Kunstfehler? Frau stirbt nach Zahn-OP
München/Augsburg „Schnatterbüchse“ wurde sie manchmal liebevoll genannt. Wenn sie gut drauf war, war Christiane E. kaum zu stoppen. Die lebenslustige Frau wurde 1964 mit dem Down-Syndrom geboren und lebte in einem Münchner Heim.
Bis zum 15. Oktober 2010: Dann passierte in einer Augsburger Zahnarztpraxis dramatisches. Der behandelnde Zahnarzt Hans T. (49, Namen geändert) und der Anästhesist Paul F. (56), der Christiane E. sediert, aber nicht voll narkotisiert hat, bemerken, dass bei der mehrstündigen Implantat-OP plötzlich die Sauerstoffsättigungswerte der Patientin fallen.
Ein Vorwurf: Es wurde ein kontraindiziertes Schmerzmittel eingesetzt. Das soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht der einzige ärztliche Fehler bleiben. Das Herz bleibt stehen, Christiane E. muss reanimiert werden.
Ein Notarzt wird trotz des dramatischen Ereignisses nicht gerufen. Warum auch, fragen die Angeklagten. Schließlich sei der Anästhesist selber ausgebildeter Notarzt. Es wird also weiter operiert.
Die Patientin habe sich nach der Reanimation ja auch stabilisiert, argumentieren die Ärzte. Dumm nur, dass sie nicht wieder aufwachen will.
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Der Münchner Anwalt der Nebenklage, Wolfgang Putz, schildert wie Christianes Bruder und Betreuer Michael E. mit seiner Frau in die Praxis zurückgekehrt. Die Szene muss gespenstisch gewesen sein: Anästhesist, Zahnarzt und alle Helferinnen schienen völlig geschockt und hätten wie paralysiert herumgestanden, erinnern sich die Angehörigen. Auf Frage, was geschehen war, wurde ausgewichen. Beim Anblick seiner leblosen Schwester sei Michael E. dann „explodiert und habe wutentbrannt nach dem Notarzt verlangt“.
Auch die alarmierte Notärztin habe aus dem völlig geschockten Anästhesisten praktisch nicht herausholen können, was passiert war, sagt Putz. Christiane E. wurde ins Krankenhaus gebracht. Doch da hatte sie bereits einen schweren Hirnschaden erlitten.
Die 46-Jährige fällt ins Wachkoma und wird nie wieder erwachen. Im Mai 2013 stirbt sie. Die beiden Angeklagten müssen sich nun wegen fahrlässiger Tötung verantworten.
Geklärt werden muss auch, ob über die Gefahren der angewandten Sedierung aufgeklärt wurde und nicht nur über eine mögliche Vollnarkose. Die Operation am 15. Oktober 2010 fand jedenfalls unter Sedierung, nicht in Vollnarkose und ohne Unterstützung der Atmung statt.
„Haben Sie alles richtig gemacht?“, fragt der Staatsanwaltschaft. Vielleicht erwartet er Reue oder gar ein Schuldbekenntnis. Doch die Antwort des Anästhesisten ist so lapidar wie eindeutig: „Ja.“
Dass Christiane E. tot ist, sei bedauerlich, aber „Schicksal“, hatte er seine Anwältin zuvor erklären lassen.
Der Zahnarzt gibt immerhin zu, dass ihm am Ende der Behandlung angesichts des Zustandes von Christiane E. „angst geworden“ sei.
Der Prozess wird fortgesetzt.
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