Landtagswahl in Bayern: Was erklärt den AfD-Zulauf wirklich; wer wählt diese Partei?
München - Zweitstärkste Kraft in Hessen, dritte Kraft in Bayern und stärkste Oppositionspartei: Die AfD hat bei den Landtagswahlen Rekordgewinne verzeichnet, stößt in immer neue Sphären vor. Was steckt hinter dem Siegeszug der Partei, in deren Reihen die Grenzen zwischen bürgerlichem und rechtsradikalem Gedankengut mehr und mehr verschwimmen?
Politikwissenschaftlerin Ursula Münch von AfD-Ergebnis "in dieser Dramatik überrascht"
Politikwissenschaftlerin Ursula Münch hatte "ein sehr gutes Ergebnis" der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern erwartet. "Das aber ist eine Entwicklung, die in dem Maße, in dieser Dramatik überrascht", betont die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing im Gespräch mit der AZ.
Fast alle bayerischen Parteien verbuchten Stimmen-Verluste – nur die Freien Wähler und die AfD gewannen deutlich an Zuspruch. Wie das Wanderungsmodell von "infratest dimap" zeigt, entschieden sich zum Beispiel 260.000 ehemalige CSU-Wähler diesmal für die Freien Wähler und immerhin 110.000 für die AfD.

Ursula Münch: "Neue AfD-Wähler sind nicht allesamt gleich extremistische Wähler"
Den Ergebnissen der Nachwahlbefragung ("Exit Poll") zufolge gelang es der AfD, selbst 20.000 frühere Grünen-Wähler für sich zu gewinnen, und sie mobilisierte zudem 130.000 Nichtwähler.
"Diese neuen AfD-Wähler sind nicht allesamt gleich extremistische Wähler", sagt Ursula Münch. "Es sind Menschen, die in erster Linie mit der Politik der Ampel-Koalition unzufrieden sind, und sie nehmen dabei eine extreme Rhetorik billigend in Kauf." Deren Credo heißt also: Auf keinen Fall ein "Weiter so".
"Hohe Kompetenzwerte" für die AfD
Rot-Grün habe gerade auch im Umgang mit dem Heizungsgesetz Fehler gemacht. Auffällig sei aber auch, dass die AfD-Gefolgschaft der Partei und ihren Protagonisten "hohe Kompetenzwerte" zubillige: "Dabei ist vieles von dem, das die AfD fordert, gar nicht umsetzbar. So kann man beispielweise Atomkraftwerke nicht einfach weiterlaufen lassen, weil eben viele schon stillgelegt sind oder Geflüchtete nicht einfach wieder zurückschicken, weil sie in ihren Heimatländern nicht mehr aufgenommen werden oder die Heimatländer erst gar nicht bekannt sind."
Ursula Münch: "AfD zeigt sich als destruktive Opposition"

In ihrer Argumentation zur Flüchtlingsproblematik, aber auch bei Themen wie Sparmaßnahmen oder Energiepolitik, zeige sich die AfD "als destruktive Opposition". Die konservative Staatsregierung, die ja Geflüchtete auch nicht unbedingt mit offenen Armen empfange, habe diesen Fakt nicht zu nutzen gewusst.
"Stattdessen hat sie einen Kulturkampf angezettelt, völlig überzogene und scharfe Kritik an der Ampel-Koalition oder an den Freien Wählern geäußert. Inhaltlich hat man die Grünen zum politischen Gegner auserkoren und hätte sich besser mal konkret mit den Forderungen der AfD auseinandergesetzt", so Münch.
Münch: AfD nutzt Schwächen der Kontrahenten mit "kruden Forderungen" aus
Rot-Grün tut sich demnach im Umgang mit dem Thema Migration schwer, weil intern zu viele Hürden bewältigen sind: Neue Abgeordnete und junge Gruppierungen innerhalb der Partei halten an "anderen hehren Zielen" fest, die Auseinandersetzung mit der eigenen Basis erschwert ein schnelles Entscheiden.
Die AfD nutze diese Schwächen der Kontrahenten mit "kruden Forderungen und teilweise auch Lügen" aus. Ursula Münch: "Nehmen wir den Krieg in der Ukraine – Rot-Grün hat klargemacht, dass es in der Folge in Deutschland weniger zu verteilen gibt." Auf Verständnis sei man damit in weiten Teilen der Bevölkerung nicht gestoßen.
Ursula Münch: "Da macht sich ein großes Ungerechtigkeitsempfinden breit"
Die AfD-Wähler sehen sich da ganz klar benachteiligt: "Noch nehmen sie es nicht akut wahr, aber sie befürchten, dass für sie in naher Zukunft tatsächlich immer weniger übrigbleibt. Da macht sich ein großes Ungerechtigkeitsempfinden breit." Da lamentiere man über den Flüchtenden, der kein Bleiberecht habe und doch abkassiere, da schimpfe man auf den Lehrer, der sich in der Schule ja intensiver um die aus der Ukraine geflüchteten Kinder kümmere als um den eigenen Nachwuchs.
Unter den AfD-Wählern sind laut Ursula Münch sowohl Arbeitnehmer wie kleine selbstständige Handwerker, Landwirte oder ehemalige Industrie-Arbeiter, aber auch Arbeitslose und Rentner: "Wobei die älteren Menschen im klassischen Drei-Parteien-System groß geworden sind und da nicht mehr so leicht umdenken, es wenden sich viele junge Menschen und Menschen aus der mittleren Altersgruppe der AfD zu."
AfD sammelt weniger in der Stadt ihre Stimmen
Zudem sei die AfD eine klassische Männer-Partei, sie komme bei den Frauen weniger an. Sie finde vor allem in Gemeinden mit vergleichsweise geringem Akademiker-Anteil Zuspruch, sammle vorwiegend auf dem Land und weniger in der Stadt ihre Stimmen.
Diese These unterstützen auch die Zahlen aus München, wo die Grünen stärkste Kraft sind und die AfD bei 7,1 Prozent (das ist ein Plus von 0,1 Prozentpunkten) steht.
Dass bei der "Zammreißen"-Kundgebung gegen Rechtsaußen 35.000 Menschen am Odeonsplatz zusammenkamen, wundert Ursula Münch daher wenig. Ein Zeichen, dass die Mehrheit gegen Rechts aufstehe, sei das leider nicht gewesen: "Da waren Menschen versammelt, bei denen klar war, was sie wählen."
Prof. Dr. Ursula Münch (62) ist seit zwölf Jahren Direktorin der Akademie für Politische Bildung und von ihrer Professur für Politikwissenschaft (unter besonderer Berücksichtigung der Innenpolitik und der Vergleichenden Regierungslehre) an der Universität der Bundeswehr München beurlaubt. Sie ist unter anderem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung, in der Abgeordnetenrechtskommission des Bayerischen Landtags und im Hochschulbeirat der Hochschule für Politik an der Technischen Universität München.