Laufen gegen den Krebs

Studien belegen: Sport und Bewegung reduzieren die Sterblichkeit von Krebspatienten um bis zu 50 Prozent. Experten fordern deshalb neue Wege in der Tumortherapie - in München findet noch bis Samstag der "1. Internationale Sport- und Krebskongress" statt.
von  Abendzeitung
Die Ärzte machen es vor: Sportmediziner Martin Halle (2.v.l.) und seine Kollgegen laufen dem Krebs davon.
Die Ärzte machen es vor: Sportmediziner Martin Halle (2.v.l.) und seine Kollgegen laufen dem Krebs davon. © AZ

MÜNCHEN - Studien belegen: Sport und Bewegung reduzieren die Sterblichkeit von Krebspatienten um bis zu 50 Prozent. Experten fordern deshalb neue Wege in der Tumortherapie - in München findet noch bis Samstag der "1. Internationale Sport- und Krebskongress" statt.

„Wir brauchen ein Umdenken in der Krebstherapie und sollten in Zukunft Sport ganz gezielt als Artzney einsetzen“, fordert der Münchner Mediziner Martin Halle. Die Fakten liefert der Forscher und Ärztliche Direktor des Zentrums für Prävention und Sportmedizin der TU München im AZ-Gespräch: „Täglich Sport und intensive Ausdauerbewegung führen zu einer deutlichen Reduzierung der Rückfallquote bei Krebspatienten. Was lange vermutet wurde, lässt sich jetzt durch erste wissenschaftliche Studien auch beweisen.“

Sport als neuer Heilungsansatz

Die Botschaft von Martin Halle für den „1. Internationalen Sport- und Krebskongress“, der mit 350 Teilnehmern ab heute bis Samstag in München stattfindet, ist deshalb unmissverständlich: „Wir wollen Ausdauersport als neuen Heilungsansatz etablieren.“ Dieses ehrgeizige Ziel haben sich die Kongress-Veranstalter von der Deutschen Krebshilfe, der TU München und dem Rotkreuzklinikum gemeinsam gesteckt. Die Fakten sprechen auf jeden Fall für einen Paradigmenwechsel in der Tumortherapie: „Durch Sport kann zum Beispiel bei Patienten mit Darmkrebs, bei denen sich bereits Lymphknotenabsiedlungen gebildet haben, die 5-Jahressterblichkeit um bis zu 40 Prozent gesenkt werden“, sagt Halle. Das bedeutet in konkreten Zahlen: Von hundert Patienten, die nach Operation und Chemotherapie täglich aktiv sind und Sport treiben, leben nach fünf Jahren noch 70, bei der Gruppe der inaktiven Patienten sind es dagegen nur noch 50.

Täglich 30 bis 45 Minuten intensive Bewegung

„Krebspatienten sollten deshalb täglich 30 bis 45 Minuten Ausdauersport machen“, rät Sportmediziner Halle. Das reicht vom schnellen Spazierengehen über Schwimmen und Radfahren bis zu Walking, Joggen oder gezieltem Krafttraining (siehe unten). „Dabei kommt es wie bei jedem Artzney auf die richtige Dosierung an“, sagt Halle. Auch im Kampf gegen Brustkrebs kann tägliche Ausdauerbewegung und Sport die Heilungschancen deutlich verbessern – das hat eine wissenschaftliche Studie bereits gezeigt: „Bei den Frauen, die zusätzlich zur Chemotherapie ein moderates Sportprogramm absolviert haben, gab es 50 Prozent weniger Rückfälle. Aus dieser Patientinnengruppe sind auch 50 Prozent weniger Frauen an Brustkrebs verstorben“, sagt Marion Kiechle. Für die Direktorin der Frauenklinik am TU-Klinikum rechts der Isar ist das ein sensationelles Ergebniss: „Diese Prognose ist extrem positiv. Durch Sport steigt aber außerdem auch die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Krebspatienten enorm an.“ So komme es besonders während der Chemotherapie zu viel weniger Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit und körperlicher Abgeschlagenheit.

Experten fordern große Studien

Für Beate Roth (38), die seit ihrer Brustkrebs-Operation 2002 täglich Ausdauersport betreibt, gibt es aber noch weitere positive Aspekte: „Das Wichtigste ist, dass man als Krebspatientin dadurch wieder ein positives Körpergefühl bekommt und sich selbst aktiv an der Therapie beteiligen kann. Man gewinnt Vertrauen zurück, statt passiv zu bleiben.“ Sport als tägliche Zusatztherapie ist für Marion Kiechle ein sehr erfolgversprechender neuer Ansatz: „So gut wirkt kein Artzney“, sagt die renommierte Krebsforscherin. Deshalb fordern die Experten großangelegte Untersuchungen: Seinen Forschungsantrag für eine internationale Interventionsstudie mit über 1500 Darmkrebspatienten will Halle der Deutschen Krebshilfe noch auf diesem Kongress überreichen. Denn der Sportmediziner hat bereits eine konkrete Vision: „In Zukunft sollte jede größere Tumorklinik ein interdisziplinäres Zentrum für Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie psychosoziale Angebote haben.“

Samstag: Infotag für Patienten

Im Rahmen des „1. Internationalen Sport- und Krebskongresses“ findet am Samstag auch ein offenes Forum für Patienten, Selbsthilfegruppen und Patientenverbände statt: Dort berichten Experten unter dem Motto „Wir laufen dem Krebs davon!“ praxisnah und verständlich von den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema „Sport und Krebs“ und ihre praktischen Folgen für eine erfolgreiche Therapie. Los geht’s von 10 bis 11.30 Uhr mit Vorträgen im Zentrum für Prävention und Sportmedizin der TU München im Olympiapark (großer Hörsaal, Connollystr. 32). Bis 14 Uhr können sich Interessierte danach mit Betroffenen austauschen und verschiedene Sportarten ausprobieren: Erklärt wird, wie man überhaupt anfängt und welche Sportarten sinnvoll sind – der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich.

Der Wandel vom passiven zum aktiven Patienten

„Wichtig ist, dass die jeweilige Sportart den Betroffenen Spaß macht und Freude bereitet, nur dann wird täglich trainiert“, sagt Krebsexpertin Marion Kiechle. „Mehr körperliche Aktivität gibt den Patienten endlich die Möglichkeit, aktiv etwas für die eigene Genesung zu tun – und nicht nur passiv Chemotherapie und Operation über sich ergehen zu lassen“, sagt Michael Schoenberg, Chefchirurg am Rotkreuzklinikum München. Dafür muss jedoch bei Ärzten und Patienten ein starkes Umdenken einsetzen: Laut Umfragen weisen bisher nur rund 20 Prozent der Krebsspezialisten ihre Patienten darauf hin, dass sich durch Ausdauersport ihre Heilungschancen deutlich verbessern lassen. „Wir müssen die Ärzte aufklären“, fordert Martin Halle. Weitere Infos zum Kongress und zur Broschüre „Bewegung und Sport bei Krebs“ gibt es unter www. sportundkrebs08.de und www.krebshilfe.de im Internet.

Michael Backmund

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