Kurz vor der Wahl: Zoff um bekannte Straße in München – was Betroffene dazu sagen

München - "Grün-Rotes Millionengrab. Gegen den ideologischen Total-Umbau der Lindwurmstraße." Dieses Plakat hat die CSU in Sendling aufgehängt – obwohl nächsten Sonntag Landtags- und keine Oberbürgermeisterwahl ist, obwohl sich Markus Söder bestimmt nicht um die Lindwurmstraße kümmert. Also: Was hat es damit auf sich? Ein Anruf beim CSU-Stadtrat Hans Hammer, dessen Name auch auf dem Plakat zu lesen ist.
Streit um die Lindwurmstraße: Mehr Platz für Radler, weniger für Autofahrer
Vorher muss man wissen: Die Stadt plant, die 2,3 Kilometer lange Straße zwischen der Alten Sendlinger Kirche und dem Sendlinger Tor umzubauen. Fußgänger und Radler sollen mehr, Autos weniger Platz bekommen. Aus einer Autospur auf jeder Seite soll ein Radweg werden. Auch knapp die Hälfte der 400 Parkplätze soll weichen. Die Fußgänger können sich dann im Bereich zwischen den Häuserzeilen und den Bäumen ausbreiten.

Die CSU sagt, wenn die Lindwurmstraße einspurig wird, gibt es Stau
"Die Lindwurmstraße ist eine wichtige Ein- und Ausfallstraße in die Stadt. Wenn sie einspurig wird, droht Stau", sagt der CSUler Hans Hammer. Sein Gefühl: Die Münchner sind genervt von den ganzen Baustellen in der Stadt, besonders hier – schließlich wird gerade nach fünf Jahren das Sendlinger Tor fertig. Und dann soll es schon wieder eine Baustelle geben? Hammer glaubt, dass man die Radwege auch etwas breiter bekommt, indem man den Fußgängern Platz nimmt. "Das würde klappen", sagt er, "wenn Grün-Rot nicht so ideologisch und dickköpfig auf jeden Zentimeter Radweg beharren würde".
Mit der Landtagswahl hat die Lindwurmstraße aus seiner Sicht sehr wohl etwas zu tun – schließlich zeigt man mit seinem Kreuz ja auch, welche Politik man sich ganz allgemein wünscht. "Vielleicht wacht die SPD ja dann auf", meint er.
Allerdings hofft Hans Hammer das wohl vergeblich. "Für die SPD hat der Radweg in der Lindwurmstraße eine hohe Priorität", sagt deren Verkehrsexperte Nikolaus Gradl. An manchen Stellen sei der Radweg weniger als einen Meter breit. Das sei gefährlich. Vom Bürgersteig könne man auf keinen Fall noch etwas wegnehmen – schließlich hätten die Fußgänger heute schon wenig Platz, meint Gradl.
Von den Grünen heißt es, die CSU betreibe "Wahlkampfgetöse"
Ähnlich äußert sich Gudrun Lux von den Grünen. Sie nennt das Plakat vor allem eines: "Wahlkampfgetöse der CSU, die bloß mal wieder zeigen will, dass sie gegen eine Verkehrswende ist. Irgendwie auch lustig, uns da Ideologie vorzuwerfen." Dabei sei doch der Kampf der CSU gegen Radwege viel ideologischer.
Final beschlossen ist der Umbau allerdings noch nicht. Anfang 2024 will das Mobilitätsreferat dem Stadtrat einen Beschlussvorschlag machen. Dann plant das Baureferat konkreter. Vor 2027 oder 2028 rechnet SPD-Stadtrat Gradl nicht damit, dass Bagger anrollen. Aber wollen das die Menschen vor Ort überhaupt? Die AZ hat sich umgehört.
"Es ist schwierig", sagt Ernst Huber gleich dreimal hintereinander. Der 60-Jährige ist der Chef von "Getränke Huber", das Sendlinger Tor ist von seinem Laden 1,9 Kilometer entfernt. Er fragt sich, wo nach dem Umbau die Lastwagen halten sollen, die sein Bier anliefern. Er fragt sich, warum der Radweg vor seiner Ladentür erst vor ein paar Jahren erneuert wurde, wenn jetzt schon wieder ein neuer her soll. "Aber es stimmt schon, dass die Radlfahrer immer mehr werden."
Die Zahlen zeigen: Es gibt immer mehr Radfahrer auf der Lindwurmstraße
Das belegen auch die Zahlen: 2011 fuhren im südlichen Teil der Lindwurmstraße am Tag fast 5.500 Radler, 2022 waren es 9.300 – also 70 Prozent mehr. Im gleichen Zeitraum verringerte sich der Autoverkehr um 35 Prozent. "Es ist schwierig", sagt Huber noch einmal. "Ich möchte kein Politiker sein."
Gegenüber hat Schneiderin Emine Capartas ihr Geschäft. "Ich bin für Fahrradstraßen. Aber hier? Hier ist doch genug Platz. Das Geld sparen wir uns. Die Stadt ist doch knapp bei Kasse, habe ich gehört?" Richtig gehört: Tatsächlich warnte der Kämmerer erst vor ein paar Tagen, wie schlecht es um die Finanzen steht. Wie viel der Radweg kosten soll, steht allerdings noch nicht fest.

