Laster, Lust und Laufhaus
MÜNCHEN - Die Finanzkrise schlägt auch auf das älteste Gewerbe der Welt durch: „Das Geld bei den Freiern sitzt nicht mehr so locker“, sagt Peter Schillinger, Chef der Münchner Sitte. Und: Zwangsprostitution ist in München ein großes Problem.
Auf dem Schreibtisch liegt der „Lagebericht Prostitution 2007“, an der Wand hängen Bilder von 1860-Kickern. Der Mann dazwischen trägt einen dunklen Anzug und sagt: „Einmal Löwe, immer Löwe.“ Er heißt Peter Schillinger, ist 51 Jahre alt und Leiter des Kriminalfachdezernats zur Bekämpfung von Prostitutionsstraftaten. Kurz – Schillinger ist Chef der Münchner „Sitte“.
Der Bericht, sagt er, sei nicht für die Presse bestimmt, die Lage erklärt er uns gerne: Münchenweit gehen täglich 500 Frauen dem horizontalen Gewerbe nach. 2007 wurden 2693 Liebesdamen von der Polizei kontrolliert. „1801 waren Ausländerinnen, davon stammten 1021 aus EU-Ländern“, sagt der Ermittler und schätzt, dass die Zahlen 2008 in etwa gleich geblieben sind.
"Wir hören aus dem Milieu verstärkt Klagen"
Anders sieht es bei den Bordellen, FKK-Clubs und gewerblichen Wohnungen – im Fachjargon sämtlich „Prostitutionsbetriebe“ genannt – aus. 163 machen sich derzeit die Freier streitig. „Die Zahl war mal höher“, sagt Schillinger. Doch die Finanzkrise macht selbst vor dem ältesten Berufszweig der Welt nicht halt. „Wir hören aus dem Milieu verstärkt Klagen, dass das Geld nicht mehr so locker sitzt.“
Eine halbe Stunde für 50 bis 70 Euro
Der Trend gehe zum Laufhaus: Mancher, der früher ein kleines Vermögen für ein Bordellzimmer mit Whirlpool und Champagner berappte, gibt sich heute mit einer schnellen Nummer ohne prickelndes Ambiente zufrieden. „Im Laufhaus werden für die halbe Stunde Oral-/Geschlechtsverkehr 50 bis 70 Euro verlangt. In einem Club wie dem ,1001 Nacht’ sind Sie schnell mit 700 Euro dabei“, erklärt Schillinger. Noch gilt München deshalb im Milieu als El Dorado. „Aufgrund der höheren Einkommensverhältnisse sind die Preise im Rotlicht bei uns um 20 bis 30 Prozent höher als im Norden Deutschlands“, sagt der Kriminalhauptkommissar.
Illegale Ausländerinnen sind kein Thema
Nicht nur Zuhälter und Prostituierte aus anderen Bundesländern schielen neidisch gen Freistaat. Auch viele Fahnder träumen von bayerischen Verhältnissen. „Das Rotlicht in Berlin ist drei bis vier Mal so groß wie bei uns, das Personal im Vergleich erheblich geringer“, weiß Schillinger. Sein Team besteht aus 25 Beamten. Mehrmals im Monat kontrollieren sie jeden Betrieb. „Dadurch haben wir verschiedene Präventionseffekte“, sagt der Chef zufrieden. „Es werden so gut wie keine illegalen Ausländerinnen beschäftigt. Es sind keine Minderjährigen anzutreffen, weil das Entdeckungsrisiko für die Betreiber zu hoch ist. Insofern hält sich die Münchner Szene an Recht und Gesetz – was das legale Milieu betrifft.“
Als Wohnwagen in Flammen aufgingen
Verteilungskämpfe, wie sie Mitte der 80er Jahre an der Ingolstädter Landstraße stattfanden, sind zur Seltenheiten geworden. „Damals sind einige Wohnwagen in Flammen aufgegangen, weil ein Stellplatz weiter vorne eben lukrativer war als einer weiter hinten“, sagt Peter Schillinger. Die Wohnwagen wurden per Gesetz vom Straßenrand verbannt und zuletzt trat das Isar-Milieu einem „Eindringling“ geschlossen entgegen.
Showdown am Autobahnende
„2003 hat ein Türke versucht, massiv ins Münchner Rotlicht einzusteigen. Der hat sich nicht abgesprochen, wie das normalerweise üblich ist, sondern sich mit bewaffneten Securitys umgeben und wollte massiv expandieren.“ Die Münchner Szene – zwischen fünf und zehn Personen kontrollieren hier das Geschäft – setzte sich zusammen, bestimmte einen Sprecher. Man versicherte sich der Unterstützung einiger Rocker und umgab sich selbst mit Sicherheitsdiensten.
