Kurios: Ein Münchner Frauenarzt ist Seborgas Konsul

München/Seborga - Links an den Wänden hängen Kunstwerke und Geweihe, rechts ein Foto von Fürst Marcello I. Davor kramt auf einem Holztisch Bernd Lesoine in einem Kästchen nach Briefmarken, Pässen und Führerscheinen des selbst ernannten Fürstentums Seborga. Der 55-jährige Frauenarzt vertritt den kleinen Flecken Erde in Italien seit knapp fünf Jahren. Das einzige seborgische Konsulat in Deutschland hat er in seinem Keller in München eingerichtet.
Doch Deutschland hat - wie die meisten Länder - Seborga nicht anerkannt. Der Vatikan hingegen schon, sagt Lesoine. "Und einige afrikanische Länder, vermutlich aus Versehen." Im Moment kämen sie vor allem mit korrupten Staaten ins Gespräch. "Die sind da offener."
Er habe Seborga durch seinen Vater kennengelernt, erzählt Lesoine. Jahre später startete seine Karriere als einer von 27 ausländischen Vertretern Seborgas mit einem Ferienhaus. Sein Gärtner, damals auch Sportminister des Fürstentums, sprach ihn an. Obwohl er kein Katholik sei, Kirche in Seborga aber ein großes Thema, gab der Fürst das Okay.
Lesoine sieht den Konsul-Job als Hobby
Nun wirbt Lesoine mal auf Messen für seborgisches Olivenöl, mal trifft er den aserbaidschanischen Premierminister beim Essen. Und er verwaltet die Facebook-Seite des Konsulats. Das kostet Zeit und Geld. Messestände und den Druck von Aufklebern zahlt er aus eigener Tasche. Eine Art Lohn bekommt er nicht. Auf die Frage, wie viel er ausgibt, weicht Lesoine aus: "Es ist ein Hobby. Und Hobbys kosten immer Geld."
Seine Motivation? "Ich finde es witzig, dass es so ein Unikum gibt", sagt Lesoine, der vor Medizin Volkskunde studiert hat. "Es ist eine Art Anachronismus in Europa mit der charmanten Idee eines autarken Kleinlandes." Rund 320 Einwohner zählt die Kommune, etwa 2000 das Land. Viele seien Selbstversorger, lebten von Wein, Olivenöl und Blumen und bräuchten deshalb auch keine Unterstützung der EU.
Im Jahr 954 sei Seborga erstmals urkundlich erwähnt worden, 1079 als Fürstentum. "Seborga ist also älter als Italien", sagt Lesoine und grinst verschmitzt. Dann sieht er aus wie der junge Dieter Hallervorden. Seborga wird Zisterzienserstaat. Der Heilige Sankt Bernhard von Clairvaux hebt die Tempelritter in den Ordenstand. Lesoine referiert all das aus dem Stegreif, hat aber als Beleg auch jede Menge Bücher parat mit historischen Karten und Daten.
Sogar die NSA hatte Seborga auf dem Schirm
In den 1960er Jahren hätten die Menschen in Seborga die Dokumente wieder ausgegraben. 1993 folgte die Proklamation des Fürstentums Seborga. Sogar der US-Auslandsgeheimdienst NSA beschäftige sich mit den Unabhängigkeitsbewegungen, sagt Lesoine - nicht ohne Stolz.
Inzwischen gibt es eigene Grenzposten. Das Fürstentum verteilt eigene Autokennzeichen, Briefmarken und Pässe. "Wenn ich den am Flughafen raushole, kriegt meine Frau immer eine Krise", sagt Lesoine. Auch wenn die meisten Geschäfte den Euro annehmen, hat Seborga eine eigene Währung, den Luigino. Eine eigene Bank sei in Planung.
Der amtierende, gewählte Fürst sei Multimillionär. Er habe den Palast saniert und sei bei einem internationalen Fußballturnier für die seborgische Mannschaft angetreten - weil nicht genügend Spieler zur Verfügung standen. "Und weil keiner Kondition für zweimal 45 Minuten hatte, wurde zweimal 20 Minuten gegen Seborga gespielt." Viele der Geschichten, die Lesoine erzählt, klingen kurios und unterhaltsam.
Dabei nähmen die Menschen in Seborga die Sache mit dem Fürstentum recht ernst. Selbst einen Putschversuch habe Marcello I. vor kurzem abwenden können. Der Fürst wolle vor allem das touristische Potenzial erschließen; Seborga liegt nahe der Grenze zu Frankreich. Es sei der einzige Ort, von dem aus man die gesamte Côte d'Azur überblicke. In die andere Richtung sind die schneebedeckten Alpen zu sehen.
Die andere Hälfte wolle die Tradition bewahren. Zahlreiche Feste und weiß-blaue Uniformen der Garde zeugen davon. Apropos: Offizielle Polizei gebe es in Seborga nicht, sagt Lesoine. Seit den 1990ern arbeite eine eigene Bürgerwehr. Ihm gefällt der Vergleich mit dem rebellischen gallischen Dorf aus den Asterix-Comics. Ein Unterschied: Rom unternehme nichts gegen Seborga - laut Lesoine, um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden. Vom italienischen Ministerium für Regionen war zunächst keine Aussage zum Fürstentum zu bekommen.
"Ohne Arbeit kann ich mir Seborga nicht leisten"
Um Probleme zu vermeiden, hat Lesoine vor der Eröffnung des Konsulats Kontakt mit dem Auswärtigen Amt aufgenommen. Von dort heißt es, man habe den Betroffenen auf die Strafbarkeit des missbräuchlichen Führens von Titeln hingewiesen. So musste der Gynäkologe sich auch vor Gericht verantworten. Das Verfahren sei gegen eine Geldauflage eingestellt worden, sagt eine Sprecherin des Oberlandesgerichts.
Lesoine verbringt regelmäßig seine Wochenenden in Seborga. Dass er noch in München lebt, begründet er mit Verantwortung für Praxis und Angestellte. "Und ohne Arbeit könnte ich mir Seborga nicht leisten."