400 Meter weiter glaubt Violetta Maria Frincu: "Die Stadt macht eh, was sie will." Sie hat vor Kurzem den Imbiss "La Baguette" übernommen, das Foto ihres verstorbenen Chefs steht noch im Fenster mit einer roten Grabkerze daneben. Es gibt verschiedene Leberkäs-Variationen, Pizza, Chili, Pute. Auch Salate liegen in der Theke. "Wo soll ich dann ausladen?", fragt sie. Dann wirft ein Kunde ein: "Die Konflikte zwischen den Radlern und den Fußgängern sind hier schon gewaltig." Und dann erzählt auch Frincu, wie – "wuuusch!" – die Radler vorbeirauschen.

Die Betreiberin des Café Kustermann beobachtet viele Unfälle auf der Lindwurmstraße
Von Unfällen kann auch Katharina Stadler vieles berichten. Sie leitet das Café Kustermann, von hier aus sind es noch 1,1 Kilometer zum Sendlinger Tor. "Minimum einmal die Woche sehe ich einen Unfall." Erst neulich habe sie vor Gericht aussagen müssen, weil ein Autofahrer zu schnell abbog und einen Radler übersah. 168 solcher Abbiegeunfälle zählte die Stadt in der Lindwurmstraße innerhalb von zehn Jahren.

Stadler ist überzeugt, dass die Anwohner von einem Umbau der Straße profitieren. Weil es weniger Gehupe, weniger Aggressivität, weniger Streit gäbe. "Alle freuen sich darauf. Ein Kunde hat neulich gesagt: Dann kann ich nachts endlich mal das Fenster aufmachen."
Gastronomen hoffen darauf, dass sie ihre Freischankflächen vergrößern können
Gegenüber führt Dalor Khiro Ali einen Kiosk, Madlen heißt er, benannt nach seiner kleinen Schwester. Fragt man ihn nach dem Umbau, lacht er gleich und sagt: "Ich wäre sofort dabei. Dann könnte ich endlich außen Sitzmöglichkeiten anbieten." Bisher geht das nicht wegen der Fahrräder. Und die Anlieferung – ist das kein Problem? Der 27-Jährige winkt ab. "Ich hoffe echt, das wird was."
Noch etwas weiter, jetzt sind es noch 700 Meter bis zum Sendlinger Tor, hofft auch Adam Tolnay-Knefely darauf, dass er bald draußen mehr Geschäft machen kann. Er ist der Wirt vom Café Regenbogen. Für 30 Gäste wäre bestimmt Platz, glaubt er, aber bisher genehmigte die Stadt auch ihm keine Freischankfläche.
Er glaubt, dass die Lindwurmstraße nach dem Umbau ruhiger werden könnte. Und schöner. Und gemütlicher. "Wir fiebern dem schon entgegen", sagt er.