Ladenschlusszeiten in Bayern: Zwei Händler wollen den Sonntag verkaufsoffen
München - Es ist eine ausgesucht hässliche Tasche, die einer der Beweise für die Ungerechtigkeit im Bayernland ist, die Franz-Josef Schoen da auspackt: matschbraun, mit aufgestickten Katzenkindern und zu kurzen Tragehenkeln, um irgendwie sinnvoll zu sein. Und er hat sie an einem Sonntag gekauft in Rothenburg ob der Tauber. Was eigentlich nicht möglich sein sollte.
Wer Waren außerhalb des Erlaubten verkauft, zahlt – vierstellig
Denn 2006 gab die Föderalismusreform den Ländern die Deutungshoheit über den Ladenschluss: Sie entscheiden darüber, wie oft die Geschäfte an Sonntagen öffnen dürfen.
Allerdings mit Einschränkungen: Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts darf es Sonntags-Verkäufe nur mit Anlass geben, zum Beispiel bei einem großen Fest in der Stadt. Außerdem dürfen Geschäfte in Touristengegenden Souvenirs, alkoholfreie Getränke sowie Bademoden und -artikel verkaufen. Souvenirs bedeutet per Definition des Gesetzgebers: "ortskennzeichnende" Artikel – also etwa künstlerisch gefertigte Kuhglocken mit dem Aufdruck "Königssee".
Im oberbayerischen Ferienort Schönau wird das vom Landratsamt besonders streng betrachtet. "Wie Leichentücher liegen da sonntags die weißen Baumwolltücher über einem Großteil der Gegenstände in den Läden", sagt Markus Zeitz.
Der 58-Jährige verkauft seit 1998 in Schönau Trachten und Landhausmode. Davor haben seine Eltern das Geschäft geführt. Seit 1958 ist es auf der etwa 250 Meter langen Seestraße, auf der etwa 25 Geschäfte zu finden sind. Schoen ist seit 25 Jahren auf der Seestraße – erst hat er Souvenirs angeboten, seit zehn Jahren Sport- und Outdoorkleidung.
Auf der Seestraße gibt es etwa 25 Ladengeschäfte – die sonntags nicht alles anbieten dürfen. Foto: ape
"Das tut schon im Herzen weh", sagt der 52-Jährige, "wenn man in seiner Wohnung über dem Geschäft sitzt und dann zufällig Leute vor den geschlossenen Läden hört, die sagen ,Ach, die Scheiß-Millionäre haben heute wohl keine Lust aufzusperren.’"
Es lohnt sich für ihn aber im Grunde einfach nicht, den Laden aufzusperren, denn Turnschuhe und Funktionsunterhemden sind nun einmal keine Souvenirs. "Einer der Händler hat mal versucht, ein Königssee-Branding auf alle seine Schuhe zu kleben", erzählt Schoen. Die Überprüfung bestanden sie nicht.
Wer Waren außerhalb des Erlaubten verkauft und erwischt wird, bekommt eine Geldstrafe aufgebrummt – die ist gern mal vierstellig. Mindestens 20 Prozent Umsatzeinbußen haben sie gemacht, sagen Zeitz und Schoen, seit das Land Bayern die Verkaufsmöglichkeiten am Sonntag eingeschränkt hat. "Diese Politik nimmt uns 40 Tage Saisongeschäft im Jahr. Während der Internethandel sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag verkaufen darf", sagt Zeitz. "Das ist ein Ladenschlussgesetz aus der Steinzeit."
Auch in anderen bayerischen Feriengemeinden beklagen die Einzelhändler das. Aber längst nicht alle. "Es gibt eine Ungleichbehandlung innerhalb Bayerns", sagt Zeitz verärgert. "Wir werden hier geknebelt, während in anderen Landkreisen – Nürnberg, Füssen, Rotenburg ob der Tauber, in Miesbach, im Ostallgäu weiterhin einfach verkauft wird." Und die Staatsregierung dulde das.
Es ist ein Streit, der schon lange schwelt. Schoen, Zeitz und zwei weitere Einzelhändler vom Königssee haben es bereits mit einem Prozess vorm Verwaltungsgericht versucht, auch Unterschriften haben sie schon gesammelt dafür, dass auch bei ihnen lockerere Bedingungen herrschen dürfen.
Einen Sarg hat Schoen sich in dieser Zeit vor sein Geschäft in der Seestraße gestellt. Um das Einzelhandelsgeschäft symbolisch für tot zu erklären.
2012 stellte sich Schoen aus Protest einen Sarg vor sein Geschäft. Foto: dpa
Fast 7.000 Unterschriften hatten sie innerhalb von sechs Wochen zusammen für den Petitionsantrag, viele Touristen haben unterschrieben. "Aber das ist dann einfach verpufft." Auch das Argument, dass es in anderen Landkreisen anders gehandhabt werde, zog nicht beim Landratsamt – es brauche Beweise, hieß es.
"Wir werden von der Politik gezwungen, andere anzuschwärzen"
Schoen ist deshalb 2016 sonntags durch die Landkreise gefahren – und hat eingekauft. Dinge wie die Kätzchen-Tasche oder goldene Ohrringe, die eindeutig nicht "ortskennzeichnend" sind. "Wir werden quasi von der Politik dazu gezwungen, andere anzuschwärzen, um zu Recht zu kommen", sagt Zeitz wütend.
Die beiden verschickten Bilder und Quittungen an Landratsämter, Landtagsabgeordnete, Bürgermeister. "Aber wir haben einfach keine Lobby", sagt Zeitz. "Die Regierung will eindeutig nichts ändern."
Beweise für anderer Händler Gesetzesbruch, die Schoen im vergangenen Jahr gesammelt hat. Foto: ape
Darum lassen die beiden juristisch Bayern hinter sich – und wollen gegen das Ladenschlussgesetz des Bundes klagen. Die Kaufhof Warenhaus AG in Köln hat schon 2002 Verfassungsbeschwerde eingereicht gegen das Gesetz – damals wurde es nicht gekippt. "Aber inzwischen sind neue Richter am Verwaltungsgerichtshof", sagt Zeitz, "jüngere. Junge Leute lassen sich heute nicht mehr verarschen. Die sind in einer Welt aufgewachsen, in der man immer einkaufen kann."
Sie suchen nun Mitstreiter. Eine derartige Klage, die sie nach der Bundestagswahl anstreben wollen, kann schon mal 250 000 Euro kosten. "Das wäre schon gut, wenn das auf 100, 200 Leute aufgeteilt ist", sagt Zeitz. "Aber da es um das bundesweite Gesetz geht, sind wir optimistisch." Ab jetzt werden die beiden kleine, mittlere und größere Unternehmen anfragen – auch in München, natürlich.
Die fünf alteingesessenen Unternehmen Hirmer, Kustermann, Kaut-Bullinger, Bettenrid und Sport Schuster hatten ja bereits im April (AZ berichtete) einen kleinen Aufstand geprobt und eine Flexibilisierung der Öffnungszeiten gefordert.
Kommt dann dafür eine ähnlich plakative Aktion wie der Sarg? Schoen grinst, Zeitz schaut ernst. "Es ist eigentlich traurig, dass wir das so provokant machen müssen. Aber sonst erreichen wir ja nichts."
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