung. Ich habe mir schon lange nichts mehr zum Anziehen gekauft, aber Magdalena braucht nunmal Schuhe, was Warmes für den Winter.“
Die gelernte Kosmetikerin hat lange für einen Kosmetikkonzern im Verkauf gearbeitet. Vom Vater des Kindes lebt sie getrennt, er zahlt nicht für das Kind. Sie wohnt in einer Zwei-Zimmerwohnung in der Innenstadt. Nur in einem Zimmer steht eine Gasheizung, damit muss die ganze Wohnung beheizt werden. Die Wohnung zahlt das Amt. Zu Hartz IV bekommt sie noch Kindergeld – das wird allerdings mit dem Hartz-IV-Satz verrechnet – und einen Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt. Insgesamt haben die beiden 630 Euro im Monat. Davon müssen sie Telefon, Versicherungen, Essen, Kleidung und alles andere bezahlen. „Alleine Windeln gehen ungeheuer ins Geld“, sagt Verena Heise. „Kleidungsstücke kaufe ich auf dem Flohmarkt oder mal bei Aldi. Oft geben mir Bekannte auch etwas, das sie nicht mehr brauchen.“
Sie könnte auch in eine Sozialwohnung umziehen – bislang scheut sie sich aber. „Ich würde mir für Magdalena eben wünschen, dass sie nicht in einem sozialen Brennpunkt wohnt. Auch wenn wir nur eine Heizung haben – die Gegend hier ist gut. Ich möchte, dass sie so normal wie möglich aufwächst.“ Hin und wieder wird Magdalena auch von den Großeltern unterstützt, ein Laufrad hat sie heuer geschenkt bekommen. Ausgegangen ist Heise schon ewig nicht mehr - sie will weder für einen Babysitter zahlen noch für „mein Vergnügen“, wie sie sagt. Magdalena steht an erster Stelle.“
Magdalena ist sozusagen ein typischer Fall. Denn die Zahl der alleinerziehenden Hartz-IV-Empfänger ist in München gestiegen. „Wir merken deutlich, dass immer mehr alleinerziehende Mütter kommen“, sagt Hannelore Kiethe von der Münchner Tafel, wo Essen an Bedürftige ausgegeben wird. Häufig fehlen auch gut ausgebildeten Frauen Betreuungsmöglichkeiten . Dadurch können sie nicht mehr arbeiten und rutschen ab.
Auch Bärbel Barretta, Fachdienstleiterin Kinder- und Jugendhilfe der Caritas München-Nord sieht tagtäglich, wie Kinderarmut in München aussieht. „215 Euro - das reicht doch hinten und vorne nicht.“ Für Essen sind da 3,10 Euro eingerechnet. „Aber in einem Hort kostet das Mittagessen ja schon zwischen 3 Euro und 3,50 Euro. Nur: Frühstück ist da noch keines drin und auch kein Abendessen.“
Barretta leitet unter anderem einen Kindergarten im Hasenbergl. Neben der Ernährung sieht sie auch ein großes Problem in der Bildung. „Ein Zoobesuch mit den Eltern am Wochenende - das können sie vergessen“, sagt sie. Auch Musikunterricht, Sport, ein Museumsbesuch, all das wird unbezahlbar. „Die Eltern bemühen sich, wollen ihren Kinder das alles bieten– aber das kostet“, sagt Barretta.
Aber nicht nur Hartz-IV-Bezieher sind in München arm. „Ich hatte hier schon Eltern sitzen, die Arbeit hatten. Der Vater war Lagerist – aber er konnte seine Familie davon nicht ernähren“, sagt Barretta.
Verena Heise geht mit ihrer Tochter zum Kinderturnen, 11 Euro im Monat. Andere Angebote, Malkurse, Musik, sind zu teuer. Manchmal hat sie auch Angst vor der Zukunft: Irgendwann wird die Tochter ein Fahrrad haben wollen, verreisen wollen oder nach Kleidung fragen, die nicht vom Flohmarkt ist. Noch hat sie keinen Kindergartenplatz, aber nächstes Jahr müsste es klappen. Dann will sie unbedingt wieder arbeiten. Früher hat sie bis 20 Uhr gearbeitet und auch samstags – mit der Kleinen unmöglich. Bis 14 oder 16 Uhr, wenn Magdalena betreut wird, das könnte sie schaffen. „Ich hoffe, dass ich bald wieder für uns sorgen kann.“
* Name geändert.
Tina Angerer