Kunstfehler? Frau seit 13 Jahren im Wachkoma

MÜNCHEN - Sie war hochschwanger und hatte eine seltene Krankheit: Doch die Ärzte erkannten das zu spät. Das Ungeborene ist tot, die Frau liegt seit 13 Jahren im Wachkoma. Jetzt muss das Gericht entscheiden
Es geht um eine medizinische Tragödie, die einem Neugeborenen das Leben kostete und die Mutter im Wachkoma zurückließ – und um sehr viel Geld. Denn der Mann der Komapatientin macht Kunstfehler der Ärzte für den Zustand seiner Frau verantwortlich. Die 26-Jährige litt an dem seltenen „Hellp“-Syndrom, einer lebensgefährlichen Erkrankung von Schwangeren, was die Ärzte aber zu spät erkannt haben sollen. Der Mann fordert als Betreuer seiner Frau Schadenersatz und Schmerzensgeld in Millionenhöhe. Das Landgericht gab ihm im Grundsatz Recht, Klinikärztin und die Stadt als Trägerin des Krankenhauses sollten zahlen. Wieviel ließ das Gericht offen. Der 1. Senat des Münchner Oberlandesgerichts muss nun in der Berufung entscheiden, wer für die Ereignisse vor 13 Jahren verantwortlich ist.
Der Fall: Im Mai 1996 war die hochschwangere Petra T. (Name geändert) mit heftigen Oberbauchschmerzen zu einem niedergelassenen Münchner Gynäkologen gekommen. Nach der Aussage ihres Mannes litt die Frau auch unter Ödemen an den Handgelenken, der Arzt habe die Symptome des „Hellp“–Syndrom aber nicht erkannt. Er selbst habe später zu Hause den Notarzt rufen müssen, als es seiner Frau immer schlechter ging. Der Notarzt informierte die Klinik über den möglichen Fall von „Hellp“. Um 21.15 Uhr wurde die Schwangere eingeliefert, doch das Notfallteam, das eine mögliche Not-Entbindung hätte vornehmen können, war nicht komplett. Um 21.33 Uhr fiel Petra T. in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Sie wurde entbunden, doch das Kind starb kurz nach der Geburt.
Der Gynäkologe dachte zunächst, es sein nur ein Infekt - wertvolle Zeit verstrich
Wo beginnt die Fehlerkette? Aussage steht hier gegen Aussage: Während der Arzt sagt, ihm sei im Verlauf der Behandlung der Verdacht auf das „Hellp“-Syndrom gekommen und er habe der Frau mehrfach empfohlen „umgehend“ ins Krankenhaus zu gehen, erklärte ihr Mann vor Gericht, dass der Arzt die Beschwerden als Magen-Darm-Infekt heruntergespielt habe. Der Gynäkologe war tatsächlich zunächst von einem Infekt ausgegangen, hatte der Frau aus diesem Grund über 90 Minuten eine Infusion verabreicht, um den Wasserverlust auszugleichen. Wertvolle Zeit verstrich. Erst als dies nichts half, empfahl er den Gang ins Krankenhaus, erklärte sein Anwalt.
Für die Regensburger Gutachterin Birgit Seelbach-Göbel hätte der Gynäkologe aber zunächst die Möglichkeit des „Hellp“-Syndroms ausschließen und die Frau ins Krankenhaus schicken müssen, um Leber- und Thrombozythenwerte zu erheben, bevor er einen harmlosen Infekt behandelt. Aber auch das Fehlen des Änasthesisten im Notfall-Team des Krankenhauses stellt für die erfahrene Fachärztin einen Kunstfehler dar. Das Gericht will am 28. Mai einen Hinweis auf die Tendenz des Urteils geben und den Parteien einen neuen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Ein erster Vorschlag – der Gynäkologe zahlt eine Million Euro – war schon daran gescheitert, dass der Arzt unterversichert ist.
John Schneider