An einer Autobahnraststätte kam es zum Showdown. „Wir wussten lange nicht, ob das Ganze nicht in einem Schusswechsel endet“, erinnert sich Schillinger. „Aber zum Glück hat man sich dann darauf geeinigt, dass der Mann seine drei Betriebe weiterführen aber nicht mehr expandieren darf.“
Die Kondom-Pflicht wird oft nicht eingehalten
Kummer bereiten Schillinger und seiner Truppe heute andere Dinge. „Die Einhaltung der Kondom-Pflicht ist im legalen Bereich noch ein Problem. Da gibt es halt manche Betriebe, die den Frauen schon als Einstellungsvoraussetzung sagen, dass sie ohne Kondom arbeiten müssen – zumindest beim Oralverkehr.“
Erst Ende September gab es deshalb eine Razzia im Bordell „Pascha“. Die beiden Geschäftsführer wurden wegen „dirigistischer Zuhälterei“ angezeigt, elf Freudenmädchen wegen Strafvereitelung.
Ein Verstoß gegen die Hygieneverordnung
„Ich verstehe die Freier nicht, die in Zeiten von Aids noch Sex ohne Präservativ verlangen.“ Schillinger schüttelt den Kopf. „Viele von denen gehen doch erst ins Bordell und dann heim zu ihren Partnerinnen.“ Tatsächlich ist das nicht nur leichtsinnig sondern auch ein Verstoß gegen die „Bayerische Hygieneverordnung“. Sie verpflichtet Prostituierte wie Freier zum Gebrauch der kleinen Plastiktütchen.
Problemfall: Ethnische Prostitution
Besonders schwer zu schaffen macht den Sittenwächtern jedoch ein Phänomen, das vor allem außerhalb der gemeldeten Betriebe auftritt und durch die EU-Osterweiterung noch verschärft wird: die Zwangsprostitution. „Täglich sind 100 bis 200 Damen illegal in Hotels und Wohnungen im Sperrbezirk unterwegs“, sagt der Kommissariats-Leiter. Nicht alle verrichteten ihre Liebesdienste aus freien Stücken. „Am meisten Sorgen macht uns allerdings die ethnische Prostitution, weil der Anteil der Zwangsprostituierten dort am höchsten ist.“
Diese Frauen, die mit Gewalt oder falschen Versprechungen nach München gelockt werden, stammen meist aus Osteuropa. „Rumänien, Litauen, Ukraine – wenn im Heimatland nichts mehr zu verdienen ist und keine Arbeitsplätze mehr da sind, dann steigt der Wunsch der Leute, in den Westen zu kommen“, hat Schillinger beobachtet.
Das Anbahnungslokal in der Schleißheimer Straße
Lange waren es vor allem Bulgarinnen, die von Landsmännern dazu gezwungen wurden, in München auf den Strich zu gehen. „Die hatten ein offenes Anbahnungslokal in der Schleißheimer Straße. Dort saßen die Prostituierte mit ihren Zuhälter am Tisch, dann kam ein Freier dazu, hat sich umgeschaut, seine Wahl getroffen, dem Zuhälter das Geld gegeben und dann ist er mit der Dame verschwunden. Zum Teil saßen zehn bis 15 Frauen in diesem Cafe“, erzählt Schillinger. „Wir haben das ziemlich energisch bekämpft und der Wirt, der an dem Ganzen beteiligt war, hat dann 2006 dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe bekommen. Seitdem gibt es zumindest keine offene Szene mehr.“
Eine 15-Jährige von der Tante angeboten
Eine Szene aus dem Lokal ist geblieben – sie hat sich Schillinger ins Gedächtnis gebrannt. „Da wurde eine 15-Jährige von ihrer Tante angeboten. Die saß am Tisch, kassierte das Geld und schickte ihre Nichte mit den Freiern weg. So etwas lässt einen nicht kalt“, gibt der Profi zu.
Schillinger schaut lange auf einen Stift, den er zwischen den Fingern hin und her dreht. Bevor er 2002 das Dezernat zur Bekämpfung von Prostitutionskriminalität übernahm, war er Leiter beim Kriminaldauerdienst und davor stellvertretender Chef der Abteilung für jugendtypische Gewalt- und Fußballdelikte. Dass er parallel als Jugendtrainer bei 1860 aktiv war, nennt der Ermittler einen „positiven Synergie-Effekt“.
1996 hat er das Traineramt aufgegeben, Löwen-Fan ist er geblieben. „Auch meine Söhne sind Mitglieder bei den Sechzgern“, sagt Peter Schillinger und fügt mit einem Grinsen hinzu: „Insofern habe ich meinen Erziehungsauftrag erfüllt.“